Ex-Kommissar Helmut Weisbier greift zur Whiskyflasche. „Wollen Sie auch noch einen, Neubart?“, fragt er gönnerhaft. Die Tatsache, dass der ehemalige Lokalredakteur der AK-Revue daraufhin seinen roten Anorak auszieht, lässt erahnen, dass beide sich noch tiefer in Glas und Gespräch vertiefen wollen. Den vermeintlichen Kater am nächsten Morgen nehmen sie dabei in Kauf.
„Jetzt bin ich schon fast ein Jahr pensioniert“, sinniert Weisbier und blickt auf den festlich geschmückten Weihnachtsbaum in seinem Wohnzimmer. „Aber der letzte Fall wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Wie ich den damals gelöst habe ...“ „Sie?“, erwidert der Journalist. „Na, ja – wir waren schon ein gutes Team“, antwortet der frühere Chefermittler in einem Anflug von gefühlter Altersmilde. Weisbier genießt die gemeinsamen Gespräche mit Neubart, zu denen die beiden Ruheständler sich nun regelmäßig treffen. Jedenfalls deutlich mehr, als den Salsakurs, zu dem ihn seine Frau Hildegard Woche für Woche schleppt.
„Der Peters kann mir auf ewig dankbar sein, dass er noch im Amt ist“, setzt der Ex-Polizist den Dialog fort. „Uns“, fiel ihm Neubart ins Wort und greift in die Keksdose, deren köstlichem Inhalt er sich einfach nicht verweigern kann.
„Von mir aus auch uns“, grantelt Weisbier zurück. „Aber letztlich bin ich ja nach Berlin gefahren und habe dem Dobermann dort das Handwerk gelegt“, ergänzt er zu seiner Rechtfertigung. „Nachdem ich Sie dort mit den nötigen Infos aus der Heimat versorgt hatte“, insistiert der Journalist.
Ja, Detlev Dobermann. Dass der zurückgetretene Kreisbeigeordnete die Triebfeder einer teuflischen Intrige und gleichzeitig auch tragisches Opfer seines grenzenlosen Machtdrangs geworden war, lag zunächst wirklich nicht auf der Hand. Obwohl dessen überraschender Rückzug vor allem für Neubart viele Fragen aufgeworfen hatte. Erst die akribische Recherche des ehemaligen Redakteurs hatte nach und nach aus Puzzleteilen ein Bild entstehen lassen.
Ein ganz spezieller Tee
Die Lokalisierung der IP-Adresse, unter der im Internet nach „Kleber“ und „löslich“ recherchiert wurde, führte, dank Neubarts erstklassiger Kontakte in die Ermittlerszene, schnurstracks zu Dobermanns Domizil auf den Alserberg nach Wissen. Dass Landrat Peters dann plötzlich verschwunden und festgeklebt in Betzdorf wieder aufgetaucht war, passte ebenso wenig zu dem Verwaltungschef wie das Gefasel, mit dem er sich vermeintlich an die Spitze der Klimaprotestler katapultierte.
Dobermann hatte in seinem umfassenden Geständnis vor Jahresfrist dargelegt, wie er mithilfe seines Freundes Friedegang Knüppel nach und nach Peters „mental außer Gefecht setzte“, wie er es nannte. Den Tee, den der Chef des Kreishauses mehrmals täglich konsumierte, hatte Dobermann im Landratsbüro in einem unbemerkten Moment ausgetauscht. Wochenlang hatte Peters den Marihuana-Trank zu sich genommen, der in Knüppels Gewächshaus im Steinerother Wald seinen Ursprung genommen hatte – nach und nach hatte dieser Konsum seine Spuren hinterlassen – was eine spätere Haarprobe von Peters kriminaltechnisch zweifelsfrei belegte.
Als die Landratsgattin dann eine „Gehirnwäsche“ ins Spiel gebracht hatte, musste Dobermann befürchten, dass sein Plan auffliegen könnte, selbst auf dem Chefsessel im Kreishaus Platz zu nehmen. Und so hatte er nicht nur Annelie Peters mit einer entsprechenden Teemischung versorgt, sondern auch noch die falsche Fährte zu den Kickern der SG 06 Betzdorf gelegt.
„Schlimm“, unterbricht Weisbier das weihnachtliche Innehalten der beiden Ruheständler. „Das ist das richtige Stichwort“, entgegnet Neubart. „Dass Ihr Assistent Kalle Schlimm sich von Dobermann zum Handlanger hat machen lassen, geht ja nun auf Ihre Kappe.“ Weisbiers Blick aus dem Whiskeyglas heraus verlangt ungefragt nach einer Erklärung. „Wenn Sie ihn vor Ihrer Pensionierung als Ihren Nachfolger ins Gespräch gebracht hätten, wäre er Dobermanns Angebot, später Abteilungsleiter in der Kreisverwaltung zu werden, nicht erlegen“, konstatiert Neubart messerscharf. „Schlimm mein Nachfolger? Der hätte doch den Knall nicht mehr gehört“, raunzt Weisbier.
Und dann erinnern sich beide an die attraktive Layla Liedermacher, die nun neben Dobermann und Schlimm das Gefängnistor von innen begutachtet. „Was hat die sich nur dabei gedacht, den benebelten Peters zu einer amourösen Affäre nach Amsterdam zu locken?“ „Wo die Liebe hinfällt“, weiß Neubart schnell Rat und erklärt seinem neuen Freund noch einmal, dass Laura und Detlev insgeheim schon lange ein Liebespaar waren und dass kompromittierende Fotos aus den Niederlanden den Landrat endgültig vom Stuhl kippen sollten.
Nur was es letztlich mit dem ominösen 50-DM-Schein und der geheimnisvollen Zahlenkombination auf sich hatte? Da zucken Weisbier und Neubart auch ein Jahr nach Aufklärung des Verbrechens noch synchron mit den Schultern. Doch der nächste Whisky spült diese Fragezeichen mit hinunter. Prost.