Es ist ruhig am Dienstagmorgen in der kleinen syrischen Konditorei in der Hellerstraße in Betzdorf, direkt gegenüber dem Rathaus. „Hala Al-Sham steht über dem Eingang. Hala ist der Name der jüngsten Tochter des Chefs der Konditorei, Sultan Altahan und bedeutet Schönheit. In dem kleinen, blitzblanken Laden wartet Altahan auf Kundschaft.

In der Ladentheke aufgereiht locken seine selbst gebackenen, syrischen Spezialitäten und laden zum Probieren ein. Datteln, eingehüllt in einen Mantel aus Schokolade, verziert mit Sesam oder Kokos, Gebäck mit Mandeln, Baklava, grüne Rollen, deren Anblick alleine einen Pistazienschock verspricht, auch mit Walnuss, Pistazie, Haselnüssen, Mandeln oder was man sonst noch alles zwischen Yufka-Teigschichten stecken kann.
Syrer gelten als Meister arabischer Zuckerbäckerei
Die vielen Köstlichkeiten machen die Auswahl schwer. Syrer gelten als Meister arabischer Zuckerbäckerei. Sie setzen auf wenig Sirup, wenig Fett und das Ergebnis ist knusprig. Für Feingebäck-Spezialitäten wie Baklava, Kunafa oder Halawat Dschibn stehen die Menschen in großen Städten Schlange. In Betzdorf kann sich ein Kunde nicht entscheiden und nimmt deshalb kurzerhand eine gemischte Auswahl in ansprechender Verpackung mit. "Syrische Süßigkeiten“ steht auf den golden bedruckten Schachteln, in denen ein Kilo Feingebäck über die Theke geht. Die Menge ist kein Problem, das fertige Baklava lässt sich in Plastikdosen problemlos für einige Wochen im Kühlschrank aufbewahren. Man kann die Stücke in Dosen gepackt auch über mehrere Monate einfrieren, denn der süße Sirup konserviert ausgezeichnet.

Seit 2011 ist Syrien vom Krieg gezeichnet. Das ganze Ausmaß des Grauens spiegelt sich in den Zahlen wider. Mehr als eine halbe Million Menschen haben nach Schätzungen ihr Leben im Bürgerkrieg verloren, mehr als 14 Millionen Syrerinnen und Syrer mussten ihre Heimat verlassen. Über sechs Millionen Menschen flüchteten in Nachbarländer. Der Krieg in Syrien veränderte die Lebenssituation von Sultan Altahan und seiner Familie. 2015 flüchtete er aus seiner Heimatstadt Quneitra, eine Stadt auf den Golanhöhen im Südwesten von Syrien. Vor dem Abzug der israelischen Truppen haben diese im Juni 1974 nach syrischen Angaben die Stadt fast vollständig zerstört.
„Ohne meine Familie wäre das hier alles nicht möglich.“
Sultan Altahan
Sultan Altahan hat eine Odyssee hinter sich. Über Jordanien, die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien und Österreich schaffte es der heute 54-Jährige bis nach Deutschland. Ein Jahr später wurde der Nachzug seiner Frau und der sechs Kinder möglich. Von München aus gelangten sie nach Betzdorf, wo sie eine neue Heimat fanden. Der Anfang war schwer. Schwester, Bruder und andere Verwandte weit weg, keine Freunde, keine Kontakte, dazu die fremde Sprache. Während der Pandemie erkrankt Altahan schwer an Corona, konnte sich anschließend nur mühsam wieder im Alltag zurechtfinden. Und trotzdem gab er nicht auf. Als sich die Gelegenheit bietet, das kleine Ladenlokal zu mieten, greift er zu. Altahan wird selbstständiger Unternehmer und eröffnet seine erste Konditorei in Betzdorf.

„Ohne meine Familie wäre das hier alles nicht möglich“, so der Syrer. Zwei der erwachsenen Kinder sind mittlerweile ausgezogen, die vier anderen leben noch bei den Eltern, gehen zur Schule oder sind bereits im Studium. Eine Tochter macht gerade ihr Abitur. Die Familie halte fest zusammen. Das bestätigt seine Tochter, die in Mannheim lebt und momentan die Eltern besucht. „Dass ich eine Ausbildung zur Pharmazeutisch-technischen Assistentin machen konnte, das habe ich einzig meiner Mutter und meinem Vater zu verdanken.“

„Aus diesem Grunde versuche ich hier unbedingt mit meiner Konditorei Fuß zu fassen“, so Altahan. „In Jordanien hätte ich keine Möglichkeit gesehen, meine Kinder zu unterstützen und ihnen eine bestmögliche Schulausbildung zu gewährleisten.“ Was ihn allerdings umtreibt, das ist die Angst davor zu sterben, ohne seine syrische Heimat, die er immer im Herzen trägt, noch einmal gesehen zu haben.