„Das ist Corona geschuldet“, beantwortet Andrea Braun die Frage, wie das Team auf das Reggio-Konzept gekommen ist. Nachdem die Kita 2019 den Träger gewechselt hatte, wurde noch mal bei Null angefangen. Nach welchem pädagogischen Konzept sollten die Kinder in der Einrichtung erzogen werden?
Die Kita-Leitung sah sich darauf viele Konzepte an: Von Waldorf über Montessori, Fröbel bis Freinet. Und dann entdeckten sie die Reggio-Pädagogik für sich. „Wichtig war von Anfang an, was passt zu uns“, sagt Braun. „Am meisten begeistert hat das 37-köpfige Team jedoch die Philosophie der Reggio-Pädagogik.“ Beginnend mit einem zweitägigen Einführungskurs startete nun die gemeinsame Entdeckungsreise in die Reggio-Pädagogik, kontinuierlich begleitet von erfahrenen Referentinnen.
Was steckt hinter der Reggio-Pädagogik?
Doch was steckt nun genau hinter der Reggio-Pädagogik? In einem Satz lasse sich das nur schwer zusammenfassen, wie Jutta Röcher sagt. Sie ist pädagogische Bereichssprecherin Ü3 in der Kita und eine der neun bereits nach der Reggio-Pädagogik ausgebildeten Fachkräfte. „Die Reggio-Pädagogik spricht von den 100 Sprachen der Kinder, 100 Ausdrucksmöglichkeiten, denen wir Raum geben müssen.“, so Röcher.
„Unsere Aufgabe ist, Kinder vielfältige Materialerfahrungen zu ermöglichen, damit sie ihrem Eindruck Ausdruck verleihen können. So können die Kinder der Kita St. Nikolaus beispielsweise mit Ton, Draht und Graphit arbeiten, mit Licht und Schatten experimentieren, und vieles mehr“, erklärt Braun. Weiter sei der „Raum als dritter Erzieher“ eine wichtige Säule der Reggio-Pädagogik wäre. „Räume müssen einen Aufforderungscharakter haben und neugierig machen.“
Kinder lernen viel durch Projektarbeit
Wichtig ist es den pädagogischen Fachkräften, dass Kinder sich einem Thema auf vielseitige Weise widmen können und ganzheitliche Lernerfahrungen machen können. Dies geschieht in der Kita St. Nikolaus überwiegend in Form von Projektarbeit. Aktuell beispielsweise beschäftigt sich eine Gruppe mit dem Thema Edelsteine. So werden den Kindern Edelsteine gezeigt, die sie unter einem Mikroskop selbst erforschen können. Dazu gibt es Ton, sodass sie die Form und den Aufbau der Steine nachbauen und so noch besser erfassen können.
„Der Raum muss so gestaltet werden, dass die Kinder Lust zum Lernen haben“, sagt Braun. Dieses Konzept ist von Anfang an in der Kita mitgedacht worden. So gibt es etwa einen Raum, in dem die Kinder mit Licht und Schatten arbeiten können. „Sie können etwa etwas aus Draht und Ton herstellen. Dann können sie mit einer Lampe ihr Werk an die Wand projizieren und den Schatten von der Wand auf ein Papier abzeichnen. So lernen sie, wie es unterschiedliche Perspektiven zu ihrem Werk geben kann“, erzählt Röcher.
Auch die Eltern werden einbezogen
Ein weiterer Punkt ist, dass die Kita kein isolierter Raum für die Kinder ist. Auch Eltern und das Umfeld sollen mit einbezogen werden. „Bei uns gibt es zum Beispiel ein Kinderrestaurant. Dort können die Eltern unangemeldet kommen und Zeit mit ihren Kindern verbringen“, sagt Braun. Und auch die Eltern können sich selbst mit ihren eigenen Fähigkeiten einbringen. Eine Mutter habe etwa mit den Kleinen chinesisch gekocht, ein Vater bot einen Musikworkshop an.
Dass die Idee der Reggio-Pädagogik den Kindern die Möglichkeit gibt, ihre Umwelt möglichst selbst zu erkunden, bedeute aber nicht, dass sie ohne Aufsicht der Erzieherinnen sind. „Die machen dann, was sie wollen, heißt es manchmal“, sagt Braun und korrigiert: Natürlich sei immer eine Erzieherin dabei, doch statt mit Belehrungen werde den Kindern mit freundlichem Nachfragen geholfen. Die Erfahrung zeige, dass das Konzept bei den Kindern sehr gut ankomme. „Sie sind gut ein- bis eineinhalb Stunden in eine Tätigkeit vertieft“, sagt Röcher. Und das zeige ja schon, dass sich die Kinder dafür begeistern können.
Am Freitag nächste Woche komme Heide Marie Syassen vom Netzwerk Incontro und Gründungsmitglied sowie Regionalsprecherin des Vereins Dialog Reggio, um sich vor Ort ein Bild von der Einrichtung zu machen. Und wenn alles passt, dann erhält die Kita St. Nikolaus am Tag darauf ihr Zertifikat
Das Konzept kommt aus Italien
Die Reggio-Pädagogik ist benannt nach der italienischen Stadt Reggio nell'Emilia. Das Grundkonzept ist dabei, dass die Erzieherinnen und Erzieher bei den Kindern mit ihren Stärken arbeiten und nicht gegen ihre Schwächen. So sollen sich die Kinder individuell nach ihren Möglichkeiten entfalten und selbst verwirklichen können.
Drei Kirchener Kita-Mitarbeiterinnen waren sogar in der italienischen Stadt, um sich das Konzept am Gründungsort anzusehen. Projektarbeit ist zum Beispiel sehr wichtig. In der Kita St. Nikolaus in Kirchen wird das bereits praktiziert und die Ergebnisse werden für alle Kinder sichtbar mit Bildern in den Fluren gezeigt. Auch wenn dieses Konzept in Deutschland schon rege Verbreitung hat, ist es in unserer Region noch eher selten zu finden. „Einige Kitas übernehmen einzelne Aspekte“, sagt Kita-Leiterin Andrea Braun. Aber eine zertifizierte Kita ist im Kreis Altenkirchen selten. Das Interesse daran scheint aber groß. Denn die Kita St. Nikolaus erhalte regelmäßig Anfragen anderer Kitas aus der Region, die sich das Konzept genauer ansehen wollen. lrs