Wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten. Dieser mehrfach in der Politik aufgegriffene Leitspruch gilt auch für die Geschichte vor der eigenen Haustür, die oft genug spannende Überraschungen und Erkenntnisse bereithält – und damit Rückschlüsse auf das Heute zulässt.
Der Kirchener Heimatverein nimmt auf diesem Gebiet eine Vorbildrolle ein. Im Heimatmuseum stellte das Redaktionsteam um den Vereinsvorsitzenden Hubertus Hensel nun die mittlerweile 38. Ausgabe des Kirchener Heimatblatts vor. Die 32 auf Hochglanzpapier gedruckten Seiten sind prall gefüllt mit Geschichten, die den Leser eintauchen lassen in das Leben der Menschen, die Kirchen zum damaligen Zeitpunkt prägten, im Großen wie im Kleinen. Und das alles wird visuell greifbar gemacht mit authentischem Fotomaterial aus der jeweiligen Zeit, nicht selten mit viel Aufwand von den ehrenamtlichen Heimatforschern recherchiert.
Einen besonderen Teil des Heimatblatts nimmt die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Region ein. Da fragt etwa Hubertus Hensel, ob der 1911 geborene Otto G. Moses „ein Kirchener Jong... oder nur ein ungeliebter Jude“ war. Seine Familie war laut der Aufarbeitung, in der sich Hensel der Kindheit und Jugend von Moses widmet, bestens integriert in der Stadt. Eine besondere Glaubwürdigkeit und menschliche Note erhält der Text gleich zum Einstieg, in dem Hensel von einem Treffen mit dem Porträtierten berichtet, das 2005 in den USA stattfand. Moses musste 1938 dorthin emigrieren. Heute erinnert ein Stolperstein in der Bahnhofsstraße an sein Schicksal.
Wie Jugendliche in den 1960ern feierten und sich verliebten
Aufgrund ihrer persönlichen Note und Verbindung zur Gegenwart ragt der Beitrag von Wolfgang Molzberger und Johannes Pfeifer heraus. Illustriert mit zahlreichen Farbfotos aus privaten Archiven, geben sie detaillierte Einblicke in das teils ausschweifende Freizeitverhalten der Jugend in den 1960ern – und speziell ihrer eigenen Clique, dem „AGGI-Club“.
Wer schon immer wissen wollte, wie lebensfroh seine Eltern oder Großeltern feierten, knutschten oder das Beste aus den damaligen Einschränkungen herausholten, sollte sich diesen Blick in die jüngste Vergangenheit nicht entgehen lassen. Gleich zwei Artikel beschäftigen sich mit der einst glorreichen Geschichte zweier Traditionsvereine, die heute immer noch einen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben Kirchens einnehmen. Die Frage nach der Zukunft des Männergesangsvereins Liederkranz wird am Ende seines Porträts zwar offen gehalten und auf eine dringende Verjüngung gehofft, doch die Überschrift ruft dem Leser auch ein trotziges „Hurra – wir leben noch!“ entgegen.
Autor Gerhard Schmidt arbeitet kenntnisreich die Erfolge und den seit Jahrzehnten um sich greifenden Mitgliederschwund des 125 Jahre alten Vereins auf und gibt in einem Rutsch einen erhellenden Überblick von Events wie den Tanz in den Mai. Indem der Autor die Lupe über die Entwicklung eines heimischen Vereins hält, liefert er grundsätzliche Erkenntnisse über den Zustand der für das gesellschaftliche Leben auch heute so wichtigen ehrenamtlichen Gruppen.
Hoffnung für Wanderverein?
Das gelingt ebenfalls Hubertus Hensel in seinem Beitrag über den Wanderverein „Fahrende Gesellen“. Auch dieser mittlerweile über 100 Jahre alte Traditionsverein kann auf eine stolze Geschichte zurückblicken. 2015 sprach der damalige und heutige Vorsitzende Christoph Busenbach gar von einer Auflösung. Doch wenige Jahre später konnte der Wanderverein das Ruder herumreißen. Mittlerweile finden sich im Vorstand und bei den Aktiven einige junge Gesichter. Das Ende der „Fahrenden Gesellen“ scheint vorerst abgewendet, schreibt Hensel. Künftige Heimatblätter werden hierauf eine finale Antwort geben.
Hier kann man das neue Heimatblatt für 3 Euro kaufen: Blumenhaus Schüller, Buchhandlung Decku, Druiden-Apotheke, Gertruden-Apotheke, Kreissparkasse, Tabak & Co. (alle Kirchen), Buchhandlung MankelMuth (Betzdorf) und Salon Lydia Selbach (Wehbach).
Kirchener Heimatverein sucht Mitstreiter:
Die Aktivitäten des Kirchener Heimatsvereins gehen insgesamt weit über die Sammlung und Aufbereitung von historischen Funden hinaus. Der jährlich stattfindende Heimattag mit abendlichem Rockkonzert ist nur ein Beispiel. Doch leidet der Verein wie viele andere an Mitgliederschwund. Der demografische Wandel macht also auch dem Kirchener Heimatverein zu schaffen, wie Vorsitzender Hubertus Hensel auf der Vorstellung des neuen Heimatblatts erklärte. Ideen seien genug vorhanden – etwa Projekte mit Schulklassen – doch es fehle schlicht an Personal zur Umsetzung. Deshalb ruft der Verein Interessierte dazu auf, im Heimatmuseum donnerstags zwischen 9 und 12 Uhr reinzuschauen oder sich telefonisch beim Vorsitzenden Hensel zu melden (Telefon 02741/634 53). Angesprochen sollen sich Personen aller Generationen fühlen, die ihre handwerklichen Fähigkeiten einbringen, bei Reinigungsarbeiten im Museum helfen oder sich bei der Archivierung von historischem Material einbringen wollen. Zudem sucht der Heimatverein Museumsaufseher für ein bis zwei Sonntage im Jahr.