Wie von der Staatsanwaltschaft, der Nebenklage und dem Verteidiger des Angeklagten vorgeschlagen, soll Moritz T. (Namen geändert) nach zwei Jahren Haft in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden. Am Vormittag des 31. Januars stach der 28-Jährige während einer Diskussion vor der Wohnung der Schwester seiner Ex-Freundin unvermittelt auf Robert U. ein. Nach einem Gerangel, das sich in das Innere der Räumlichkeiten verlagert hatte, konnte der Angreifer schließlich rausgedrängt werden. Polizisten nahmen ihn kurz darauf an einem Weg zwischen Moltkestraße und Eisenbahnausbesserungswerk (EAW) fest.
Bei der Urteilsfindung ging die Kammer davon aus, dass sich Moritz T. bereits vor der Tat gedanklich mit dem Angriff auf Robert U. beschäftigt hat, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Richter Glaser belegte dies mit Chats zwischen dem Täter und seinem Opfer, die zwei Tage vor den dramatischen Minuten in der Betzdorfer Wohnung geschrieben worden waren. Darin hatte der Angeklagte Robert U. bereits bedroht. Hinzu kam aus Sicht der Kammer, dass er sich im Vorfeld immer wieder in den Keller zurückgezogen hatte, um allein seinen Gedanken nachzuhängen.
Acht Jahre und vier Monate Freiheitsstrafe fordert die Staatsanwältin im Prozess um die Betzdorfer Messer-Attacke. Der Anwalt des Angeklagten hält ein weit geringeres Straßmaß für gerechtfertigt. Doch was sagt Moritz T.Messer-Angriff in Betzdorf: Angeklagter kann sich an Tat nicht erinnern
Entscheidend für das Urteil war laut dem Richter auch, dass Moritz T. „trotz der wahrlich intensiven Tatbegehung nach wie vor in der Lage war, zu differenzieren, wen er mit welchen Sanktionen und welcher Gewalt belegt“: Robert U., den Moritz T. als Nebenbuhler um seine Ex-Freundin für „das ganze Elend“ verantwortlich machte und der die Messerstiche abbekam, Rebecca L. selbst, die „nur“ an den Haaren gerissen und geboxt wurde sowie die Schwester des Opfers, Monika U. Sie verschonte Moritz T. mit den Worten, dass sie ihm aus dem Weg gehen solle – sie habe ihm nichts getan.
Heimtückisches Verhalten konnte die Kammer allerdings ausschließen. Wie Robert U. in seiner Zeugenaussage erklärte, habe er mit einem körperlichen Angriff gerechnet. Spielten niedere Beweggründe eine Rolle? Um solche zu berücksichtigen, hätte der Angeklagte sie bewusst erkennen und danach handeln müssen. Dies ist laut Richter Glaser aber bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, die bei Moritz T. diagnostiziert wurde, in der Regel nicht der Fall: „Der Angeklagte hat sich immer unverstanden gefühlt und aus dieser Motivation heraus gehandelt.“
War Steuerungsfähigkeit des Täters eingeschränkt?
Zugunsten von Moritz T. hätte sich ein Rücktrittsversuch von der Tat mildernd auf das Strafmaß wirken können. Er hätte selbst versuchen können, seinem Opfer zu helfen, was er allerdings unterließ. War er zumindest in seiner Steuerungsfähigkeit eingeschränkt? Die Kammer verneinte dies aufgrund seines relativ geordneten Rückzugs vom Tatort. Auch seine Alkoholisierung war auf Grundlage der Aussagen der Zeugen, insbesondere der Polizisten, die Moritz T. festnahmen, für sie hier nicht relevant.
Und aus Sicht der Schöffen und Richter hatte sich seine vom Gutachter diagnostizierte Borderline-Persönlichkeitsstörung rechtlich nicht erheblich auf die Tat ausgewirkt. Als Begründung führte Richter Glaser an, dass die Angriffe in Etappen verliefen. Hinzu kam die gedankliche Vorbereitung der Tat. Dass sich Moritz T., wie von ihm behauptet, nicht an die dramatischen Minuten am 31. Januar erinnern konnte, nahm ihm die Kammer nicht ab. „Das kennen wir aus vielen, vielen Fällen“, so Richter Glaser.
Opfer leiden nicht nur körperlich unter Folgen der Tat
Die Alkoholisierung des Angeklagten und seine affektive Erregung spielten bezüglich der Schuldfähigkeit zwar keine durchgreifende Rolle, allerdings berücksichtigte die Kammer sie als mildernd bezüglich des Strafmaßes. Hinzu kam der von Moritz T. erklärte Wille, seine Alkoholsucht therapieren zu lassen. Dem gegenüber stand gleichzeitig die gefährliche Körperverletzung. Und die bezieht sich nicht nur auf die körperlichen Folgen der Tat. Bis heute leiden der Geschädigte und die Ex-Freundin von Moritz T. auch psychisch unter der traumatisierenden Erfahrung.
Außerdem richtete sich der Gewaltausbruch nicht nur gegen Robert U., sondern gegen zwei, oder, je nach Betrachtungsweise, drei Personen. „Und dieses Geschehen zeichnet sich dann auch durch eine beharrliche und beachtenswert hohe Tatintensität aus. Als Stiche nicht mehr möglich waren, wurde übergegangen zum Schlagen. Es wird dann noch eine weitere Person angegriffen“, erklärte Richter Glaser.
Der Angeklagte Moritz T. (Namen geändert) macht während seiner Vernehmung einen gefestigten Eindruck. Zuvor wurde er von den Justizbeamten noch in Handschellen in den Gerichtssaal des Landgerichts Koblenz geführt.Messerattacke in Betzdorf: Opfer schildert bei Gerichtsverhandlung dramatische Szenen
Mildernd wirkte sich auf das Urteil allerdings aus, ob und bis zu welchem Grad die Tat vollendet wurde. „Da sind wir bei den Folgen noch ein ganzes Stück weit entfernt“, sagte der Richter in der Urteilsbegründung. Zwar wurde bei einem Messerhieb die Arterie des Unterarms verletzt, allerdings infolge von Parierbewegungen des Opfers.
Nach dem Aufenthalt in der Entzugsanstalt könnte die restliche Freiheitsstrafe in Bewährung umgewandelt werden. Allerdings appellierte der Richter eindringlich an Moritz T., die Behandlung seiner psychischen Probleme nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, da ansonsten sehr schnell wieder das Gefängnis auf ihn warte: „Sehen Sie zu, dass Sie die Therapie schaffen.“