Das Wetter heute könnte besser sein. Es ist leicht diesig, etwas Nieselregen fällt, der Herbstwald wirkt im Hintergrund eher trüb als golden. Trotzdem hat Dirk Adorf ein Lächeln im Gesicht, während er zum Raiffeisenturm zeigt. Der 34 Meter hohe Turm steht auf der 309 Meter hohen Erhebung, die Beulskopp heißt und zur Gemarkung Heupelzen gehört. 1990 wurde der Turm gebaut, und Dirk Adorf hat einen ganz besonderen Bezug dazu, denn sein Vater Friedhelm Adorf war bei den Initiatoren und Erbauern dabei. Außerdem hat Dirk Adorf seine Kindheit in den Wälder verbracht, vor deren Kulisse der Aussichtsturm erbaut wurde.
Er erinnert sich noch daran, wie 1985 dort ein zweiwöchiges Meilerfest gefeiert wurde. Der MGV Beul-Heupelzen hatte dazu eingeladen, dem sein Vater angehörte. „Da war jeden Abend was los, dadurch wurde die ganze Region aufmerksam auf den Beulskopp. So kam dann die Idee mit dem Aussichtsturm“, erinnert er sich. Der Turm an dieser Stelle mache „absolut Sinn“. Er blickt hoch und deutet mit seinem Regenschirm auf die Plattform in etwa 30 Metern Höhe. „Von da aus kann man in alle Richtungen sehen, das hat schon was.“
Bei langen Laufrunden geht es auch nach Heupelzen
Er selbst lebt mittlerweile nicht mehr in Heupelzen, ist mit Frau und Sohn nach Michelbach gezogen. „Aber ich laufe leidenschaftlich gerne. Nicht Kurzstrecke wie mein Vater, sondern lang. So 20 Kilometer. Da führt mich meine Runde oft hier entlang.“ Überhaupt hängen viele Erinnerungen für ihn mit Heupelzen und auch mit dem Beulskopp zusammen. „Wir haben als Kinder hier in der Nähe auf dem Fußballplatz gespielt. Und einmal haben ein Kumpel und ich einen alten Käfer gefunden. Den haben wir uns wieder fahrbar gemacht. Zuhause hab ich mir dann einen Kanister Benzin geklaut und dann sind wir damit rumgefahren“; verrät er eine seiner Jugendsünden. 12 sei er damals gewesen, der Freund 14.
Auch sein Sohn, gerade mal drei Jahre alt, liebe es, am Sonntag erst in der nahe gelegenen Hubertushöhe einen leckeren Kuchen zu essen, und dann zum Turm zu gehen. „Das hier, das ist Heimat für mich“, sagt er und klingt plötzlich nachdenklich. „Im Motorsport habe ich viele kennengelernt, die gesagt haben: 'Heimat ist da, wo ich gerade lebe.' Das ist für mich nicht so. Zuhause war schon immer für mich da, wo ich meine Kindheit verbracht habe.“
Der Start ins Rennfahrerleben beginnt mit einem hohen Kredit
Beim Punkt Rennsport hat er dann natürlich viel zu erzählen. Wie etwa, dass er sich seinen ersten Rennwagen mit einem Kredit von 40000 Mark finanzierte, dass er wusste, er hatte nur acht Rennen Zeit, um zu zeigen, was in ihm steckt. Es klappte. Ein Jahr später konnte er fahren, ohne draufzuzahlen. Zwei Jahre später war der Kredit abbezahlt.
Was dann folgte, war eine einzigartige Karriere. Denn Dirk Adorf ist seit 1991 professionell im Motorsport unterwegs. Er war vor allem im Bereich Tourenwagen- und GT-Sport aktiv. Bis 2001 wechselte er mehrmals zwischen der DTC (Deutsche Tourenwagen Challenge; heute: Procar-Serie) und der VLN Langstreckenmeisterschaft Nürburgring. 2002 startete er ausschließlich in der V8STAR-Serie, einer deutschen Silhouetten-Tourenwagen-Meisterschaft. Im darauf folgenden Jahr kam noch die Langstreckenmeisterschaft hinzu, ebenfalls auf einem V8-Star-Fahrzeug.
Bislang sieben Gesamtsiege
Seit 2010 ist Dirk Adorf Werksfahrer für BMW. Insgesamt kommt er auf bislang sieben Gesamtsiege – zuletzt 2014 auf einem BMW Z4 GT3 – in der VLN-Langstreckenmeisterschaft und 56 Klassensiege. Zudem wurde er Meister der VLN-Langstreckenmeisterschaft in den Jahren 1992, 1996 und 1997. 2004 und 2005 wurde er zum Nürburgring-Fahrer des Jahres gewählt. Des Weiteren trat er insgesamt 32 mal (davon 28 mal beim 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring, einmal in Spa, zweimal in Dubai und einmal in Bahrain) bei 24-Stunden-Rennen an.
2009 sicherte er sich die Poleposition auf einem Ford GT. 2017 nahm er an diesem Rennen mit einem BMW M4 GT4 teil und fuhr einen Klassensieg ein. Da Adorf als Nürburgring-Nordschleifen-Experte gilt, war er dort 2022 Teilnehmer des BMW M Race of Legends. Seit 2007 ist der 55-Jährige zudem Kommentator bei Rennsportübertragungen, zunächst für Eurosport, später dann für RTL, wo er heute noch moderiert, als Experte durch Rennen führt und – wohl einzigartig – beim 24-Stunden-Rennen alles zusammen macht, während er selbst als Fahrer seine Runden dreht.
Mit dem Rennzirkus über die gesamte Welt
Mit dem Rennzirkus, wie er die kleine, eingeschworene Gemeinschaft nennt, sei er um die ganze Welt gereist. Alle zwei Wochen woanders. Geerdet habe ihn dann die Heimat. Und die Arbeit in der Firma, denn auch wenn Adorf sicher vom Rennsport allein hätte leben können, habe das Autohaus, das sein Vater einst gegründet hat, für ihn immer Vorrang gehabt. „Das ist meine Basis. Die Mitarbeiter sind wie Familie. Ich will, dass es ihnen gut geht und sie sicher sein können, dass sie einen sicheren Arbeitsplatz haben.“
Bodenständig, wo viele andere gerade im Rennsport schnell die Haftung verlieren. „Kein Wunder, die ganze Aufmerksamkeit, das viele Geld“, sagt er, gibt aber zu bedenken, dass nur etwa 30 Sportler in Deutschland vom Rennsport allein leben könnten. „Das ist schon ein sehr elitärer Sport. Ich bin davon überzeugt, dass der beste Fahrer irgendwo da draußen ist, aber nie entdeckt wird, weil er eben nicht aus einer Familie kommt, die das Geld hat für diesen Sport.“
„Jeder sollte einmal im Leben die Chance haben, mit Top-Material zu zeigen, was er kann.“
Dirk Adorf
Kein Wunder also, dass Dirk Adorf, der seine aktive Karriere zwar noch nicht beendet hat, aber bei Weitem nicht mehr so viel unterwegs ist, seine neue Leidenschaft darin gefunden hat, sich bei BMW um den Nachwuchs zu kümmern. Seit 2011 ist er Mentor und Coach für das BMW-Motorsport-Juniorteam (Juniorprogramm), welches 2017 das 40-jährige Jubiläum feierte. „Jeder sollte einmal im Leben die Chance haben, mit Top-Material zu zeigen, was er kann“, ist sein Motto.
Doch noch mal zurück zum Beulskopp. „Hier zu sein, entspannt mich“, sagt er und klettert bereits das Holzgerüst hinauf. Ganz oben ist die Luft klarer, der Fernblick atemberaubend. „Das ist wirklich einer meiner Lieblingsplätze“; sagt Adorf, und das ist eine echte Auszeichnung von jemandem, der die Welt so oft bereist hat wie er.