Johanna Bolz ist angekommen. Angekommen in ihrer neuen Heimat Niederfischbach und auch in ihrem Laden, dem Vintage Kontor in Kirchen, in der Hauptstraße 17, im ehemaligen Dornseifermarkt. Im Juni 2023 eröffnete die gebürtige Neuwiederin ihr Geschäft mit Vintage-Möbeln und sonstigem Inventar, älter als 20 Jahre und nicht älter als 100 Jahre – Vintage eben. Was den ohnehin schon exotischen Laden besonders macht, ist die Philosophie, die die Geschäftsfrau und ihren Mann Christian Wallhäuser anspornt. „Ich nenne meinen Laden das größte Wohnzimmer der Stadt, wo man gerne hinkommt“, sagt Johanna Bolz, die vor der Pandemie eine Eventagentur in Düsseldorf geleitet hat.
Die Erfahrungen aus dieser Zeit kommen ihr nun zugute: Denn die Wahl-Niederfischbacherin lädt in ihrem Geschäft zu Konzerten ein. Damit möchte sie Künstlern eine Plattform bieten, denn die sind, vor allen Dingen in der Provinz, rar gesät. Kurzerhand wird dann im Laden mit seinen 500 Quadratmetern Mobiliar beiseite geräumt, um Platz für die Künstler und 60 Besucher zu schaffen. „Die Liebe zu Veranstaltungen ist geblieben“, sagt die 53-Jährige.

Zuletzt trat der Sänger und Gitarrist der Band@coustics, Eddi Stinner, im Duett mit der Sängerin Esabelle Lütticke auf. Am 11. April und am 30. Mai finden von 18 bis 22 Uhr die nächsten Vinylabende im Vintage Kontor statt, wo die Fans der guten alten Langspielplatten auf ihre Kosten kommen. Die Eintritte zu den Konzerten sind frei, es wird um Spenden für die Künstler gebeten. Übrigens kann der Laden auch für Feiern, beispielsweise von Firmen, angemietet werden. Natürlich steckt hinter diesen – regelmäßig geplanten – Events auch Werbung fürs Geschäft, werden potenzielle Käufer angelockt – aber genau diese Extras brauche es, um den stationären Handel, vor allen Dingen in Kleinstädten wie Kirchen, am Leben zu erhalten, meint Johanna Bolz.
Und das mit dem „größten Wohnzimmer der Stadt“, das meint sie ernst. Denn zu den Öffnungszeiten ist jeder willkommen, allein, um einfach nur eine Tasse Kaffee zu trinken, allein – „hier kann man auch mal sein Strickzeug auspacken“ – oder in Gesellschaft. „Zu mir kommen inzwischen regelmäßig Frauen, die sich mit ihren Freundinnen zum Reden und Bummeln im Geschäft verabreden“, erzählt Johanna Bolz. In Zeiten, wo es immer weniger Treffpunkte gebe, wo Kneipenkultur verschwinde –„denke ich, dass ich mit meinem Laden eine Lücke schließe“, sagt sie und verwendet dafür einen Begriff aus der Soziologie: „Dritter Ort“. Dies umschreibt Orte der Gemeinschaft, die einen Ausgleich zu Familie und Beruf bieten sollen. „Ich möchte, dass mein Laden so ein dritter Ort für die Menschen hier ist“, sagt Johanna Bolz fröhlich.

Die umtriebige und umgängliche Geschäftsfrau und ihr Team, zu dem auch ein Azubi gehört, verbreitet eine ansteckende Willkommenskultur. Hinzu kommt das tatsächlich heimelige Ambiente, eine Mischung aus Wohnstube und Museum, aus den Epochen, wo Frauen Petticoats trugen und Männer sich wie James Dean fühlten und wo Elvis vom Plattenteller trällerte. Johanna Bolz versucht diese entspannte Atmosphäre mit entsprechenden Angeboten zu fördern, wie beispielsweise mit diesem Vinyl-Abend, der auch ein Offlineabend ist: Das bedeutet, Handys sollten ausgeschaltet bleiben.
„Die Besucher sollen wieder miteinander reden“, wünscht sich die Chefin wenigstens für einen Abend eine Kommunikationskultur wie im vordigitalen Zeitalter. Was sie noch anbietet, sind Workshops zu Themen wie beispielsweise „Do it yourself“ und „Upcycling“, Angebote, die voll im Trend der Idee von Nachhaltigkeit liegen. Lesungen könnte sich Johanna Bolz ebenfalls gut auf ihren jungantiken Sofas und Stühlen vorstellen, sagt sie beim Rundgang durch den Verkaufsraum und dem geräumigen Lager. „Wir sind kein Trödelmarkt“, räumt sie mit Vorurteilen auf. Das Geschäft ist mit Geschmack und liebevoll bis ins Detail aufgebaut – eben Verkaufsladen und Veranstaltungsort.
„Ich bin ein Fan des Landlebens geworden.“
Das sagt Johanna Bolz.
Nach Pop, Blues und Jazz werden im Vintage Kontor im Sommer auch ungewöhnliche Klänge zu hören sein: In minimalistischer Besetzung, aber mit großer Spielfreude – so präsentieret das Duo Klezfluentes am 13. Juni, 19 Uhr, Klezmer und jüdische Lieder. Getragene Horas rühren die Seele und schnelle Freilachs animieren das Tanzbein, wenn die Klarinetten und Saxofone von Thomas Peters erklingen, getragen von Greg Wolfs Gitarre. Die Klarinette erklingt mal hoch und brillant, mal weich und tief; das Saxofon füllt den Raum mit vollem Klang, wenn Klezfluentes die Zuhörer mitnimmt auf eine emotionale Reise durch die variantenreiche, traditionelle jüdische Musik mit ihren vielfältigen Einflüssen.
Es ist halt alles etwas anders und besonders im neuen Vintage Kontor in Kirchen. Johanna Bolz ist jedenfalls sehr zufrieden mit dem Start. Aus der Großstädterin ist ein „Provinzler“ aus Überzeugung geworden. „Ich bin ein Fan des Landlebens geworden“, sagt sie lachend.