Im Altbau an der Steinerother Straße ist nach wie vor die Deutsche Angestellten-Akademie (DAA) untergebracht. Der neue Nachbar im Anbau, dort wo früher unter anderem das Briefverteilzentrum untergebracht war, heißt nun Liquisign. Das Betzdorfer Unternehmen wächst kontinuierlich, wie Geschäftsführer Florian Baldus unserer Zeitung auf Anfrage sagt. Das erst 2020 fertiggestellte Firmengebäude im Gewerbegebiet „Am Rangierberg“ in Betzdorf bietet schon nicht mehr genügend Platz. Damals hatte Geschäftsführer Daniel Geldsetzer, der die Firma mit Baldus seit der gemeinsamen Gründung im Jahr 2000 führt, gesagt, dass man räumlich an Grenzen gestoßen war. 45 Mitarbeiter beschäftigte Liquisign zu diesem Zeitpunkt.
Mittlerweile hat sich die Belegschaft auf 75 Angestellte vergrößert, sagt Baldus und ergänzt: „Und wir wachsen weiter.“ Dabei sind Nachrichten von expandierenden Unternehmen in den vergangenen Jahren eher selten geworden. Liquisign stellt hier ein Positivbeispiel dar. Und zumindest für die nächsten Jahre wird sich die Entwicklung des Unternehmens auch im Stadtbild niederschlagen.
Wer aufmerksam an den großzügigen Fensterfronten entlang der Hellerstraße in den vergangenen Monaten vorbeiging, dem fiel auf, dass sich in und um dem Gebäude einiges getan hat. Nach Recherchen unserer Zeitung wurde es von „Model Invest“ gekauft. Der Verwalter und Investor von Gebäuden hat in der türkischen Provinz Antalya und im sächsischen Vogtland Standorte. Dort, konkret in Markneukirchen, betreibt die GmbH auch das Hotel Schwarzbachtal, das sie Anfang Mai 2023 nach vier Jahren Schließung übernommen und neu eröffnet hatte.
Hinweise auf die Vergangenheit des Betzdorfer Postgebäudes finden sich keine mehr. Neutrales Grau beherrscht nun das Erscheinungsbild des Komplexes. Die Logos der Post und Postbank, der das Gebäude gehörte, sind längst verschwunden. Stattdessen künden nun Aufkleber mit den Schriftzügen „liquisign – perfomance customization“ an verspiegelten Glasfronten des Erdgeschosses vom neuen Mieter. Das untere Geschoss wird laut Baldus bereits als Lager genutzt. Ende September soll es in der ersten Etage mit der Produktion losgehen.
Paukenschlag für Betzdorf: Ab dem 16. November wird es die bisherige Post an der Hellerstraße, gegenüber der Stadthalle, nicht mehr geben. Damit endet für Stadt und Region ein nicht gerade kleines Kapitel Heimatgeschichte.Paukenschlag in Betzdorf: Post an der Hellerstraße schließt im November
Der Bereich Transferdruck, inklusive sieben Produktionsinseln, wird damit vom Gebäude am Rangierberg in die Hellerstraße verlagert. Das eröffnet laut Geschäftsführer Florian Baldus die Möglichkeit, am Hauptstandort die Stickerei zu erweitern. Dort sind derzeit 80 Stickköpfe im Einsatz – es sollen 100 werden. Dabei handelt es sich um Maschinen, die ähnlich einer Nähmaschine, Logos oder Schriften in Textilien einnähen. Pro Motiv können bis zu 16 Farben eingestickt werden. In die zweite Etage, die ab Ende September für die Produktion genutzt werden soll, führt auch ein Lastenaufzug.
Ein weiterer Vorteil, so Baldus: Das Stockwerk ist sehr gut mit Tageslicht versorgt. Ungenutzt bleibt die 1983/84 aufgestockte oberste Etage, deren Außenfassade immer noch das markante Violett aufweist. In ihr waren Baldus zufolge zuletzt Büros untergebracht – für die Anforderungen von Liquisign zu kleinteilig.
Stadtbürgermeister und Wirtschaftsförderer bewerten Nachnutzung positiv
Der Wirtschaftsförderer der Verbandsgemeindegemeinde Betzdorf-Gebhardshain, Michael Becher, sagt zu der Neunutzung der zwei Etagen im ehemaligen Postgebäude, dass sich Innenstädte neu erfinden müssten. „Die Nutzung der Postimmobilie durch die Firma Liquisign zeigt, dass auch kreative Zwischenlösungen eine Option gegen Leerstand sein können“, so Becher. In eine ähnliche Richtung äußert sich Betzdorfs Stadtbürgermeister Benjamin Geldsetzer, der auch ein Bruder von Liquisign-Geschäftsführer Daniel Geldsetzer ist: „Ganz unabhängig meiner freundschaftlichen und familiären Verbindungen zur Firma Liquisign freut es mich natürlich sehr, dass ein Großteil des ehemaligen Postgebäudes nun wieder adäquat bewirtschaftet wird. Jede Nachnutzung einer leerstehenden Immobilie in Kombination mit neu geschaffenen Arbeitsplätzen bedeutet einen Gewinn für unsere Stadt und Region.“
Vom bedeutsamen Postamt zum verlassenen Gebäudekomplex
Es war lange herbeigesehnt worden von den Bürgern, 1965 wurde schließlich endlich das neue Postamt in der Hellerstraße eröffnet. Damals galt der Flachdachbau als hochmodern. 1981 erreicht die Post in Betzdorf ihren Höhepunkt.
650 Beschäftigte hatten eine Fläche von 728 Quadratkilometer mit rund 153.000 Einwohnern zu versorgen, schreibt Klemens Quast in einer Betzdorfer Chronik. Der Zuständigkeitsbereich umfasste nicht nur den Kreis Altenkirchen, sondern zudem noch Teile der Kreise Westerwald und Neuwied. In der Folge wurde das Postgebäude 1983/84 um eine dritte Etage mit ihrer markanten violetten Haube aufgestockt.
Mitte der 1990er-Jahre jedoch bringt die Privatisierung des Post- und Fernmeldewesens auch für Betzdorf gravierende Auswirkungen mit sich: Es wird massiv Personal abgebaut, die Verwaltung für den Briefdienst wandert nach Siegen ab, der Paketdienst sowie die Schalter- und Bankdienste werden anderen Niederlassungen unterstellt. 1996 wurde das eigenständige Postamt Betzdorf endgültig Geschichte. Zwar gingen danach auch in der „Filiale 544“ der Deutschen Post AG weiter Briefe und Pakete auf die Reise, aber die „Hauptpost“ in der Hellerstraße verlor mit der Zeit immer mehr an Bedeutung:
So wurde im Jahr 2019 das DHL-Paketzentrum in den Gewerbepark Dauersberg verlegt und die Postfächer in die Filiale „Zoo Flade“ an der Kölner Straße. Ende 2021 dann der komplette Rückzug: Die Deutsche Post sowie die Postbank zogen aus dem Gebäude aus und haben seitdem keine eigenen Niederlassungen mehr im Oberkreis.