Westerwälder Literaturtage
Opulentes Tango-Gemälde aus Musik, Gesang und Sprache
Lebendig, authentisch und leidenschaftlich. Diese drei Attribute, die den Tango charakterisieren, verkörperten im Marienthaler Hofcafé Heinzelmännchen auch die beiden Künstler Birte Bornemann ud Volker Höh.
Thomas Hoffmann

Die 24. Westerwälder Literaturtage widmen sich in diesem Jahr dem fragenden Motto „Forever Young?“. Kurz vor der Sommerpause erlebten die Gäste eine Reminiszenz an den ewig jungen Tango. Ein Abend für das Herz, für die Ohren und für den Gaumen. 

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Es war wie das Echo scheinbar vergangener Zeiten, das am Sonntagabend im Rahmen der Westerwälder Literaturtage mehr als 50 Gäste im restlos ausverkauften Hofcafé Heinzelmännchen in Marienthal erlebten. Im Mittelpunkt von Musik, Literatur und Speisen stand der Tango. 

Ich habe hier eine Gitarre, die wurde im Jahre 1925 von einem spanischen Gitarrenbauer in Buenos Aires gefertigt, sie ist somit die älteste Dame hier im Raum", stellte der Musiker Volker Höh sein Instrument vor, das in den folgenden zwei Stunden ein musikalisches Flair schaffen sollte, welches mitten hinein führte in eine Welt, die bunt und schillernd war, aber auch voller Tragik und Leidenschaft.

Mehr als 20 Jahre alter Roman

In dem authentischen Roman "Ein Tango für Gardel" des Schriftstellers Pedro Orgambide aus dem Jahre 2003 geht es um Liebe, Verlust, Tod und Hoffnung. Schon der Beginn ist eine spannende Offenbarung, denn Sekunden vor seinem Tod blickt Carlos Gardel, der vielleicht berühmteste Tangosänger aller Zeiten, auf sein bewegtes Leben zurück, das bei einem Flugzeugunglück im Jahre 1935 ein jähes Ende findet. „Mutter, schreit der Sänger, einen Moment bevor er stirbt", liest Birte Bornemann, ehe sie in weiteren Passagen vom Aufstieg des Sängers, seinen Filmen, seinen Begegnungen mit Charlie Chaplin, dem Prinzen von Wales und weiteren Persönlichkeiten erzählt.

„Wie man weiß, ist Liebe trügerisch", sagt die Rezitatorin, die schon im vergangenen Jahr zusammen mit Gitarrist Volker Höh bei ww-Lit zu Gast war (damals mit einer großartigen Verbeugung vor der spanischen Kirchenlehrerin Teresa von Avila). Und leise, ganz leise erklingen einzelne Töne, die sich zu einer kleinen Melodie formen, in klassischem Tangostil wehmütig vom Verlust der Geliebten erzählen, nur, um Sekunden später in einen leidenschaftlichen Modus zu wechseln, lebensbejahend, sinnlich und voller Gefühl.

Fantasie erblüht

Birte Bornemann liest nicht nur, sie erzählt und diese Erzählung macht es leicht, sich in die jeweilige Situation zu versetzen. So etwa bei einer Passage, in der Carlos Gardel mit seiner späteren Geliebten einen Tango tanzt („jede Berührung war ein Versprechen") oder in einer anderen Szene, als Chaplin dem Sänger gesteht: „Ich kenne die Traumfabrik, Gardel, hier habe ich einen Teil meines Lebens verloren".

So bildhaft die Sprache Orgambides ist und so authentisch die Szenen sind, so genial ist die Präsentation der beiden Künstler, denn einerseits schafft Birte Bornemann mit ihren gesprochenen Skizzen die Grundlage für das innere Bild der jeweiligen Umgebung, andererseits füllt Volker Höh diese mit südamerikanischem Lebensgefühl. Vor dem inneren Auge erscheint ein dezent beleuchteter Nachtclub, an den Fenstern schwere samtene Vorhänge, mittendrin tanzt ein Paar eng umschlungen, sinnlich und leidenschaftlich. An anderer Stelle wechselt die Atmosphäre: Jetzt ist es ein Goucho in schwarzem Mantel, der real in der Welt und in den Träumen von Gardel als eine Art Unheilsbringer auftaucht wie eine dunkle, nicht greifbare Bedrohung.

Südamerikanisches Flair mitten im Westerwald. In der Pause zur WW-Lit-Veranstaltung servierte Katrin Brück vom Hofcafé Heinzelmännchen in Marienthal argentinisches Fingerfood, eine kulinarische Ergänzung zum Thema, die - ebenso wie die Künstler selbst - für Begeisterung bei den Gästen sorgte.
Thomas Hoffmann

Immer wieder gibt Birte Bornemann mit ihrem Gesang den Szenen Leben und Authentizität, etwa in „L´amore“ singt sie von Liebe und der Endlichkeit des Lebens. Derweil macht Volker Höh seine „alte Dame“ zu einer Botschafterin jener Zeit, denn ihre Töne schaffen eine Atmosphäre, die direkt in die Vergangenheit und nach Südamerika führt – in eine Welt, die am Sonntag auch durch das von Katrin Brück und Reiner Orfgen arrangierte argentinische Fingerfood ihre kulinarische Abrundung findet. „Wenn es ein Thema gibt, das Jugendlichkeit verkörpert, dann ist es der Tango" hatte Programmleiterin Katharina Roßbach zu Beginn mit Blick auf das diesjährige Motto der Westerwälder Literaturtage gesagt, und die Zuschauer honorierten dessen begeisternde Umsetzung zurecht mit zahlreichen "Bravo"-Rufen und anhaltendem Beifall.

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