Alte Foto des Chores, die an den Wänden im Vereinsraum hängen, zeugen von besseren Zeiten. 1990 feierte der MGV Nisterberg zwei Tage lang sein 100-jähriges Bestehen – mit einem Kommers und einem Freundschaftssingen, so wie es bei Gesangvereinen üblich ist. Doch auch den MGV hat das Schicksal vieler Männerchöre im AK-Land ereilt: Es gibt ihn nicht mehr – der Antrag auf Löschung im Vereinsregister liegt seit April beim zuständigen Gericht in Montabaur vor.
Die letzte offizielle Gesangsprobe liegt sogar schon bald sechs Jahre zurück. Die Pandemie, erzählt der Vorsitzende Reinhard Buchner, habe die Auflösung verzögert, beschlossen wurde sie am 11. Mai 2023. Damit hat sich ein Kreis geschlossen, denn der MGV Nisterberg ist 1890 an einem 11. Mai gegründet worden – „von 20 jungen Burschen“, erzählt Roland Held, der Ehrenvorsitzende des Vereins.

Eine Chronik besitzt der Verein nicht. „Unsere Chronik ist in unseren Köpfen“, sagt Schriftführer Thomas Kessler, der Dritte im Bunde, der zum Gespräch in den Vereinsraum im Bürgerhaus gekommen ist. Dort, wo der Chor 50 Jahre lang „kostenlos hat proben dürfen.“ Den drei Männern ist es wichtig, dass ihr MGV nicht einfach sang- und klanglos von der Bühne verschwindet, sondern noch einmal an die guten Zeiten erinnert wird. Zweimal im Jahr treffen sich die zehn verbliebenen, nun ehemaligen Sänger, auf der Kegelbahn. So verliert man sich nicht ganz aus den Augen.
Die Geselligkeit stand immer mit Mittelpunkt, nach den Proben noch zusammen sitzen, ein Bier trinken. Der MGV Nisterberg hat nicht nach höheren Meriten gestrebt, gesungen wurden Volks-, Wander- und Trinklieder – „auch mal neuere Geschichten.“ Doch als der verstorbene Chorleiter Karl-Heinz Rosenkranz anregte, man müsse moderner werden und beispielsweise auch auf Englisch singen, bekam er zur Antwort: „Hör auf mit dem Kram.“
„Der Milchbock war schuld, dass ich zum MGV gekommen bin.“
Roland Held, Ehrenvorsitzender des nun aufgelösten MGV Nisterberg
Aber: Das Repertoire alleine rettet keinen Chor. Es fehlt einfach der Nachwuchs. „Das ist doch nicht nur bei den Chören, sondern allgemein so“, meint Held und führt als Beispiel die Spielgemeinschaften im Fußball an. Um die Vereinskasse aufzubessern, hat der MGV jährlich ein Preisskatturnier ausgerichtet – „auch das wurde immer weniger.“ So wie die Zahl der Mitglieder, die von einst 120 auf 42 und die Zahl der Sänger von 32 auf 22 gesunken ist. Junge Sänger kamen, sangen, zogen weg. Und dann kamen sie nicht mehr, weil sie ihre Freizeit anders gestalten.
„Der Milchbock war schuld, dass ich zum MGV gekommen bin“, erinnert sich Held an seine Jugend. Mit 14 Jahren trat der heute 78-Jährige bei. Sonntags habe er die Milchkanne zum Sammelpunkt (Milchbock) gebracht und die Sänger gesehen, die zur Probe gingen. „Da sei er einfach mal mitgegangen“, weil es nicht viel anderes im Dorf gab und auch der Vater im Chor war. Wie der Vater so der Sohn – so war es auch beim Vorsitzenden und beim Schriftführer der Fall.

Schade ist das Ende schon, denn der Chor hatte seine Auftritte im rund 380 Einwohner zählenden Dorf: Bei der 750-Jahrfeier, am Volkstrauertag, bei Liederabenden und vor allen Dingen auch in der Kirche, etwa an Heiligabend, Karfreitag, zum Erntedank.
Seit 2004 bestand eine Chorgemeinschaft mit dem MGV Germania Daaden, der ebenso schon nicht mehr existiert. Das scheidende Vorstandstrio ist nicht verbittert, dafür gibt es zu viele schöne Erinnerungen: An Familienabende, an Freundschaftssingen im Oberkreis und im benachbarten Westerwaldkreis, an mehrtägige Ausflüge ins Allgäu oder nach Österreich. Ein Highlight, erinnert sich Held, war der Besuch von Sängern aus Amerika und zwar von der Schiller-Liedertafel aus Chicago. Das waren Nachfahren deutscher Auswanderer und der verstorbene Sänger Hermann Schütz hatte hier Verbindungen.
Auch diese Episode des MGV Nisterberg in seiner nach 135 Jahren zu Ende gehenden Geschichte wird Roland Held, Thomas Kessler und Reinhard Buchner in den Köpfen bleiben, oder, wie es Kessler abschließend auf den Punkt bringt: „Der Chor lebt in Erinnerungen und Fotos weiter.“