RZ-Umfrage: Angriff auf die Ukraine ist Thema im Unterricht - Aktionen für den Frieden gestartet - Schulleiter: Bildungsministerium lässt uns allein
Ukraine-Krieg im Unterricht: Thema lässt weder Schüler noch Lehrer im AK-Land kalt
Simone Löcherbach (hinten links), Direktorin des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Betzdorf-Kirchen, und Lehrerin Renate Grosch vorm Geschichte-Leistungskurs der MSS 12. Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist an allen Schulen im AK-Land ein wichtiges Thema. Foto: Peter Seel
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Kreis Altenkirchen. Der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine beschäftigt natürlich auch die Schulen im Kreis. Bei einer Umfrage unserer Zeitung bei einigen Schulen war immer wieder dasselbe zu hören.

Simone Löcherbach (hinten links), Direktorin des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums Betzdorf-Kirchen, und Lehrerin Renate Grosch vorm Geschichte-Leistungskurs der MSS 12. Der Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist an allen Schulen im AK-Land ein wichtiges Thema. Foto: Peter Seel
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Viele Schüler haben Fragen zu den globalen und historischen Zusammenhängen, haben Ängste vor einer Ausweitung des Konflikts, sodass das Thema vielerorts nicht nur im Geschichtsunterricht aufgegriffen wird, sondern in Religion, Ethik, Deutsch, Sozialkunde und anderen Fächern.

Die Lehrer versuchen besonders bei den jüngeren Schülern, behutsam mit der Sache umzugehen – und auch mal abzulenken, indem anderer Unterrichtsstoff oder einfach auch mal etwas zum Lachen geboten wird.Vielfach starten die Schüler des AK-Landes, um sich nicht einer frustrierenden Passivität überlassen zu müssen, auch Aktionen: Protest gegen den Krieg, gegen Putin. Mahnungen vor dem Schrecken von Raketen und Bomben. Friedenstauben in den ukrainischen Nationalfarben Gelb und Blau. Gebete. Nur ein Beispiel von vielen ist die Hermann-Gmeiner-Realschule plus in Daaden, deren AG Friedenserziehung-Geschichte täglich ihre Friedensglocke ins Freie trägt und für jeden Tag des Krieges in der Ukraine zwei Glockenschläge ins Daadetal hinabschallen lässt.

Verschweigen sollte man aber auch nicht, dass es – oftmals bei den mittleren Klassen – viele Jugendliche gibt, die möglichst wenig vom Krieg hören wollen und die nach der ohnehin so viele Freiheiten einschränkenden Corona-Krise lieber an Partys und Freizeit denken möchten. Ob es sich dabei allerdings um die Verdrängung von durchaus vorhandenen Ängsten oder um Ignoranz, Oberflächlichkeit und fehlende Empathie zugunsten einer sorglosen Zeit handelt, die es seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar nicht mehr gibt, das mag dahingestellt sein.

An den Grundschulen ist viel Interesse an den Geschehnissen zu spüren, die sich keine 1000 Kilometer von uns entfernt abspielen – und auch viel Verunsicherung. Das bestätigt auch Lars Lamowski, Rektor der Michael-Grundschule in Kirchen und stellvertretender Landesvorsitzender und bildungspolitischer Sprecher des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE) in Rheinland-Pfalz. „Seit Beginn des Krieges“, erklärt Lamowski, „haben Kinder unserer Schule Fragen und tragen das Thema mit in den Unterricht.

Unsere Lehrerinnen und Lehrer greifen das Thema sofort und gerne auf und lassen auch mal Deutsch und Mathematik links liegen, um den Kindern zu helfen zu verstehen, was wir selbst kaum begreifen können.“ Und wie an so vielen Schulen im Land, wurden auch an der Grundschule in Kirchen, berichtet der Schulleiter, Friedenstauben gebastelt, „um den Kindern das Gefühl zu geben, etwas tun zu können“.

Zugleich klagt Lamowski über Personalengpässe, um die Probleme der Zeit stemmen zu können, und kritisiert eine fehlende Unterstützung aus Mainz: „Die Schulen werden bis auf die üblichen Materialien und Internetlinks vom Bildungsministerium alleine gelassen. Wir brauchen dringend viel mehr ausgebildetes Personal an den Schulen, um den vorgeschriebenen Unterricht anbieten zu können, aber auch, um Corona-Lücken zu schließen und nun auch die ukrainischen Kinder angemessen zu integrieren und es ihnen zu ermöglichen, Deutsch zu lernen. Denn was nutzt alles Material, wenn kein Personal vorhanden ist, das es einsetzen kann?“

Auch am Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Betzdorf-Kirchen beherrsche der Krieg in der Ukraine die meisten Diskussionen in den Klassen, berichtet Direktorin Simone Löcherbach. Vor allem gleich am ersten Mittwoch nach den Winterferien, als der russische Angriff erst eine Woche zurücklag, hätten Schüler und Lehrer sich mit dem Thema beschäftigt. In Fächern wie Englisch oder Religion komme auch oft zur Sprache, wie die Bilder und Nachrichten emotional auf die Schüler wirken. Löcherbach: „Und da ist viel Redebedarf, das merkt man immer wieder.“

„Der Gedanke, dass da mitten in Europa zwei große Länder im Krieg sind“, sagt etwa Lukas Weber (17) aus Biersdorf vom Geschichte-Leistungskurs der MSS 12, „dass Russland den schwächeren Nachbarn einfach angreift und erobern will, das kann man kaum glauben. Man traut sich kaum noch, die Nachrichten einzuschalten und betet für ein Ende der Kämpfe. Aber die Aussicht ist schlecht.“ Julia Leuchte (17) aus Kirchen, ebenfalls im Geschichte-Leistungskurs, stimmt zu: „Was soll man sagen, außer dass es schlimm ist. Man kann kaum helfen, außer indem man spendet.“

Und Lehrerin Renate Grosch erklärt: „Ich wäre ja keine Geschichtslehrerin, wenn ich den Krieg nicht thematisieren würde. Die aktuelle Lage fließt immer auch in andere Unterrichtsstoffe ein. Momentan behandeln wir das Thema Imperialismus. Da ist man dann schnell beim Neoimperialismus und den post-sowjetischen imperialen Eroberungsideen.“

Das Gymnasium hatte gleich nach Beginn des Kriegs mit einer großen Friedenszeichen-Aktion zur Mahnung von sich hören lassen (die RZ berichtete). Große und kleine Schüler hatten Friedenstauben gemalt. „Jetzt ist Demokratie-Erziehung noch wichtiger geworden“, erklärt Direktorin Löcherbach. „Gleichheit, Freiheit, Souveränität – diese Werte sind allen wieder sehr bewusst geworden. Und Voraussetzung für all das ist die Demokratie.“ Und Löcherbach hebt einen weiteren wichtigen Aspekt hervor: „Allen Schülern ist klar, dass nicht Russland der Aggressor ist, sondern Putin.“

Von unserem Redakteur Peter Seel

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