Am kommenden Montag, 11. März, jährt sich die schreckliche Tat – ein Jahr, in dem Luise Geburtstag gefeiert, ein neues Schuljahr begonnen oder das Weihnachtsfest gemeinsam mit ihrer Familie erlebt hätte. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv, wie der Siegener Landrat Andreas Müller in einem Pressegespräch im Freudenberger Rathaus herausstellt. Bürgermeisterin Nicole Reschke fasst die Stimmung in der Bevölkerung in Freudenberg zusammen: „Die Gedanken und Gefühle lassen einen nie los und kommen wieder hoch.“ Pastor Thomas Ijewski sagt: „Wunden können heilen, aber Narben können bleiben.“
Die Täterinnen, damals zwölf und 13 Jahre alt, werden strafrechtlich nicht belangt. Dafür hätten sie mindestens 14 Jahre alt sein müssen. Landrat Müller ist sich bewusst darüber, dass dies das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen verletze, verteidigt aber die Altersgrenze, die aus „guten Gründen“ bestehe, wie auch Wissenschaftler im vergangenen Jahr bestätigt hätten. Die Mordkommission des Polizeipräsidiums Hagen hat die Ermittlungen eingestellt, die Staatsanwaltschaft Koblenz das Verfahren – auch weil keine Hinweise darauf deuten, dass eine dritte Person im strafmündigen Alter beteiligt gewesen sei, wie Müller ergänzt.
Angehörige verklagen Täterinnen auf Schmerzensgeld
Wie das zuständige Landgericht Koblenz am Dienstag bestätigt, haben die Hinterbliebenen von Luise Ende November Zivilklage gegen die beiden Täterinnen eingereicht. Sie fordern ein Schmerzensgeld von mindestens 50.000 Euro für die beiden Eltern sowie ein Hinterbliebenengeld in Höhe von mindestens 30.000 Euro je Kläger. Minderjährige können in einem Zivilprozess verklagt und verurteilt werden, wie das Landgericht informiert. Laut Landrat Müller lägen der Kreisverwaltung dazu keine Infos vor.
Wie der Sozialdezernent des Landkreises, Thomas Wüst, erklärt, sei es nun die Aufgabe der Behörden, den Täterinnen einen Weg zurück in die Gesellschaft zu ermöglichen. Dazu haben die Mädchen eine Psychotherapie unterlaufen, die unter anderem ein Verhaltenstraining beinhaltete. Dazu gehörte auch die Arbeit mit dem familiären Umfeld – „der einzige Anker, der für sie verblieben ist“, so Wüst. Bei einer der Täterinnen ist die Therapiephase abgeschlossen, seit Kurzem lebt sie in einer Wohngruppe außerhalb des Kreises Siegen-Wittgenstein. Auf Nachfrage will sich Wüst nicht dazu äußern, inwiefern das Schuldempfinden bei beiden ausgeprägt sei.
Wir haben die Hetze nicht überhandnehmen lassen.
Nicole Reschke, Bürgermeisterin von Freudenberg
Bürgermeisterin Reschke kündigt an, weiterhin „alles dafür zu tun, dass der Zusammenhalt in der Stadt bleibt“. Zur Erinnerung: Die Bürger Freudenbergs wurden nicht nur von manchen Journalisten verstört, die nicht davor zurückschreckten, Grundschulkinder zu befragen oder an Haustüren von Anwohnern zu klingeln. Insbesondere in den Sozialen Netzwerke hatte es einige aufrüttelnde Ausfälle gegeben. Doch: „Wir haben die Hetze nicht überhandnehmen lassen“, stellt die Bürgermeisterin heraus. Aber auch vermeintlich positive Begleiterscheinungen haben sich ins Gegenteil umgekehrt. So hatten sich vor einem Jahr zahlreiche Menschen von auswärts nach Freudenberg aufgemacht, um ihre Anteilnahme auszudrücken.
Zum Jahrestag wollen die Verantwortlichen genau dies vermeiden aus Rücksicht auf die Angehörigen der Ermordeten. Pastor Ijewski appellierte an Außenstehende, die mit dem Gedanken spielen, nach Freudenberg zu pilgern: „Bleiben Sie daheim. Lassen sie den Tod von Luise nicht zu ihrem Lebensmittelpunkt werden.“ Der Geistliche wirbt dafür, das Grab des Mädchens auf Wunsch ihrer Familie als privaten Bereich der Trauer zu akzeptieren. Zwar werde in der Gesamtschule, die sie besucht hatte, für Schüler ein Trauerraum geöffnet. Darüber hinaus planen weder die Stadt noch der Landkreis oder die Kirchengemeinde einen Gedenkort zu verwirklichen. „Ich halte wenig davon, die Erinnerung an Luise in Stein zu meißeln“, so Pastor Ijewski. Stattdessen solle ihr Andenken in den Herzen bewahrt werden.