Referent Roman Herre stellt Methoden und Folgen des "Landgrabbing" dar - Weitere Veranstaltungen in Altenkirchen geplant
Faire Woche in Altenkirchen: Landenteignung ist das erste Thema
Zum Start der Fairen Woche 2022 luden die Fairtrade-Steuerungsgruppe und Interimsbürgermeister Paul-Josef Schmitt (links) zum Vortrag über Landgrabbing mit Referent Roman Herre (Mitte) in die Christuskirche ein. Foto: Julia Hilgeroth-Buchner
Julia Hilgeroth-Buchner

Altenkirchen. Corona-Ängste, steigende Lebensmittelpreise, Energieengpass – die aktuellen Krisen machen es Kampagnen wie der Fairtrade-Bewegung gerade schwer, für ihre Anliegen Gehör zu finden. Dabei sind die Probleme drängend wie nie und die Methoden, mit denen Kleinbauern in südlichen Ländern ausgebeutet werden, nehmen immer perfidere Züge an.

Zum Start in die bundesweite Fairtrade-Woche lud die Steuerungsgruppe der Fairtrade-Stadt Altenkirchen mit Roman Herre einen Experten zum Thema Landenteignung ein und eröffnete damit eine Reihe von Veranstaltungen zum Thema.

Claudia Leibrock, die als Verbindungsperson zwischen Stadtrat und der Fairtrade-Steuerungsgruppe fungiert, begrüßte zunächst ihre Mitstreiter und die Besucher in der Christuskirche und unterstrich die bewährte Zusammenarbeit. Interimsbürgermeister Paul-Josef Schmitt lobte in seinem Grußwort seinerseits das Engagement der Verantwortlichen und wies auf das Programm in den kommenden beiden Wochen hin.

Dann gehörte das Podium Roman Herre. Der Ethnologe und Geograf, der als Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation Fian tätig ist, stellte seinen Vortrag unter das Motto „Landgrabbing und die globale Jagd nach Land“ und umriss zu Beginn die Aneignung gewaltiger Flächen durch nationale und internationale Eliten und Investoren. „Seit dem Jahr 2000 sind zwischen 70 und 200 Millionen internationaler ,Landdeals' dokumentiert worden. Die Dunkelziffer ist hoch.

Es wird nur ein kleiner Teil zur Nahrungsmittelerzeugung genutzt“, erläuterte Herre. Bei der Verwertung von Zahlen sei Vorsicht geboten. „Deutschland ist mit 300.000 Hektar angeführt, die Deutsche Bank alleine ist jedoch schon 2010 an Firmen beteiligt gewesen, die in Afrika, Südostasien und Lateinamerika drei Millionen Hektar besitzen.“ Der Anstieg des Landgrabbing seit 2007 sei eine Reaktion auf das Zusammentreffen globaler Krisen (Nahrungsmittelkrise, Klimawandel, Finanzkrise, Energie- und Rohstoffkrise).

Als Triebkraft sei auch die „totale Transformation“ auf dem Land zu nennen. „In den letzten 57 Jahren wurden zusätzlich 173 Millionen Hektar Land für Raps, Soja, Palmöl und Zuckerrohr in Beschlag genommen, bei denen es sich nicht um Grundnahrungsmittel handelt.“ Herre beschrieb nun am Beispiel einer Landübernahme in Kambodscha die gewaltsamen, kriminellen Methoden, mit denen die Kleinbauern vertrieben werden. Eine der Strategien sei, den Menschen den Zugang zu Land, Wiesen, Weiden und Wasser zu versperren.

In Paraguay sei bis 2021 eine Fläche in der Größe Bayerns plus Thüringens kommerziell entwaldet worden. Auch gebe es inzwischen neue Formen des Landgrabbings. Die bisherigen „Wildwest-Investoren mit spektakulären Botschaften“ seien neuen professionellen, globalen Akteuren gewichen, darunter der Konzern Olam International, der hochtransparent arbeite und sich für „Grüne Investitionen“ und Entwicklungshilfe einsetze. Der Referent stellte fünf einschlägige Mechanismen im Landgrabbing dar.

Dabei handele es sich um den Einfluss globaler Agrarinvestoren, um die weltweiten Manipulationen der Finanzwelt, um die Auswirkungen der EU-Handelspolitik, um die immer wieder in der Kritik stehenden Maßnahmen der Entwicklungshilfe und die Vorgehensweise bei der Vergabe von Mikrokrediten, die vielfach Überschuldung und Landverlust nach sich ziehen würden.

Auch jeder Einzelne sei letztlich in die Vorgänge eingebunden, denn die Gesellschaft trage eine doppelte Verantwortung. „Wir finanzieren und importieren“, betonte der Referent und wies nun auf die Verletzung der Menschenrechte hin, das Kernthema der Fian. Nicht nur das Recht auf die Grundversorgung, auch das Recht auf Bildung, Versammlungsfreiheit und Ausführung des kulturellen Lebens werde durch Landgrabbing zerstört. Der menschenrechtliche Schutz werde normativ gestärkt, es gebe für die Fian aber trotzdem viel Handlungsbedarf in Bereichen wie Öffentlichkeitsarbeit, Interessenvertretung und Unterstützung der Vernetzung.

Zwar fehle es massiv an Instrumenten zur Durchsetzung der Menschenrechte, es bestehe aber auch Hoffnung. „Es hat sich schon einiges getan“, bilanzierte Roman Herre am Ende seines Vortrags, der in eine lebhafte Diskussion mündete. Die Steuerungsgruppe lädt nun bis zum 22. September dazu ein, die Strukturen von Fairtrade kennenzulernen und freut sich auf viele Interessenten.

Von Julia Hilgeroth-Buchner

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