Dass das Siegener Team unter der Leitung von Professor Markus Cristinziani und Professor Markus Risse den argentinischen Detektor nun von Siegen aus überwachen und steuern kann, ist neu: „Bisher mussten wir jedes Mal extra nach Argentinien reisen, um entsprechende Schichten übernehmen zu können“, erklärt Niechciol. Um sicherzustellen, dass die Datenerfassung in der argentinischen Pampa möglichst reibungslos funktioniert, muss die hochsensible Messtechnik des Experiments permanent überwacht werden.
Dazu zählen neben 1600 mit Detektoren ausgestatteten Wassertanks insbesondere auch vier große Teleskopstationen auf dem Gelände des Observatoriums: Sie können das sogenannte Fluoreszenzlicht einfangen, das ausgesendet wird, wenn kosmische Teilchen auf die Erdatmosphäre treffen. Aus diesen Daten können die Wissenschaftler indirekt Rückschlüsse über Herkunft und Natur der kosmischen Teilchen ziehen. Im Siegener Büro von Guido und Niechciol ist jedem der vier Teleskopstationen ein eigener Bildschirm zugeordnet.
„Neben dem Verlauf des Mondes beobachten wir auch das Wetter sehr genau“, erklärt Niechciol. „Gibt es in der Region Gewitter, starke Winde oder heftigen Regen, müssen wir reagieren und die Teleskope schnellstmöglich dicht machen, damit die empfindlichen Sensoren nicht beschädigt werden.“ Hat sich das Wetter wieder beruhigt, muss ebenfalls zügig gehandelt werden: Dann gilt es, die Systeme wieder zu öffnen, damit die Datenerfassung weitergeht und möglichst wenige Daten verloren gehen.
Auch mit unvorhergesehenen Ereignissen müssen die Wissenschaftler während der Schichten umgehen. Dann kann es auch schon mal stressig werden, berichtet das Team: „Vor dem Start unserer heutigen Schicht gab es in der Region des Observatoriums einen Stromausfall. Das hat dazu geführt, dass wir viele der dortigen Computer neu hochfahren mussten. Dadurch konnten wir erst etwas später anfangen, Daten aufzuzeichnen als eigentlich vorgesehen.“ Auch andere technische Störungen können auftreten.
Den Siegenern wird das auf den Bildschirmen als rot markierte Meldung angezeigt. In manchen Fällen ertönt auch ein akustisches Alarmsignal. Dann gelte es herauszufinden, wo das Problem liege – was oft gar nicht so einfachsei, sagt Niechciol: „Es gibt eine enorme Vielzahl möglicher Ursachen. Die kann man auch mit jahrelanger Erfahrung am Observatorium unmöglich alle kennen. Im Zweifel müssen wir einen Techniker in Argentinien aus dem Bett klingeln, der sich die Sache vor Ort anschaut.“
Auch Siegener Nachwuchswissenschaftler können so an die praktische Arbeit am Experiment herangeführt werden und lernen, im Rahmen der Schichten Verantwortung zu übernehmen: Für die hochsensible und teure Messtechnik. Aber auch dafür, dass möglichst permanent qualitativ hochwertige Daten aufgezeichnet werden. Daten, auf die Wissenschaftler weltweit angewiesen sind, um das Rätsel der kosmischen Strahlung eines Tages zu lösen.
Physiker der Universität Siegen forschen seit 2004 am Pierre-Auger-Observatorium. Die Wissenschaftler arbeiten dabei im Verbund mit vier weiteren deutschen Universitäten. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Forschung und hat der Universität Siegen im Sommer weitere knapp 600.000 Euro Fördermittel bis 2026 zur Verfügung gestellt. Siegener Physiker sind sowohl an der Analyse der am Observatorium gewonnenen Daten als auch an der Weiterentwicklung der Messtechnik direkt beteiligt. Seit Anfang Dezember 2023 können sie den argentinischen Detektor auch „remote“ von Siegen aus überwachen.