Hybridlesung mit Anne Siegel bildet gelungenen Auftakt für Westerwälder Festival
Start mit „Hybridlesung“ in Wissen: Literaturtage trotzen Corona-Krise
Nicht nur beim Signieren in der Pause und nach der Veranstaltung waren die Bestseller-Autorin Anne Siegel und ihre Gäste entsprechend der Corona-Vorschriften gut geschützt. Foto: Julia Hilgeroth-Buchner
Julia Hilgeroth-Buchner

Wissen. Ein kleines literarisches Wunder ist geschehen: Die 19. Westerwälder Literaturtage sind eröffnet. Etwas später als geplant, etwas leiser und unter besonderen räumlichen Voraussetzungen, schlug die feierliche Premiere mit der Autorin und Island-Kennerin Anne Siegel der Corona-Krise ein Schnippchen.

Erleichterung und Freude sprachen aus den Reden zu Beginn. „Ich begrüße alle starken, wilden Frauen und die lieben Männer, die das gut aushalten“, sagte Maria Bastian-Erll, die Gesamtleiterin der Literaturtage, und spielte damit schon auf den Hauptdarsteller des Abends an – Anne Siegels Bestseller „Wo die wilden Frauen wohnen“. Bastian-Erll dankte den Ehrengästen für ihr Kommen, darunter Jürgen Hardeck vom Kultursommer Rheinland-Pfalz und die Vorsitzende der Initiative „Wir Westerwälder“, Sandra Köster. Ein Lob ging aber auch an das Team des Wissener Kulturwerks, allen voran Geschäftsführer Dominik Weitershagen, und an die Wissener Eigenart, die maßgeblich zur Rettung des Projekts beigetragen hatten.

Die Eröffnungslaudatio hielt der rheinland-pfälzische Kulturminister Konrad Wolf. „Das war schon eine Vollbremsung, als Ende März die Pandemie unser aller Leben so stark verändert hat“, erinnerte sich Wolf. Vor allem die Kultur sei stark betroffen. Deshalb setze sich das Ministerium dafür ein, dass kulturelle Veranstaltungen in „irgendeiner Form mit Publikum stattfinden könnten“. Die Situation verändere sich ständig. „Aber unsere Partner wissen, dass sie sich auf uns verlassen können“, betonte der Minister und bedankte sich in diesem Zusammenhang bei den Organisatoren, aber auch beim Landkreis Altenkirchen, dem Landkreis Neuwied und dem Westerwaldkreis. Mit der Premierenlesung von Anne Siegels neuem Buch würden die Literaturtage nun passend eröffnet, weil es in Rheinland-Pfalz auch viele starke Frauen gebe. Außerdem werfe das Motto des Kultursommers, „Kompass Europa: Nordlichter“, einen in diesen Zeiten wichtigen Blick über Deutschland hinaus. Landrat Peter Enders wies beeindruckt auf die Herausforderungen hin, die das Organisationsteam gemeistert habe. „Die Literaturtage sind längst ein Aushängeschild für die gesamte Region“, so Enders. Literatur bereichere – das hätten viele Menschen in der Krise neu entdeckt.

Als Anne Siegel dann mit einem strahlenden Lächeln die Bühne betrat, da machten es sich die Besucher so richtig gemütlich. Denn Krise hin oder her, das Kulturwerk versprühte auch unter den coronalen Umständen seinen unwiderstehlichen Charme. Die erforderlichen Abstände zwischen den Tischen erzeugten überraschenderweise keine Entfremdung, sondern eine optische Auslastung der Halle, so dass sich Anne Siegel ganz und gar nicht verloren vorkam. Und sicher war auch der unsichtbare Teil des Publikums gespannt, was die Autorin im Reisegepäck haben würde – die Premiere war nämlich als Hybridveranstaltung konzipiert, die zusätzlich per Live-stream verfolgt werden konnte. Alles sehr aufregend also, und genau diese knisternde Stimmung wusste Anne Siegel zu nutzen. Es hätte kaum eine geeignetere Protagonistin geben können, um die Corona-Last von den Schultern der Literaturfreunde zu nehmen, denn für die Kölnerin wurde das Wort „Temperament“ offenbar höchstpersönlich erfunden. Siegel hatte schon im Vorfeld verlauten lassen, dass sie einen aktiven Vortragstil der „Wasserglaslesung“ vorziehe. Somit erwies sie sich von der ersten Minute an als erfahrene Entertainerin, die ihr Publikum in Kürze mit der Lebensphilosophie der Isländer(innen) vertraut machte. Zehn außergewöhnliche Frauen porträtiert die Autorin in ihrem Buch, ins Kulturwerk schafften es aber eigentlich nur drei: eine Rangerin, eine Seefahrerin und eine Brauerin. Diese Persönlichkeiten stellte Siegel mit Liebe und gehörigem Respekt vor. Darüber hinaus wurde die Autorin ihrer unmissverständlichen Ansage zu Beginn der Lesung gerecht – „Sie kommen ja, um etwas über das Buch zu hören, lesen können Sie es später“ – und verlegte sich aufs Erzählen. Dazwischen allerdings schoben sich Werbeblöcke in eigener Sache, die manchen Gast stutzen ließen. Das Thema „Mein kosmopolitischer Berufsalltag und ich“ – einschließlich eines lustvollen Bekenntnisses zur Vielfliegerei – kam dabei noch vergleichsweise witzig und unterhaltsam daher.

Unterm Strich war es eine schwungvolle, befreiende Premiere, die literaturbegeisterte Menschen aus der ganzen Region nach langen Wochen der Isolation wieder zueinander führte. Dieser Abend bewies, dass die Kraft des geschriebenen Wortes alle Krisen überstehen kann.

Von unserer Mitarbeiterin
Julia Hilgeroth-Buchner

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