Mediziner Bernd Klamm kritisiert ärztlichen Alltag in Kirchen - Für ihn betreibt die Kassenärztliche Vereinigung Schönfärberei
Mediziner kritisiert: Der Bereitschaftsdienst läuft in der Praxis nicht rund
Bernd Klamm wirft der Kassenärztlichen Vereinigung Missmanagement vor.
privat

In Sachen ärztlicher Bereitschaftsdienst ist Bernd Klamm ein „alter Hase“. Seit 1995 ist der Herkersdorfer an verschiedenen Standorten in der Region tätig, wenn es darum geht, außerhalb von Sprechstundenzeiten die ambulante ärztliche Versorgung sicherzustellen – aktuell in der Bereitschaftsdienstpraxis in Kirchen. Die neueste Umstrukturierung, die die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Rheinland-Pfalz nicht nur im Kreis Altenkirchen vorgenommen hat, sieht er aber mit großer Skepsis, spricht gegenüber unserer Zeitung von „Schönfärberei“.

Bernd Klamm wirft der Kassenärztlichen Vereinigung Missmanagement vor.
privat

Hintergrund: Seit Anfang Oktober hat die KV die Öffnungszeiten der Bereitschaftsdienstpraxen in Kirchen und Altenkirchen stark eingeschränkt. Nach 23 Uhr bleibt in der Region lediglich Hachenburg als Anlaufstelle, in Altenkirchen ist die Einrichtung am dortigen Krankenhaus nur noch mittwochs, samstags und sonntags geöffnet. Und auf diese Präsenzzeiten, die Gerüchte gibt es schon länger, wird laut Klamm 2022 auch die Bereitschaftsdienstzentrale in Kirchen weiter reduziert.

Die KV verweist auf die bundesweite Patientenservicenummer 116.117 und auf einen Fahrdienst vor Ort, sieht keine Verschlechterung für die Patienten. Gleichzeitig räumte sie im Interview mit unserer Zeitung aber ein, dass 12 von 15 medizinischen Mitarbeitern am Standort Kirchen gekündigt hätten.

Und genau hier setzt die Kritik von Bernd Klamm an. „In Kirchen hatten wir sehr erfahrene Arzthelferinnen, manche seit über 25 Jahren im Dienst. Die meisten haben auf 450-Euro-Basis gearbeitet, aber mit der eingeschränkten Stundenzahl kommen sie einfach nicht mehr hin“, rechnet der Mediziner vor. Die KV habe ihnen damit quasi eine Kündigung nahegelegt.

Der frühere Assistenzarzt am Krankenhaus Kirchen und spätere Facharzt für Allgemeinmedizin, der sich inzwischen als externer Arzt im Bereitschaftsdienst engagiert, spricht aber gleichzeitig von einer finanziellen Schieflage bei der Bezahlung. „Die medizinischen Mitarbeiter erhalten 12,50 Euro Stundenlohn.

Zu ihren Aufgaben gehört es, die Patienten zu registrieren, sie messen Blutdruck, machen ein EKG, legen Verbände an und leisten gleichzeitig Telefondienst“, listet Klamm auf. Im Gegensatz dazu zahle die KV Angestellten im Callcenter einen Stundenlohn zwischen 14,60 und 18,65 Euro, hinzu kämen pro Anruf noch 55 Cent bis zu 1 Euro sowie Zuschläge für Feiertage und Nachdienst. „Diese Personen leisten keinen direkten Dienst am Patienten, sind also auch keiner Corona-Gefahr ausgesetzt“, legt er nach.

Auch die neue Form der Kommunikation, oder sollte man sagen Nicht-Kommunikation, über die Servicenummer stößt Klamm sauer auf. „Was nützt es, wenn die Nummer 116.117 rund um die Uhr erreichbar sein soll, man oftmals aber gar nicht durchkommt oder nach langer Wartezeit an die 112 verwiesen wird?“, fragt er.

Auch die beiden Fahrdienste für die Region Altenkirchen/Westerwald dürften nur über diese Nummer angefordert werden. Unmittelbare Anrufe über die Zentrale des DRK-Krankenhauses in Kirchen will die KV laut Klamm verhindern. Es gebe natürlich eine direkte Nummer, doch die dürfe nur einem inneren Zirkel bekannt sein.

Doch dies führt seiner Ansicht nach zu Zeit- und Reibungsverlusten. „Oftmals haben Altenpflegeheime nachts akute Fragen an den Bereitschaftsarzt. Diese hat die Arzthelferin bislang unbürokratisch dem Sitz- oder Fahrdienst übermittelt. Jetzt dauert es bis zu einer halben Stunde, bevor jemand in Mainz den Anruf übernimmt – und dann ist die Frage immer noch nicht beim diensthabenden Arzt“, so seine Erfahrung.

Zur Verdeutlichung schildert Klamm einen Fall, der sich Mitte November in Kirchen zugetragen hat. „Die Pforte des Krankenhauses stellt einen Privatanruf in der Bereitschaftsdienstzentrale durch. Ein älteres Ehepaar aus der Verbandsgemeinde Daaden-Herdorf benötigt einen Hausbesuch, ist bei der 116 117 nicht durchgekommen. Die Arzthelferin, die zudem die Senioren kennt, ruft über eine Sondernummer die Zentrale in Mainz an und wird vom dortigen Schichtleiter in rauem Ton angepflaumt und ermahnt, sich an die Dienstvorschriften zu halten“, berichtet Klamm.

Ihr wurde daraufhin gesagt, dass die Leute schon selbst anrufen müssten, damit alles nach Schema aufgenommen und dokumentiert werden könne. „Dann hat sich der diensthabende Arzt den Hörer geben lassen und den Schichtleiter unter Androhung von Konsequenzen aufgefordert, die Anfrage umgehend weiterzuleiten. Es hat dann immer noch etwa eine Stunde gedauert, bis das Anliegen der alten Leute offiziell dem diensthabenden Arzt vorgelegen hat“, so der Mediziner.

Klamm verbindet seine Kritik an der aktuellen Praxis aber auch mit einem Lösungsvorschlag. „Wenn die KV die bundesweite Servicenummer durch eine Rufnummer auf lokaler Ebene ergänzen würde, ließe sich so manchem deutlich schneller helfen“, ist er überzeugt. Diese lokale Nummer habe auch nach Einführung der 116.117 im vergangenen Jahr noch eine Zeit lang parallel existiert. Doch von einem solchen Vorschlag wolle man in Mainz bislang nichts wissen. „Dass es bislang kein Krisentreffen vor Ort mit den Ärzten und Arzthelferinnen in der Bereitschaftsdienstzentrale Kirchen gegeben hat, ist befremdlich“, findet Klamm klare Worte.

Stattdessen spreche die Kassenärztliche Vereinigung auf ihrer Internetseite davon, dass ein spezieller Hausbesuchsdienst im Oktober 2020 neu eingerichtet worden sei. „Diesen Fahrdienst, den ich für eine gute Idee halte, gibt es schon sehr viel länger“, berichtet der Herkersdorfer aus eigener Erfahrung. Nur wolle man nun den diensthabenden Arzt durch einen Fahrer entlasten, was angesichts der Personalnot auch nur bedingt gelinge. „Das kommt mir so vor, als habe man ein Kind in die Welt gesetzt und vergessen, die Windeln zu kaufen.“

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