Carla Muhl (11) lebt erst seit einem Jahr wieder in Betzdorf - Die Eltern machten aus ihren Lieblingssport und dem Wandern eine neue Disziplin
Elfjährige hat seltenes Hobby: Sportliche Heimatkunde mit der Tuchakrobatik
Peter Seel, privat

Betzdorf. Wenn sich Carla in die Lüfte schwingt, tut sie das meist an einem sieben Meter langen mintgrünen Tuch, das irgendwo in der Natur an einen Baum geknotet wird. Routiniert zieht sie sich hinauf und schlingt je nach Übung Beine und Arme mehrfach in den Stoff, kennt Knoten und Wicklungen seit Langem in- und auswendig. Trotzdem sind Mama, Papa oder Oma immer dabei und passen auf, wenn die Elfjährige dem seltenen Sport mit dem Vertikaltuch nachgeht. Denn ein Netz oder doppelten Boden gibt es bei Carlas Tuchakrobatik nicht. Auch nicht daheim am Betzdorfer Molzberg, wo die Muhls in einem Haus wohnen, das mit seinen Fachwerkquerbalken ideale Trainingsmöglichkeiten mitten im Wohnzimmer bietet – auch wenn das sportliche Töchterlein hier „nur“ an einem vier Meter langen weißen „Areal Silk“ turnen kann. „Beim Fernsehen hängt sie meistens in ihrem Tuch“, lacht Mutter Caroline Muhl. Und Vater Theo Küper fügt hinzu: „Überhaupt ist sie in jedem freien Moment unter der Decke, sogar abends im Schlafanzug.“

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Für sich entdeckt hat das Mädchen die besondere Form der Akrobatik vor zwei Jahren bei einem Ferienaufenthalt der Familie auf Sylt. „Da gab es in der Nähe einen Ferienzirkus, wo Kinder mitmachen konnten“, erzählt sie. „Und man konnte sich unter vielen Angeboten aussuchen, womit man dann später bei einer Vorstellung auftreten will. Ich fand die Vertikaltuchakrobatik von Anfang an am spannendsten.“

Also machte sie beim Ferienzirkus eine „Schnellausbildung“ mit einer der Zirkusakrobatinnen. „Die hat mir die wichtigsten Grundlagen erklärt, und das hat irre Spaß gemacht, besonders beim Auftritt mit Glitzerkostüm, Schminke und vor Publikum.“ Das Motto hieß „Dschungel“, und die Tücher waren natürlich die idealen „Lianen“ dazu. „Das Ganze war ein so durchschlagender Erfolg“, berichtet ihr Vater, „dass sie sich so ein Tuch zum zehnten Geburtstag gewünscht hat.“

Seither übte Carla Muhl, zunächst im Bochumer Wohnzimmer, wo ihr Vater ihr einen Haken an die Decke montierte, später dann in einem Verein, der ein Training am „Areal Silk“ anbot. Dabei kam es ihr entgegen, dass sie sportlich ist und auch in der Schule jede Menge Spaß am Bodenturnen, am Reck und am Pferd hat. Die schwebenden Choreografien im Tuch sind anspruchsvoll und reichen vom Purzelbaum über Spagat kopfüber bis zum Salto – neben Klettern und Fußknoten heißen die Übungen etwa „Schere“, „Skorpion“, „Kapitän“ oder „Abfaller“. Übrigens spielt Carla auch Tennis beim VfL Kirchen und voltigiert mit dem Pferd Linus. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie jedoch ruhen alle diese Hobbys.

In Betzdorf wohnt die Familie erst seit vergangenen September. Carlas Mutter stammt von hier, ihr Vater, der inzwischen verstorbene Arzt Eberhard Muhl, ist vielen in der Region namentlich noch ebenso bekannt wie sein Bruder Ulrich, der Rechtsanwalt war. Caroline Muhl selbst ist Neurologin und konnte im Herbst am DRK-Krankenhaus in Kirchen einen neuen Lebensabschnitt in der alten Heimat beginnen, nachdem sie 28 Jahre lang am Helios-Klinikum Wuppertal tätig war. Da lebten die drei in Bochum, von wo aus sie mit Carlas Vater einen „Urbochumer“ in den Westerwald entführten.

So weit, so schön – doch mit der Tuchakrobatik gab es ein Problem: Während es in Bochum eine Gruppe dafür gab, die Carla bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie regelmäßig besuchte, gibt es so was im AK-Land nicht. „Wir haben jetzt aber einen Verein in Siegen gefunden“, sagt die Elfjährige, „ wo mich meine Eltern dann nach der Corona-Zeit hinfahren wollen.“ Bis dahin indes musste sich die Familie etwas einfallen lassen, zumal das Training am heimischen Hausbalken Carla nicht auslastet. So geht es bereits regelmäßig, zumindest bei schönem Wetter, in den Garten von Großmutter Christine, wo man das Areal Silk bequem an einen der großen Apfelbäume im Garten befestigen kann.

Doch dann hatten die Eltern eine Idee, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: Überall im Westerwald gibt es Laubbäume mit ihren oft ausladenden Ästen. Und weil Carlas Papa die Region bislang ebenso wenig kannte wie das Mädchen selbst, unternahm man im Frühjahr einige größere Touren unter dem Motto „Heimatkunde mit Tuchakrobatik“: „Wir wanderten zu verschiedenen landschaftlich schönen Fleckchen im Kreisgebiet und schauten zugleich immer nach großen Bäumen, an denen Carla trainieren konnte.“

Dabei sind Fotos entstanden am Elkenrother Weiher, am Waldlehrpfad rund um die historische Hüllbuche in Daaden, an der Firzlbach-Mündung im Siegtal in Wissen, auf dem Silberberg in Daaden, am Betzdorfer Molzberg, auf der Höhe bei Dauersberg, am Ottoturm bei Herkersdorf.

„Diese Art der Heimatkunde war für meine Tochter und meinen Mann gleichermaßen interessant“, erzählt Mutter Caroline. „So konnte Carla ihrem Hobby nachgehen und wir gemeinsam noch ein wenig die Gegend erkunden. Schon in Bochum ist sie mit ihrem Tuch gerne zum Üben in den Stadtpark gegangen.“ Wenn dann nach Corona wieder der Schulalltag halbwegs normal stattfinden kann, will Carla ihren Lehrer auch fragen, ob sie das Tuch nicht mal mit in den Sportunterricht nehmen kann. Vielleicht findet sich am Betzdorfer Freiherr-vom-Stein-Gymnasium dann ja eine Gruppe zusammen, die das Tanzen in der Luft, Figuren tanzen mit dem Tuch als eleganten Sport und Krafttraining anbietet, hofft Carla.

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