Inmitten rauschender Wälder liegt der kleine Ort Werfen. Ruhige Straßen und saftige Wiesen prägen das Bild, und wahrscheinlich sagen sich hier Fuchs und Hase nur zu gerne „Gute Nacht“. Wenn im Dörfchen auch die Zeit stillzustehen scheint – für Torsten Reichmann gilt das ganz und gar nicht.
Beim Interviewtermin am Morgen ist der Uhrmacher allein in seinem Laden „Pendel & Feder“. Trotzdem herrscht in den Räumen eine eigenartige Betriebsamkeit. Überall tickt und summt es, und wie es der Zufall will, ist gerade die volle Stunde erreicht. „Dong, dong, dong“, „Pingpingpingpingping“, „Dummm, dummm, dummm“, „Kuckuck, Kuckuck“ macht es aus allen Ecken und Winkeln, und fast scheint es, als hätten die rund 40 Uhren, die Torsten Reichmann gerade repariert, ihre helle Freude daran, sich zu diesem Getöse zu verabreden. Der „Herr der Zeiten“ muss lachen. „Ja, so ist das hier immer“, sagt er und bittet erst einmal hinein in seine Zauberwelt. Falls die Absicht bestanden hatte, zuerst ganz vorbildlich über seinen beruflichen Lebenslauf zu sprechen, dann wird diese nun schnell beiseitegeschoben – viel zu überwältigend ist die Präsenz all dieser „Mitbewohner“. Deshalb bietet sich erst einmal ein Rundgang an. Aber da klopft es. Eine Kundin bringt eine kleine Armbanduhr vorbei, die sie vor 40 Jahren als Siebzehnjährige geschenkt bekam und die (wenig überraschend) nicht mehr läuft. Nun ist die Frage, ob Torsten Reichmann Abhilfe schaffen kann – „wenn es sich lohnt“, wie die Besitzerin betont. Der Experte inspiziert das alte Schätzchen erst einmal, tüftelt eine Weile, und dann tickt die Uhr auch schon wieder. Das ging diesmal schnell. „Ach wie schön! Wie schön!“, jubelt die Kundin.
„Bei den Uhren handelt es sich immer um Erbstücke oder Erinnerungen, und deshalb habe ich zu vielen Kunden ein enges, vertrautes Verhältnis.“
Uhrmacher Torsten Reichmann über den sensiblen Umgang mit den Geschichten, die sich hinter den Uhren verbergen.
Es sind Geschichten wie diese, die Torsten Reichmann seit fast 25 Jahren täglich hört. Der Verbindung zu Uhrmodellen aus mehreren Jahrhunderten, aber auch die Begegnung mit ihren Besitzern bedeuten ihm sehr viel. Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit seiner Reparaturen kann er deshalb im Grunde ausklammern, denn hier geht es um etwas anderes, wie er beim Gespräch erklärt, das übrigens unter sehr originellen Bedingungen abläuft. Denn währenddessen klopft, schabt und surrt es leise in allen Räumen, als würde eine Horde Heinzelmännchen emsig mitreparieren. Kein Zweifel, die Uhren haben ein Eigenleben, und der dazugehörige „Soundtrack“ läuft nun einmal 24 Stunden lang mit.
„Ich habe viele Kunden, die nichts erwarten. Aber ich setze mich dran und mache es“, sagt der Uhrmacher schmunzelnd, während er seinen präzise aufgeräumten Werktisch im Laden, den Arbeitsraum mit Sägen, Feilen und Bohrern aller Art und die Kammer für spezielle Reinigungsvorgänge vorführt. Es handele sich bei den defekten Uhren fast immer um Erinnerungsstücke an Lebensorte, an liebe Menschen oder an unvergessliche Ereignisse. „Der Wert ist eigentlich immer ideell. Die Besitzer der Uhren erfahren nach der Abgabe ihrer Lieblingsstücke erst dann wieder von mir, wenn ich definitiv eine Aussage zum Erfolg der Reparatur machen kann.“ Danach gebe er eine klare Aussage über den Preis der Instandsetzung ab.
Berufsweg ergab sich eher durch Zufall
Um ermessen zu können, wie hoch spezialisiert Torsten Reichmann ist, muss nun doch ein Blick auf seinen Bildungsweg geworfen werden. „Ich habe 1986 eine Lehre zum Feinmechaniker mit Fachrichtung Präzisionsmechaniker an der Universität Jena gemacht und dort in der Forschung gearbeitet“, sagt er mit seinem charmanten Thüringer Zungenschlag „Danach habe ich mit einem Ingenieurstudium für Konstruktion und Entwicklung begonnen, das ich aber wegen unserer Ausreise abbrechen musste.“ Torsten Reichmann macht in der BRD seinen Technikerabschluss und will eigentlich zurück in die Forschung. Über eine uralte, völlig zerlegte Wanduhr, die er im Rahmen der Gründung des Leuscheider Kindergartens „Rappelkiste“ entdeckt, beginnt er aber mit dem Reparieren. Seine Werkstatt im eigenen Haus ist in den letzten 24 Jahren dann nach und nach gewachsen. Das Instandsetzen selbst außergewöhnlicher Uhrenarten ist Torsten Reichmanns Passion, er bietet in seinem Laden aber auch eine Auswahl an Modellen ausgesuchter Marken an. Zusätzlich arbeitet er auch überregional für diverse Uhrengeschäfte, die keine große Werkstatt unterhalten können.
Sein Fachwissen hat sich inzwischen über die verschlungenen Pfade der Uhrenliebhaber herumgesprochen. „Ich habe deutschsprachige Kunden aus aller Welt“, verrät er. Sämtliche Uhren durchlaufen einen Testlauf von vier bis sechs Wochen, bevor sie die Werkstatt verlassen, weshalb Torsten Reichmann immer von einer Vielzahl genesener Kandidaten umgeben ist. Manchmal gesellen sich auch Grammophone, alte Nähmaschinen oder Weihnachtsbaumständer mit Drehmechanismus und Melodie hinzu, denn auch hier sind Uhrwerke eingebaut. Es gäbe noch viel zu erzählen, aber da klopft es wieder, und Torsten Reichmann muss sich dem nächsten Uhren-Schicksal widmen. Und das tut er jedes Mal auf Neue mit Forschergeist, Leidenschaft und dem Wunsch, seine Kunden glücklich zu machen.
Fachmann für viele Modelle
Torsten Reichmanns Laden „Pendel & Feder“ ist in der Schnepper Straße 46 in Windeck-Werfen zu finden. Der Uhrmacher widmet sich der fachgerechten Reparatur von Standuhren aller Epochen und Stilrichtungen sowie der Restauration von Pendulen, Präzisionsuhren, der Reparatur von Wanduhren, Kuckucksuhren, Comptoise-Uhren, Bergischen und Schwarzwälder Uhren. Der Laden ist nach vorheriger Terminvereinbarung geöffnet. Torsten Reichmann ist montags bis donnerstags über viele Kanäle erreichbar.