Bevor es Maljartschuk der Liebe wegen im Jahr 2011 nach Wien verschlagen hatte, arbeitete sie in der Ukraine als Journalistin und schrieb „absurde und surrealistische Geschichten über Menschen in Kiew“. Mit ihrem Roman „Blauwal der Erinnerung“ taucht sie tief in die ukrainische Geschichte ein, die auch viel mit der heutigen Situation in dem Land gemein hat.
In dem Buch geht es um den vergessenen ukrainischen Philosophen und Politiker Wjatscheslaw Lypynskyj. Er kam im Westen der heutigen Ukraine – damals das Russische Kaiserreich – zur Welt und starb mittellos 1931 in Österreich. Die Zeiten, in denen Lypynskyj lebte, waren Zeiten von großen Umwälzungen und Chaos. Mehrere Fluchtwellen erlebte die Ukraine im 20. Jahrhundert. Eine davon war in den 1920er Jahren. Die demokratischen Kräfte hatten verloren, die Bolschewiki gewonnen. Mehr als 50.000 Menschen – fast die gesamte Elite des Landes – musste fliehen. „Lypynskyj verkörpert diese Geschichte“, sagt Maljartschuk.
Wochen- und monatelang ging sie auf Recherche, las unzählige Zeitungsartikel und Briefe Lypynskyjs. Einen Bibliothekar in Wien habe sie damit überrascht, als sie nach den in der österreichischen Landeshauptstadt in ukrainischer Sprache erschienen Zeitungen fragte. In den 1920er Jahren wurden gleich mehrere davon gedruckt. Dass es so etwas gab, war dem Mann gar nicht bewusst.
„Von Lypynskyj sind viele Briefe erhalten“, sagt die Autorin, „er schrieb manchmal mehr als zehn am Tag.“ Für sie war es eine unglaubliche Lektüre. In seinen Zeilen spüre man die Tragödie, die er durchlebt hat. „Er hat sein ganzes Leben mit der Idee verbracht, wie man dieses Land zusammenbringt.“ Lypynskyj war aber auch ein Hypochonder. Gegen Ende seines Lebens litt er an Tuberkulose. Genau hielt er in seinen Briefen fest, welche Krankheiten er hatte und welche Medikamente er dagegen einnahm. Maljartschuk beschäftigte sich so sehr mit der Figur, dass sie schon begann, von ihr zu träumen, wie sie in Siegen verriet. „Es war für mich schwer, das Ende zu schreiben“, sagt sie.
Im Original heißt das Buch Sabuttja, was wörtlich übersetzt Vergessenheit bedeutet. Doch das Wort passte nicht so ganz als Titel und deshalb wurde „Blauwal der Erinnerung“ daraus. Nun kommt tatsächlich ein Blauwal in dem Roman vor. Ist er extra für die deutsche Übersetzung in das Buch eingefügt worden? „Nein, ich habe das Buch nicht umgeschrieben“, sagt Maljartschuk. Der Blauwal sei eine Metapher. „Er verschlingt sehr viel, aber will nichts Böses.“ Ähnlich wie Erinnerungen von der Zeit verschlungen werden. Sie geraten in Vergessenheit. Maljartschuk möchte mit ihrem Buch die Erinnerungen wieder zurückholen.
Seit das Buch vor sechs Jahren erschienen ist, habe „es eine erstaunlich große Leserschaft“ erreicht. Mittlerweile ist das Buch ausverkauft, obwohl – wie die Autorin sagt – es keine Merkmale eines Beststellers habe. Mit ihrem Buch ist es ihr gelungen, den vergessenen Historiker aus dem vergangenen Jahrhundert einem größeren Publikum bekannt zu machen. „Er würde darüber lachen“, sagt Maljartschuk.
Aktuell schreibe Maljartschuk nicht. „Aber ich schreibe Notizen. Und ich rede zurzeit mit sehr vielen Menschen. Das tut mir gut.“