Entstanden ist die Idee für die Serie „Liberté“ im Zuge der Ausstellungsvorbereitungen für Rüsings beim Sommerfest der Kulturwerkstatt Kircheib gezeigte Fotoserie „Wir hier“, in der sich auf widersprüchliche Weise Porträts von urigen Westerwäldern mit Street-Art-Stilen und szenischen Tanzaufnahmen mischen. „Ursprünglich war die Veranstaltung für April geplant, doch dann kam der Lockdown“, berichtet der Künstler. „Als dann das Sommerfest im August anstand, kam mir die spontane Idee, die Besucher zu porträtieren. Jeder Besucher musste sich ja vorher anmelden und kam mit Maske“, so Rüsing.
Mehrheitlich hätten sich die Menschen auf das Experiment eingelassen. Durch den neutralen weißen Hintergrund und den einfachen Stuhl wurden die Besucher aus dem sie umgebenden sozialen und gesellschaftlichen Umfeld isoliert. „Ich habe auch keinerlei Regie als Hilfestellung gegeben“, erklärt der ehemalige Creative Director. Die daraus entstandenen Bilder spiegeln die Frage danach wider, wie man das eigene Ich im Zuge der „Gesichtsanonymität“ darstellen kann.
Peter Krah, der die Kulturwerkstatt Kircheib 2017 ins Leben gerufen hat, sieht in der Darstellung von Menschen mit Masken fast schon eine aufgezwungene Verfremdung im Brecht’schen Sinne. „Man erkennt den Menschen gar nicht mehr. Dann beginnt das Rätseln: Ist er das? Ist er das nicht?“, so Krah. Doch die Porträts zeigen auch, wie spontan und kreativ Menschen mit der Maskenpflicht umgehen können.
So existiert beispielsweise ein Porträt einer Frau im blauen Oberteil, welche keine Maske zum Besuch der Ausstellung dabei hatte. Kurzerhand wurde der Pullover über die Nase gezogen und mithilfe einer Wäscheklammer daran befestigt. Ein weiteres Bild zeigt einen Mann mit Maske über seinen Augen statt Nase und Mund. Die veränderte Ausdrucksfähigkeit der Persönlichkeit von Menschen lässt eine völlig neue Perspektivierung der Identität zu. Das erkannte auch die Stiftung „Haus der Geschichte“, zu der neben dem Haus auf der Bonner Museumsmeile noch drei weitere zeitgeschichtliche Museen in Berlin und Leipzig gehören.
Rüsing hat den Verdacht, dass der Kontakt zum „Haus der Geschichte“ in der Bundesstadt über eine Bekannte hergestellt wurde. Kontaktiert wurde der Fotograf aus Forstmehren von der Leiterin der Fotografischen Sammlung des Museums, Tuya Roth. Sie kaufte ihm im Rahmen der Objektsammlung zum Thema Corona-Pandemie 30 Bilder aus seiner Serie ab. Diese wurden bereits ins Archiv der Fotografischen Sammlung gebracht und sollen gemeinsam mit weiteren Objekten und Fotografien aus allen Bereichen, auch des täglichen Lebens, diese besondere Zeit und den Umgang mit der Pandemie sowie die Auswirkungen auf den Alltag verdeutlichen. Mittelfristig existieren bisher noch keine Planungen zu einer entsprechenden Ausstellung.