Betreuer übt Kritik, weil er um seine Klienten fürchtet - Vermieter der Wissener Werkstatt wartet auf die Baugenehmigung
Kritik an Fluchttüren: Mangelnder Brandschutz bei der Lebenshilfe in Wissen?
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Entsprechen die Fluchttüren in der Wissener Werkstatt der Lebenshilfe nicht den Bestimmungen? Ein Betreuer übt Kritik. Foto: Thomas Hoffmann
Annika Stock

Wissen. Jona Wagener ist gesetzlicher Betreuer für beeinträchtigte Menschen mit unterschiedlichsten Behinderungen. Dazu zählen unter anderem Menschen mit Schizophrenie und Paranoia sowie ein Mann, der gehörlos ist. Nun fürchtet er um das Leben zweier Klienten und anderer Menschen, die mit psychischen Beeinträchtigungen in der Werkstatt der Lebenshilfe (Westerwald Industrieservice WIS) in Wissen (ehemaliges Walzwerkgelände) tätig sind – wegen zu schmaler Türen.

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Wagener berichtet im Gespräch mit unserer Zeitung, dass in dem genannten Werkstattgebäude Fluchttüren, die essenziell für den Brandschutz sind, nicht die erforderliche Breite aufweisen würden. Außerdem, so seine Schilderung, führten Fluchttüren unmittelbar auf eine steile Treppenkonstruktion aus Stahl. Am gefährlichsten erachtet Wagener aber, dass zwei ausgewiesene Fluchttüren im Gebäude sich ausschließlich nur nach innen öffnen lassen.

Mehrere Briefe ins Kreishaus

Bereits in mehreren Schreiben an die Kreisverwaltung forderte der Betreuer eine Stellungnahme und eine Beseitigung der angegebenen Mängel. Er wies hierbei darauf hin, dass „das Leben von Schutzbefohlenen behinderten Menschen akut gefährdet wird“. Die Schreiben liegen unserer Redaktion vor, Wagener hat den Sachverhalt dokumentiert.

Insgesamt sind laut Wagener circa 100 Personen (Frauen und Männer) in der Werkstatt tätig, es handele sich hier vor allem um psychisch beeinträchtigte Menschen, sagt er. Die von Wagener genannten Mängel sollen schon seit Eröffnung der Werkstatt der Lebenshilfe sein, wie der Betreuer aus verschiedenen Quellen erfuhr. Wagener hat viele Berührungspunkte mit der Lebenshilfe, denn seit 2016 arbeitet er als gesetzlicher Betreuer.

Er betreut einen der beiden Männer, die in der Werkstatt in Wissen arbeiten, bereits seit sieben Jahren, den anderen seit zwei Jahren. Er findet es schlimm, dass trotz mehrmaliger Schreiben an Lebenshilfe und Kreis Altenkirchen nichts passiert ist. „Das sind Sachen, die gehen gar nicht“, findet Wagener. Der Betreuer berichtet, dass er zum Sachverhalt bereits mit dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Koblenz im Austausch steht.

Auf Anfrage unserer Zeitung teilt Kreispressesprecher Andreas Schultheis mit: „Nach Eingang des Schreibens vom 8. Januar d. J. des Betreuungsbüros Wagener wurde für den 16. Januar ein Termin mit einer Mitarbeiterin des Gebäudeeigentümers vereinbart. Bei der Ortsbesichtigung stellten Bauaufsicht und Brandschutzdienstelle der Kreisverwaltung fest, dass die Gegebenheiten vor Ort nicht denen der Baugenehmigung entsprachen. Hierfür wurde ein Bauantrag mit einer Gefährdungsbeurteilung vom Bauherrn gefordert.“ In diesem Verfahren werde die Gewerbeaufsicht beteiligt. „Hier können eventuell noch Auflagen zu den Flucht- und Rettungswegen gefordert werden. Vonseiten der Lebenshilfe wurde versichert, dass keine körperlich beeinträchtigten Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, dort arbeiten. Aus Sicht von Bauaufsicht und Brandschutz besteht bezüglich der Flucht- und Rettungswegesituation kein Handlungsbedarf“, erklärt der Pressesprecher weiter.

Wagener ist sehr verärgert. „In meinen Augen ist das Ganze sehr gefährlich. Wir haben dort in der Einrichtung teilweise psychisch stark beeinträchtigte Menschen“, führt der Betreuer aus. „Diese Menschen befinden sich an einem Arbeitsort mit großen Gefahren. Fluchttüren müssen nach außen in Fluchtrichtung aufgehen.“ Wagener verweist dabei auf die entsprechende Verordnung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Hier heißt es wörtlich: „Türen von Notausgängen, die ins Freie führen, müssen sich nach außen, in Fluchtrichtung, öffnen lassen. Schiebe- und Karusselltüren sind in Flucht- und Rettungswegen nur dann zulässig, wenn sie eine entsprechende Zulassung haben.“ Ebenso sei es schwierig, die vorhandenen Umstände einem Gehörlosen richtig zu vermitteln.

Von Bauaufsicht abgenommen

Lebenshilfe-Geschäftsführer Jochen Krentel äußert sich auf Anfrage unserer Zeitung: „Die Westerwald Werkstätten nutzen die Räumlichkeiten der Werkstatt in Wissen seit Ende des Jahres 2007. Die Nutzung wurde in verschiedenen Gesprächen mit dem Architekten des Vermieters vorbereitet. Die Betriebsbeschreibung des Architekten, die dem Bauantrag beizufügen war, enthielt seinerzeit alle Informationen, aus denen der Verwendungszweck des Gebäudes eindeutig zu erkennen war.

Auf dieser Grundlage erteilte die Kreisverwaltung die notwendige Baugenehmigung. Das entsprechend ausgeführte Gebäude wurde anschließend von der Bauaufsicht abgenommen. In den vergangenen Jahren hat es zudem Begehungen des Brandschutzes und der Berufsgenossenschaft gegeben, die keine Beanstandungen dokumentierten. Erst im Herbst des Jahres 2023 wurde die Frage nach der Sicherstellung der Fluchtwege an uns herangetragen.“

Vermieter eingeschaltet

Der Geschäftsführer ergänzt: „Wir haben uns unverzüglich mit dem Vermieter in Verbindung gesetzt, da die Westerwald Werkstätten in allen Werkstätten den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Beschäftigten und Mitarbeiter umfänglich sicherstellt.“ So habe sich der Vermieter, wie Krentel ausführt, seinerseits mit der Bauaufsicht in Verbindung gesetzt. Hierbei wurden im Rahmen einer Begehung entsprechende Maßnahmen festgelegt, für die der Vermieter bereits vor mehreren Wochen einen Bauantrag stellte und Handwerker mit der Ausführung beauftragte. Diese können allerdings erst nach erfolgter Baugenehmigung tätig werden.

„Diese Baugenehmigung liegt noch nicht vor“, so Krentel weiter. „In der Begehung wurde den Verantwortlichen der Westerwald Werkstätten mitgeteilt, dass die Gestaltung der Fluchtwege zurzeit keine akute Gefährdung der Beschäftigten und der Mitarbeiterschaft zur Folge hätte, sofern eine Gefährdungsbeurteilung erstellt würde. Diese wurde umgehend durch unsere Sicherheitsfachkraft erstellt und auch dem Vermieter vorgelegt und dem nachträglichen Bauantrag beigefügt.

Dies wurde damit begründet, dass ausreichend Fluchtwege aus dem Gebäude zur Verfügung stünden, in den Räumlichkeiten keine Gefahrstoffe verarbeitet würden und zudem alle Beschäftigten und Mitarbeiter regelmäßig und intensiv in Brandschutz- und Räumungsübungen geschult würden. Einschränkungen des Betriebes oder gar die Schließung des Standortes seien nicht erforderlich.“

“Wir sind Passagier im Boot"

Auch Michael Blachut, von der Lebenshilfe Bereichsleitung Arbeit, äußert sich, als die Recherche unserer Zeitung bekannt wird, zum Sachverhalt: „Wir als Lebenshilfe sind Passagier im Boot, wir sind Mieter des Objektes der Firma Brucherseifer.“

Und weiter: „Wir haben eine Genehmigung, diese Betriebsstätte ist freigegeben, wir können darin arbeiten, und wenn bei der Prüfung der Behörden etwas auftaucht, dann ist das überhaupt kein Thema, dass es vom Vermieter bearbeitet wird und alles so erfüllt wird, wie es die Maßnahmen erfordern.“

Unsere Zeitung schlug ein Treffen mit den Beteiligten in der Werkstatt vor, um den Sachverhalt zu klären. Dies wurde seitens der Lebenshilfe abgelehnt.

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