Mit Spannung blickt auch der Kreis Altenkirchen auf das mögliche Zustandekommen einer schwarz-roten Koalition in Berlin. Wir haben mit Kreispolitikern gesprochen, welche Chancen sie einem solchen Bündnis einräumen und wo sie Probleme sehen.
„Das Zweitstimmenergebnis zeigt auch im Wahlkreis 196 ganz klar, dass die an der Ampel beteiligten Parteien von den Wählerinnen und Wählern durchweg abgestraft wurden, allen voran die Kanzlerpartei SPD“, resümiert Jan Hellinghausen, Co-Vorsitzender der SPD im Kreis Altenkirchen. Auch wenn die SPD im Wahlkreis über dem Bundesschnitt liege, sei das ein bitteres Ergebnis, das man auch als „Hausaufgabe“ vor Ort annehmen müsse. „Mit Blick auf die Erststimmen habe ich unter schwierigen Rahmenbedingungen – vorgezogene Neuwahl und kurzfristige Kandidatur – nach einem intensiven Wahlkampf gemeinsam mit meiner Partei einen respektablen zweiten Platz erzielt. Auf dieses Ergebnis gilt es nun mit Blick auf 2029 aufzubauen“, so der unterlegene Direktkandidat der Genossen.
Wenn es eine Chance dieser Koalition gibt, dann, dass diese ein besseres Bild in der Öffentlichkeit abgibt als zuletzt die Ampel und Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit nun konsequent anpackt.
Jan Hellinghausen, Co-Vorsitzender der SPD im Kreis Altenkirchen
Er gehe davon aus, dass jetzt zügig eine Regierungsbildung erfolgt. Dies gebiete nicht nur die weltpolitische Lage, sondern auch die innenpolitischen Herausforderungen. Dennoch zeigt sich Hellinghausen aktuell eher pessimistisch, was eine schwarz-rote Koalition angeht. Es fehle die positive Zukunftserzählung, die es 2021 mit der „Fortschrittskoalition“ gegeben habe – und die diese letztlich nicht habe einlösen können. „Es ist in meinen Augen schwierig, wenn eine Koalition als reines Zweckbündnis antritt, um Schlimmeres zu verhindern. Zwar zeigt sich die Linke gesprächsbereit, was das Thema Zweidrittelmehrheit für tiefgreifende Veränderungen angeht, die nun notwendig sind (Stichwort Schuldenbremse), aber dies wird eine Zusammenarbeit mit der CDU in Verbindung mit deren Unvereinbarkeitsbeschluss sicher nicht vereinfachen“, ist der Scheuerfelder überzeugt.
Letztlich habe die SPD aber immer Verantwortung für das Land übernommen, wenn es notwendig gewesen sei. „Wenn es eine Chance dieser Koalition gibt, dann, dass diese ein besseres Bild in der Öffentlichkeit abgibt als zuletzt die Ampel und Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit nun konsequent anpackt. Dafür müssen aber beide Seiten vertrauensvoll zusammenarbeiten – und daran habe ich nach Merz’ Rede in München große Zweifel“, unterstreicht Hellinghausen seine Skepsis.
Gemeinsam mit der SPD müssen wir uns dieser großen Verantwortung bewusst sein. Die Menschen erwarten einen Politikwechsel in der Wirtschafts- und Migrationspolitik.
Matthias Reuber, Vorsitzender der CDU im Kreis Altenkirchen
„Ich freue mich, dass wir mit Ellen Demuth den Wahlkreis gewinnen konnten. Sie wird sich in Berlin mit ihrer Erfahrung und Kompetenz für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Wahlkreis 196 einsetzen“, kommentiert Matthias Reuber, CDU-Vorsitzender im Kreis Altenkirchen, den Ausgang der Wahl. Das Ergebnis auf Bundesebene sei für die CDU aber sehr enttäuschend. „Ich hätte mir ein Ergebnis von mindestens 30 Prozent erhofft. Leider haben wir das nicht geschafft. Die Gründe dafür müssen wir nun intern genau analysieren. Unser Anspruch muss ein anderer sein. Dies gilt auch für das Ergebnis im Wahlkreis 196 mit dem deutlichen Stimmenzuwachs für die AfD“, so der Mainzer Landtagsabgeordnete. Vor dem Hintergrund der innen- und außenpolitischen Herausforderungen erhoffe er sich nun eine schnelle Regierungsbildung. „Gemeinsam mit der SPD müssen wir uns dieser großen Verantwortung bewusst sein. Die Menschen erwarten einen Politikwechsel in der Wirtschafts- und Migrationspolitik. Das hat das Ergebnis von gestern deutlich gezeigt“, ist Reuber überzeugt.
Chancen sieht er darin, dass SPD und CDU aus der Mitte der politischen Landschaft heraus das Migrationsproblem lösen können. „Mit einer neu aufgestellten Führung der SPD unter Klingbeil und Pistorius sehe ich auch außenpolitisch neue Chancen. Einen Knackpunkt sehe ich darin, dass Große Koalitionen in der Vergangenheit oft einen ´schlechten Ruf` hatten. Wenn jeder Partner dem anderen Zugeständnisse erbringt, sehe ich aber die Möglichkeit, dass die wichtigen Themen diesmal kraftvoll angepackt werden“, betont der heimische Christdemokrat abschließend.
„Auch die wirtschaftlichen Probleme werden Union und SPD zielgerichtet angehen können, weil die SPD keine Rücksicht mehr auf grüne Ideologie nehmen muss.“
Landrat Peter Enders
„Zunächst ist es bedauerlich, dass wir nur noch zwei Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis haben. Ich möchte mich ausdrücklich bei Sandra Weeser für ihren Einsatz in den letzten Jahren bedanken, sie war für uns als Kreis immer ansprechbar. Zudem freue ich mich natürlich über das Ergebnis von Ellen Demuth, die sicher das Engagement von Erwin Rüddel fortsetzen wird“, kommentiert Peter Enders, Landrat im Kreis Altenkirchen, den Wahlausgang. Der enorme Zuwachs der AfD ist für ihn ein Alarmsignal. „Das hängt natürlich mit der ungelösten Migrationsdebatte zusammen. Fest steht: Seit 2015 findet Artikel 16a des Grundgesetzes keine Beachtung mehr. Das muss sich ändern“, fordert Enders entschlossen. Er sei aber überzeugt, dass Friedrich Merz dieses Problem in einer Koalition der Mitte mit den Sozialdemokraten lösen werde. „Auch die wirtschaftlichen Probleme werden Union und SPD zielgerichtet angehen können, weil die SPD keine Rücksicht mehr auf grüne Ideologie nehmen muss“, gibt sich der Landrat optimistisch.
„Das Wahlergebnis für Bündnis 90/Die Grünen ist natürlich nicht herausragend, aber der Stimmverlust ist weit weniger dramatisch als bei den anderen Ampelparteien, und auch im Kreis haben wir keine großen Verluste erlitten“, sagen Placido Grigoli und Susanne Leber, die Vorstandssprecher des Grünen-Kreisverbandes. Viel dramatischer bewertet das Duo „den exorbitanten Anstieg“ der AfD. Das mache Angst. „Viele Menschen haben sich aus Frust für die einfachen Parolen der AfD entschieden. Das müssen wir als Warnruf verstehen und hart daran arbeiten, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen“, so die Vorstandsspitze.

Demuth holt sich das Direktmandat im Wahlkreis Neuwied
Die Wähler haben entschieden - und schicken die Linzerin Ellen Demuth per Direktmandat nach Berlin. Bei den Zweitstimmen spiegelt sich im Wahlkreis Neuwied der Bundestrend wider.
Von einer Regierungsbildung in Berlin erwarten beide, dass es eine stabile Koalition gibt, die sich nicht von den AfD-Narrativen leiten lässt, sondern die Menschen ernst nimmt, tragfähige Lösungen anbietet und umsetzt. „Bei aller Problematik in der Migrations- und Wirtschaftspolitik, der Klima- und Umweltschutz darf nicht aus den Augen verloren werden. In der Asyl- und Migrationspolitik wünschen wir uns ein menschenwürdiges Handeln“, betonen Leber und Grigoli. Was die Außen- und Sicherheitspolitik betrifft, fordern sie ein starkes und geeintes Europa, um den Frieden wiederherzustellen und zu sichern. Alle demokratischen Parteien müssten sich die Frage stellen, wie die nächsten vier Jahre gestaltet werden sollen, sonst drohe 2029 ein großes Dilemma. „Der Druck auf die neue Koalition ist enorm, außen- wie innenpolitisch“, so das Duo abschließend.
„Das Ausscheiden der FDP aus dem Deutschen Bundestag ist ein echter Nackenschlag und eine herbe Enttäuschung“, kommentiert Christian Chahem, Vorsitzender der Liberalen im Kreis Altenkirchen. „Ich war fest davon überzeugt, dass wir den Wiedereinzug schaffen. Nach 2013 müssen wir nun zum zweiten Mal in unserer Geschichte den bitteren Gang in die außerparlamentarische Opposition antreten. Als Liberaler ist das Glas trotz allem immer halb voll, auch wenn es dieses Mal besonders schwerfällt“, so der FDP-Mann. Der neuen Bundesregierung wünscht Chahem „von Herzen gutes Gelingen“. „Wir brauchen wieder eine Regierung, die die Probleme der Menschen vor Ort löst – pragmatisch und unkompliziert. Nur so werden extreme Parteien wieder kleiner, indem man sie durch gute Politik ganz einfach überflüssig macht. Uns als Ampel ist das leider nicht gelungen – im Gegenteil“, so Chahem. Friedrich Merz wünscht er, dass er dabei mehr Erfolg haben wird. Die Linken sowie die AfD haben auf unsere Anfragen bislang nicht reagiert.