Rund 400 Zuschauer und Zuhörer erlebten im Kulturwerk in Wissen eine Show, die kaum eine Atempause kannte. Kein Wunder: Zu groß ist die Fülle an einzigartigen Hits, nicht von ungefähr gelten Queen vielen Fans als größte Rockband aller Zeiten. Doch wer den Stil dieser Kultband und vor allem das musikalische Vermögen und das einzigartige Auftreten ihres 1991 verstorbenen Frontmanns Freddie Mercury kennt, der darf sich fragen, ob es nicht ein aussichtsloses Unterfangen ist, diese Songs und Liveauftritte nachzuspielen. Kann das Kratzen an diesem Thron nur in unwürdigen Geräuschen münden?
Ich finde, nein. Zahlreiche Coverbands und auch das Musical „We Will Rock You“ beweisen, wie viel Kraft auch nach 30 und mehr Jahren noch in diesen Songs steckt. Und The Bohemians zelebrieren diesen Geist mit jeder Faser. Das Quartett bewegt sich mitreißend leicht in den großen Fußstapfen ihrer vier Vorbilder, übernimmt weite Teile der Livechoreografie eines Queen-Konzertes und lässt sich dennoch – wie das Original – Spielraum für kleine Improvisationen.
Freilich wäre es vermessen, Freddie Mercury imitieren zu wollen. Auf dieses rutschige Pflaster begeben sich The Bohemians erst gar nicht. Sänger Rob Comber hat einmal in einem Interview gesagt, er sehe sich eher als Schauspieler – und diese Rolle spielt er in zunehmendem Maße immer besser. Da stimmt vieles, von der Gestik über den spielerischen Umgang mit dem Mikroständer bis hin zu den Schrittfolgen und zum angewinkelten Unterschenkel. Auch bei den Kostümen wird nichts dem Zufall überlassen – ein Blick auf Gitarrist Christopher Gregory, seine weiten Mäntel und seine roten Lackschuhe genügt, ganz zu schweigen von seiner Lockenpracht à la Brian May.
Über allem schwebt die verrückt-magische Musik der 70er- und 80er-Jahre. Schon der Einstieg mit „One Vision“ und „A Kind Of Magic“ ist programmatisch. Rob Comber macht auch am Flügel eine gute Figur, und das „Bicycle Race“ zeigt früh eine ungeheure Stärke vieler Queen-Songs, das beinahe ausufernde Genießen jeder einzelnen Sequenz bis hin zum bombastischen, ausgedehnten Schlussakkord.
Das sehr gemischte Publikum im Kulturwerk erweist sich als absolut textsicher und singt viele der Lieder wie „Another One Bites The Dust“, „Don't Stop Me Now“ und „Radio Ga Ga“ begeistert mit. Da fällt es Rob Comber leicht, noch mehr Mitmachwillen aus den Zuschauern herauszukitzeln. Der Spaß ist allen anzusehen – nur zu verständlich nach zwei stillen Jahren Corona-Pandemie.
Noch vor der Pause legt die Tributeband mit der klassischen Rock'n'Roll-Nummer „Fat Bottomed Girls“ nach, und auch mit „Under Pressure“ (freilich ohne den Gesang von David Bowie) lässt der Druck nicht nach. Ruhiger wird es nur selten, etwa mit dem beinahe balladesk-harmonischen „It's A Hard Life“.
Mit jedem Lied verstärkt sich das Gefühl, dass den Songs von Queen eine enorme prophetische Kraft innewohnt. Der Interpretationsspielraum ist groß, vielfach liegt der Bezug zu der damals tödlichen Krankheit von Freddie Mercury nahe (er starb am 24. November 1991 an Aids). Mit seinem letzten Song „These Are the Days of Our Lives“ verbeugen sich The Bohemians quasi vor diesem unvergleichlichen und unvergessenen Künstler. Rob Comber drückt es mit seinen eigene Worten aus: „Still love you“.
Sehr zur Freude des Publikums fehlen auch Klassiker wie „Bohemian Rhapsody“ und „The Show must Go On“ nicht. In „I Want It All“ zeigt die Band, wie man innerhalb eines Songs das Tempo im Handumdrehen verdoppeln und verdreifachen kann.
Der ebenso berührende wie bombastische Abschluss bleibt den Zugaben vorbehalten. „We Will Rock You“ und „We Are The Champions“ sind Queen-Hits, die längst den Weg aus den Konzerthallen heraus gefunden haben. Dazwischen passt, wie stets seit der Magic-Tour Mitte der 80er, das musikalische Bekenntnis zum Wert der Freundschaft: „Friends Will Be Friends“.
Und auch ganz zum Schluss hält sich das Schauspiel eng an das Queen-Drehbuch: Wie schon Freddie Mercury hüllt sich Rob Comber zum Abschied in den Union Jack, die Fahne Großbritanniens – die schwarz-rot-goldene Rückseite drückt Verbundenheit aus. Hinzu kommt als wohltuende aktuelle Solidaritätsbekundung die blau-gelbe Flagge der Ukraine. Verdienter Beifall verabschiedet die Bohemians.
Von unserem Redakteur Elmar Hering