Ein heller Märztag. Wieder einmal sind Niklas Irlich und zwei seiner bergbaubegeisterten Freunde im Höhwald oberhalb des „Pastorenwegs“ zwischen Brachbach und Mudersbach unterwegs. Im Bereich der ehemaligen Eisenerzgrube „Ecke“ bei Brachbach suchen sie nach alten „Pingen“, Überresten von Spuren der ersten Bergbautätigkeit in der Gegend.
Irlich, dessen Leidenschaft für den heimischen Erzabbau ihn sogar in den Bergmannsberuf „getrieben“ hat, dem er seit zehn Jahren im Salzbergbau am Niederrhein und im Kalibergbau an der Werra nachgeht, will bei dem Spaziergang noch beim Stollenmund des unter dem Waldweg gelegenen „Oberen Hansmichel“-Stollens vorbeischauen – und entdeckt dabei ein großes Loch zehn Meter oberhalb des Stollens.
Hier ist der Boden trichterförmig eingebrochen, eine klaffenden Wunde, und es geht fünf, sechs Meter in die Tiefe hinab. Wehe dem, der da hineinrutscht! Das weiß der 28-jährige Brachbacher sofort: Der Bergschaden bedeutet Lebensgefahr für jeden, der „nur mal“ einen Blick hineinwerfen will – und Irlich sorgte dafür, dass die Stelle abgesichert wird. Bis allerdings der heute rund um das Loch fest verschraubte Sicherungszaun an Ort und Stelle stand, das dauerte noch acht lange Wochen.
Mainzer Behörde schlief acht Wochen lang
„Den Bergschaden habe ich bei meiner bergbaulichen Forschungsarbeit am 20. März entdeckt“, berichtet Niklas Irlich, der seine Ausbildung in der Bergsicherung gemacht hat und jetzt eine Weiterbildung zum staatlich geprüften Bergbautechniker absolviert – früher „Steiger“ genannt. „Ich habe die Sache gemäß meiner beruflichen Kenntnisse als Gefahr für Leib und Leben erkannt und meldete ihn deshalb gleich am 21. März dem Landesamt für Geologie und Bergbau in Mainz.“
Jetzt kommt der Knaller: Erst am 30. Mai, mehr als acht (8!) Wochen später reagiert das Bergamt und teilte Irlich mit, dass es für den Altbergbau nicht zuständig sei und dass man sein Ersuchen an die Obere Bodenschutzbehörde (SGD Nord) sowie an die Ordnungspolizeibehörde (Ordnungsamt Kirchen) weitergeleitet hätte. Letztere sei in Rheinland-Pfalz für die konkrete Gefahrenabwehr zuständig.
Als Irlich das Loch gefunden hatte, wusste er: „Es ist verdammt nah am Waldweg und kann vor allem für im Wald spielende Kinder zu einer enormen Gefahr werden. Ich selbst habe als Kind in diesem Waldstück gespielt.“ Da darf man mit Fug und Recht von Glück sprechen, dass in den vergeudeten acht Wochen niemand an dem Loch zu Schaden gekommen ist. Die VG Kirchen war aber schnell: Christoph Muhl vom Ordnungsamt traf sich schon am 4. Juni mit Niklas Irlich zu einer Ortsbegehung, und es folgte sehr bald darauf die heute zu sehende großflächige Absperrung. Auch der „Pastorenweg“ wurde hier aus Sicherheitsgründen komplett gesperrt.
Laut Muhl ist es der erste größere Tagesbruch, der nicht gerade während einer Baumaßnahme, sondern aus heiterem Himmel und mitten im Wald buchstäblich zu Tage getreten ist. Irlich selbst ist in dem Bereich ein Experte, hat er doch den Beruf des Bergmanns in der Altbergbau-Schadstellensanierung erlernt und kennt die Problematik nur zu gut. „Auch erforsche ich seit wenigstens 15 Jahren die Geschichte des Brachbacher Bergbaus“, sagt er, „und ich kenne sowohl die derzeitige Situation in den verlassenen Gruben als auch die Gefahren, die davon ausgehen, sehr gut.“
Bürger auf die Gefahren sensibilisieren
Das Ordnungsamt Kirchen, Brachbachs Ortsbürgermeister Steffen Kappes und er sind sich einig, dass die Bevölkerung für den einstmaligen Bergbau im Ort noch einmal mit Nachdruck sensibilisiert werden muss. Irlich sagt das schon seit vielen Jahren: „Damit einhergehen muss insbesondere auch, dass jeder Wanderer mit offenen Augen durch die Wälder geht – und dass die Wanderwege unserer Region sowohl zu Fuß als auch mit dem Fahrrad nicht verlassen werden sollten.“
Die Gründe, die der Bergbauhistoriker nennt, leuchten ein: Das Siegerland, und dazu zählen wir in diesem Zusammenhang auch die Westerwälder Bergbaugebiete zwischen Herdorf und Mudersbach, ist laut Irlich die älteste Bergbauregion in ganz Deutschland, noch vor Harz und Erzgebirge. In allen drei Regionen ist der Boden von Stollen durchlöchert wie ein Schweizer Käse.
Irlich: „Die Dichte des Stollennetzes ist unglaublich. Allein in Brachbach sind 150 Grubenfelder nachgewiesen, also offiziell genehmigte Grundstücke, auf denen Bergbau betrieben werden darf...“ Da ist die Gefahr von weiteren solcher sich plötzlich auftuenden Stollenlöchern groß. Das bekannteste Beispiel stammt aus dem Jahr 2004, als sich am Rosterberg in Siegen, mitten in einem belebten Wohngebiet, unverhofft die Erde auftat und das „Siegener Loch“ hinterließ, ein Relikt der alten Grube „Hohe Grete“. Zwei Mehrfamilienhäuser wurden damals unbewohnbar und sind inzwischen abgerissen worden.
Auch Brachbachs Ortsbürgermeister Steffen Kappes hat sich den Bergschaden am „Pastorenweg“ zusammen mit Niklas Irlich genau angeschaut. Einer der Gründe für den plötzlichen Tagesbruch könnte ein alter Bekannter sein, vermutet er: der Borkenkäfer. „Durch den Schädling“, sagt Kappes, „starben die Bäume, und die mussten dann aus dem Wald geschafft werden. Da haben die entsprechenden Forstarbeiten mit den schweren Geräten wie den Harvestern durch die massiven Erschütterungen sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass hier der Stollen einstürzte.“
Dazu komme, sagt der Orts-Chef, dass der Felsboden der Region durch den Jahrhunderte langen Bergbau ohnehin recht brüchig sei – immerhin wird hier seit 1720 nach Eisenerz gegraben. „Dazu kommt noch, dass die Wurzeln der Bäume ja jede Menge Regenwasser weggesogen und in den Bäumen gehalten haben. Das fließt jetzt alles durch den Boden und macht ihn mürbe...“
Struktur- und Genehmigungs-Direktion (SGD) Nord prüft den Vorfall nun
Was passiert nun? Die Struktur- und Genehmigungs-Direktion (SGD) Nord will sich zum Monatsende ein Bild von der Situation machen und entscheiden, wie der Tagesbruch zu sichern ist. Das Eigentum an dem Bergwerk müsse zunächst allerdings geprüft werden, erläutert Niklaus Irlich. „Wenn kein konkreter Rechtsnachfolger bekannt ist, dann liegt das Eigentum an diesem Bergwerk bei der Ortsgemeinde Brachbach, die dann für die Sicherung aufkommen muss.“
Natürlich bestehe gerade wegen dieser Tatsache ein Interesse daran, dass es zu keinerlei Zwischenfällen kommt. Deshalb bleiben auch der Weg und der Bereich um den Bruch vorerst gesperrt. Spaziergänger und Mountainbiker werden dringend gebeten, auch weil die Gefahren nicht sicher abgeschätzt werden können, die Beschilderungen und Absperrungen zu beachten.
„Generell“, sagt Irlich, „ist ohnehin davon abzuraten, mit Mountainbikes, Crossmaschinen oder auch zu Fuß in den Brachbacher Wäldern querfeldein unterwegs zu sein. Gerade Zweiradfahrer nutzen die alten Pingen sehr gern mal als Sprungschanze und ahnen nicht, welcher Gefahr sie sich damit aussetzen. Wie reagiert man denn bei Tempo 40, wenn in einer Pinge vor einem auf einmal so ein Loch auftaucht? Zeit zum Bremsen ist da keine mehr – und der nächste Baum zum Abfangen des Flugs steht dann sicher auch schon bereit. Niemand kann die Gefahren des Altbergbaus abschätzen und das wird man auch nie können.“
Zur Geschichte des Bergbaus rund um Brachbach
Die Grube Hansmichel bei Brachbach wurde im Jahr 1848 „gemutet“, was bedeutet, dass ein Antrag auf Genehmigung zum Abbau von Eisenerz gestellt wurde. Der Bergbau in diesem Bereich ist aber wenigstens 100 Jahre älter. Die Grube gehörte bereits zehn Jahre später zur Grube Ecke. Die Grube Ecke wiederum gehörte ab 1897 zum Verbundbergwerk Apfelbaumer Zug, sodass wir laut dem Brachbacher Bergbauhistoriker Niklas Irlich „grundsätzlich davon sprechen können, dass sich der Apfelbaumer Zug 'zurückgemeldet' hat“. sel