Von „katastrophalen und menschenunwürdigen“ Zuständen in Moria hatte die Daadenerin Andrea Wegener Ende Juni in einem Interview in der RZ berichtet. Als Mitglied der Hilfsorganisation Gain hat sie den täglichen Überlebenskampf im Flüchtlingscamp hautnah miterlebt. Und sie hatte gewarnt: Die Grundspannung, die aufgrund der Enge, hygienischen Verhältnisse und Hoffnungslosigkeit ohnehin vorhanden sei, habe sich durch die Corona-Situation noch verstärkt. Aufrufe, Abstand zu halten, seien „zynisch“, sagte Wegener – das nur für knapp 3000 Menschen ausgelegte Lager war seit Jahren um ein Vielfaches überbelegt. Zuletzt befanden sich dort mehr als 12.000 Menschen auf engstem Raum.
Jetzt, mehr als eine Woche nach dem verheerenden Brand im Camp, klingen diese Worte wie eine verpuffte Warnung. Immerhin: Am Dienstag hat die Bundesregierung entschieden, dass Deutschland 1553 Geflüchtete von Griechenland aufnehmen wird. Doch noch während auf politischer Ebene lange diskutiert wurde und noch immer um europaweite Lösungen gerungen wird, haben hierzulande bereits viele Kommunen Hilfe angeboten.
So hat sich zum Beispiel die Stadt Siegen bereit erklärt, bis zu 50 Migranten aufzunehmen. Aber wie sieht es im AK-Land aus? Derlei Überlegungen seien bislang nicht gemacht worden, teilt die Kreisverwaltung dazu auf RZ-Anfrage mit. Da die griechische Regierung derzeit nicht bereit sei, Asylsuchende aus Moria in EU-Staaten ausreisen zu lassen, stelle sich „diese Frage für die Praxis auch nicht“. Sollten in Deutschland tatsächlich 1500 Flüchtlinge aufgenommen werden, greife jedoch der allgemeine Verteilschlüssel: Demnach entfielen 5 Prozent auf das Land Rheinland-Pfalz, also 75 Personen. Davon wiederum kämen 3,2 Prozent in den Kreis Altenkirchen, also rechnerisch zwei oder drei Personen. Vor dem Hintergrund dieser überschaubaren Zahl würden – anders als bei dem erkennbar großen Flüchtlingsstrom 2015 – derzeit auch „keine besonderen Vorkehrungen“ getroffen, heißt es aus dem Kreishaus .
Ginge es jedoch nach dem Willen der Linken und Grünen, sollte sich das AK-Land ebenfalls frühzeitig zu einer Flüchtlingsaufnahme über die allgemeine Verteilquote hinaus bereit erklären. In der Verbandsgemeinde Daaden-Herdorf hatten die Ratsfraktionen beider Parteien – bereits lange vor den aktuellen Geschehnissen in Moria – einen Antrag eingebracht. Demnach sollte die VG dem Bündnis „Seebrücke – Sichere Häfen“ beitreten (siehe Beitext rechts) und damit ihre grundsätzliche Bereitschaft signalisieren, Flüchtlinge (insbesondere solche, die aus Seenot gerettet wurden) „entsprechend ihrer Kapazitäten“ aufzunehmen. Dadurch setze man „ein Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit“ und erkläre sich bereit, einen „humanitären Beitrag zu leisten, um Griechenland bei der Bewältigung der Fluchtkrise zu unterstützen und die menschenunwürdige Situation in den Lagern auf den griechischen Inseln zu beenden“.
Der Antrag der Linken und Grünen wurde jedoch im Haupt- und Finanzausschuss der VG Daaden-Herdorf mehrheitlich zurückgewiesen. Begründung: Die Aufnahme von Asylbegehrenden sei per Gesetz in erster Linie eine Pflichtaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte. Nur diese könnten in Abstimmung mit dem zuständigen Landesministerium Bereitschaft für eine überquotale Aufnahme von Migranten bekunden. Zudem sei die Kapazitätsgrenze in den kommunalen Asylunterkünften der VG in Kürze bereits überschritten. Wie berichtet, sind der Verbandsgemeinde Daaden-Herdorf vom Kreis dieser Tage 25 Personen zur Unterbringung zugewiesen worden. Bei ihnen handelt es sich überwiegend um allein reisende Frauen mit Kindern. Weil in den kommunalen Unterkünften jedoch nicht mehr genug Wohnraum vorhanden ist, sucht die Verwaltung nun per Aufruf händeringend freie Wohnungen, die angemietet werden können, und darüber hinaus gut erhaltene Möbel.
Bei Grünen und Linken in der VG Daaden-Herdorf stoßen die Ablehnung ihres Antrags und deren Begründung nur bedingt auf Verständnis. Auch wenn die Zuständigkeit zuvorderst beim Kreis liege und derzeit keine oder kaum freie Plätze für Asylbewerber vorhanden seien, so hätte man sich doch eine grundsätzliche Willensbekundung der VG gewünscht, dass man im Rahmen der Möglichkeiten bereit sei, zusätzlich Flüchtlinge aufzunehmen, so Linken-Fraktionssprecher Julien Fleckinger. Auch Jana Schlosser, Sprecherin der Grünen im VG-Rat, betont, es sei vor allem darum gegangen, als Kommune ein Zeichen zu setzen, dass man bereit sei, Verantwortung für eine menschenwürdige Unterbringung Geflüchteter zu übernehmen.
Grüne und Linke werden das Thema „Sichere Häfen“ nun über ihre Fraktionen möglicherweise in den Kreistag einbringen. Fraglich ist jedoch, ob es sich der Kreis angesichts seines höchst defizitären Haushalts überhaupt leisten kann, weitere freiwillige Aufgaben, zu denen eine überquotale Aufnahme von Asylbewerbern gehören würde, zu übernehmen. Derweil verdeutlichen Fleckinger und Schlosser, man dürfe – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation – nicht die Augen vor der Not der Menschen verschließen: „Es ist schrecklich, was da gerade passiert.“