Eine zunehmende Aggressivität in der Gesellschaft spiegelt sich zusehends im Schulalltag wider. Eine aktuelle Auswertung der „Welt am Sonntag“ basierend auf Zahlen der Bildungsministerien, registrierte in 14 Bundesländern knapp 27.000 Gewaltdelikte. Die Tendenz ist klar steigend.
Die Annahme, dieses Problem betreffe lediglich großstädtische Schulen oder verschone Lehrkräfte, erweist sich als Irrtum. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, gerade auch im ländlich geprägten Rheinland-Pfalz. Lars Lamowski, Landesvorsitzender des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) in Rheinland-Pfalz, bestätigt diese Entwicklung. Er berichtet von wiederkehrenden Einzelfällen, teils auch im Grundschulbereich. Lamowski, selbst Leiter der Grundschule in Kirchen, kennt die Herausforderungen aus eigener Erfahrung.

Der VBE macht regelmäßig auf diese Missstände aufmerksam. Eine repräsentative Studie vom vergangenen Herbst unter gut 1300 Schulleitungen, Anfang dieses Jahres vorgestellt, bestätigt den langjährigen Trend: 60 Prozent der Befragten berichten von einer Zunahme körperlicher und psychischer Gewalt in den letzten fünf Jahren, nur 4 Prozent von einem Rückgang. Täter sind zumeist Schüler oder Eltern. Physische Gewalt geht überwiegend von Schülern aus, psychische von Eltern.
Spezifische Daten für den Kreis Altenkirchen liefern Antworten der Landesregierung auf Anfragen des Landtagsabgeordneten Martin Brandl (CDU), die auf der polizeilichen Kriminalstatistik beruhen. Die jüngste stammt vom April 2024. Für das Erfassungsjahr 2023 wurden den Behörden demnach je ein Körperverletzungsdelikt gegen Lehrkräfte im schulischen Kontext an der Realschule plus Daaden, der Wilhelm-Busch-Förderschule in Wissen und der Schiller-Förderschule in Höhr-Grenzhausen bekannt. Die landesweite PKS-Datenbank listet zudem Fälle auf, bei denen Lehrkräfte zwischen 2019 und 2023 unter Einsatz von Waffen oder gefährlichen Werkzeugen verletzt oder bedroht wurden. Im Kreis Altenkirchen war dies 2019 an der Grundschule Elkenroth und 2023 an der IGS Hamm der Fall. In beiden Fällen war je eine Lehrkraft betroffen. Auch hier wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Viele betroffene Lehrkräfte melden Vorfälle nicht an die Schulleitung, aus Sorge, ihre Autorität könnte dadurch infrage gestellt werden, so die Einschätzung von VBE-Landeschef Lamowski.

Was sind die Ursachen für diese zunehmend aggressive Stimmung an den Schulen? Lamowski erläutert dies mit dem Bild von „Rucksäcken“, die belastete Kinder mit sich trügen – und davon gebe es immer mehr. Er vergleicht die Situation mit der seiner Anfänge im Lehrberuf vor über 20 Jahren: „Damals hattest du zwei, drei Kinder in der Klasse mit Problemen, mittlerweile sind es mindestens die Hälfte, die solche Probleme mit sich bringen.“ Doch längst hat er einen Wandel wahrgenommen. Immer öfter würden Erziehungsdefizite erkennbar. „Da bricht gesellschaftlich einiges zusammen. Gepflogenheiten und moralische Grundsätze sind ein Stück weit verloren gegangen.“
Das Problem betreffe alle Schichten, so die Analyse des Pädagogen. Auf der anderen Seite beobachte er bei Familien, die nach außen vielleicht einen anderen Eindruck erwecken, oft „top“ erzogene Kinder, deren Eltern Wert auf Bildung legen. Auch ein migrationsspezifischer Zusammenhang sei nicht feststellbar, betont Lamowski.
VBE-Landeschef: Anonyme Beratungsstelle könnte Dunkelziffer reduzieren
Wenngleich an Gymnasien weniger ausgeprägt, zeige sich die Entwicklung Lamowski zufolge bei allen Schulformen. Er fordert: „Die Probleme müssen möglichst schon in der Kita und Grundschule angepackt werden.“ Frühzeitiges und entschlossenes Handeln könne die Chance bieten, die „Rucksäcke“ der Kinder im Laufe der Schullaufbahn zu verkleinern, statt sie wachsen zu lassen. Dafür nimmt er die Landesregierung in die Pflicht und fordert, „Schule neu zu denken“. So plädiert er für die Einrichtung einer anonymen Beratungsstelle, die auch zur Reduzierung der Dunkelziffer beitragen würde, den deutlichen Ausbau von Präventionsprogrammen und die Vereinfachung des Maßnahmenkatalogs bei Gewaltvorfällen. Nicht zuletzt fordert der VBE-Landeschef Schulsozialarbeit und Schulpsychologie in multiprofessionellen Teams als dauerhafte Profession in jeder Schule zu etablieren. Lamowski kritisiert, die bestehende Personalausstattung hier bei Weitem nicht ausreiche. Um solche Teams flächendeckend und bedarfsgerecht zu etablieren, plädiert er für die Bildung von regionalen Grundschulnetzwerken. In einem Verbund von beispielsweise vier Grundschulen mit insgesamt etwa tausend Schülern, so Lamowski, wäre es realisierbar, dauerhaft einen Psychologen und einen Schulsozialarbeiter zu beschäftigen.