Die demografischen Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Baby-Boomer gehen bis 2035 komplett in Rente. Das heißt für den Kreis Altenkirchen, dass dann rund 35.500 Menschen im Ruhestand sind – 6000 mehr als aktuell. „Der Kreis ist auf das Wohnen der älteren Menschen nicht vorbereitet, warnt das Pestel-Institut, das eine Regional-Untersuchung zum Seniorenwohnen durchgeführt hat. Und der Zeigefinger wird noch mahnender: „Der Wohnungsmarkt im Kreis ist mit der neuen Rentnergeneration der geburtenstarken Jahrgänge komplett überfordert. Es fehlen Seniorenwohnungen“, sagt Matthias Günther, Leiter des in Hannover ansässigen Forschungsinstituts. Schon jetzt gebe es einen massiven Mangel an altersgerechten Wohnungen. Das werde sich in den nächsten Jahren allerdings noch enorm verschlimmern. Oder anders gesagt: „Der Kreis Altenkirchen rast mit 100 Sachen auf die graue Wohnungsnot zu“, so Günther.
Er nennt dazu konkrete Zahlen: So gibt es aktuell rund 59.700 Haushalte im AK-Land. In 37 Prozent davon leben Senioren. „Bereits heute braucht der Kreis Altenkirchen rund 5100 Wohnungen für die älteren Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind. Doch diese Seniorenwohnungen gibt der Wohnungsmarkt im Kreis Altenkirchen bei Weitem nicht her“, argumentiert der Diplom-Ökonom. Und für 2045 ermittelt die Untersuchung demnach bei den benötigten Seniorenwohnungen sogar einen deutlichen Anstieg: So wird die Region an Sieg und Wied in zwanzig Jahren für rund 7100 Seniorenhaushalte Wohnungen brauchen, die zum Leben im Alter passen.
Sanierungsoffensive gefordert
Eigentlich sei der Bedarf sogar noch höher, so das Pestel-Institut. „Denn ein Großteil der altersgerechten Wohnungen wird noch nicht einmal von Älteren bewohnt. Oft nutzen nämlich auch Familien den Komfort einer Wohnung ohne Schwellen, mit breiten Türen, Fluren und Räumen. Denn wo das Leben mit einem Rollator klappt, da kommt man auch mit einem Kinderwagen klar“, sagt Günther.
Neben dem Neubau sei deshalb vor allem eine Sanierungsoffensive notwendig, um für mehr seniorengerechte Wohnungen im AK-Land zu sorgen. „Doch die ist bislang nicht in Sicht: Das Fatale ist, dass wir dazu politisch nur eine Vogel-Strauß-Taktik erleben. Statt mit einem effektiven Programm fürs Senioren-Wohnen das Problem anzupacken, hat vor allem der Bund den Kopf in den Sand gesteckt und die graue Wohnungsnot seit Jahren ignoriert“, sagt der Institutsleiter.
Das müsse sich jetzt dringend ändern, fordert auch Katharina Metzger. Sie ist Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der die Regional-Untersuchung zum Seniorenwohnen beim Pestel-Institut in Auftrag gegeben hat. An die Adresse der Bundestagsabgeordneten von CDU und SPD aus Rheinland-Pfalz richtet sie einen eindringlichen Appell: „Der Wohnungsbau braucht einen gewaltigen Schub. Es ist wichtig, dass die CDU und die SPD im Kreis Altenkirchen dieses ‚SOS-Notsignal fürs Wohnen‘ deutlich nach Berlin funken.“
Staatliche Unterstützung erforderlich
Matthias Günther hat bei einer Sanierungsoffensive für mehr altengerechte Wohnungen vor allem auch die rund 16.100 Haushalte im AK-Land im Blick, wo Senioren in den eigenen vier Wänden wohnen: „Ob Eigenheim, Reihenhaus oder Eigentumswohnung – es ist wichtig, älteren Menschen für ihr Wohneigentum rechtzeitig einen Anreiz zu geben, ihr eigenes Zuhause seniorengerecht umzubauen. Dabei ist das Bad das A und O“, so der Chef-Ökonom des Pestel-Instituts. Das Wichtigste seien große Bäder mit einer Dusche ohne Schwellen und Stufen.
Bei Senioren, die zur Miete wohnen, warnt das Institut vor Altersarmut: „Bei vielen Baby-Boomern gab es immer wieder Phasen von Arbeitslosigkeit. Außerdem waren die geburtenstarken Jahrgänge die, die oft zum Niedriglohn gearbeitet haben. Also gehen viele der Baby-Boomer mit einer eher kleinen Rente nach Hause. Ihre Miete können sie sich damit nicht mehr leisten – sie wird zur ‚K.o.-Miete‘. In Zukunft werden also deutlich mehr Menschen als heute im Kreis Altenkirchen auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, um überhaupt ein Dach über dem Kopf zu haben“, so die Prognose von Institutsleiter Günther.
Die Untersuchung nimmt auch das Mieter-Portemonnaie der Senioren ins Visier: Demnach liegt die durchschnittliche Kaltmiete im Kreis aktuell bei rund 5,20 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. 61 Prozent der Seniorenhaushalte, die zur Miete wohnen, leben sogar günstiger: Rund 2900 Haushalte im AK-Land, in denen Ältere leben, zahlen nach Angaben des Pestel-Instituts derzeit weniger als die Durchschnittsmiete. „Noch jedenfalls“, sagt Ökonom Matthias Günther. Denn das werde sich deutlich ändern, wenn der Staat nicht bereit sei, den Neubau von Seniorenwohnungen und den altersgerechten Umbau bestehender Wohnungen kräftig zu unterstützen.
„Graue Wohnungsnot ist in unserer alternden Gesellschaft ein absehbares Problem. Neben der Modernisierung von Bestandswohnungen ist der Neubau bedarfsgerechter Wohnungen das entscheidende Mittel dagegen.“
Die heimische CDU-Bundestagsabgeordnete Ellen Demuth
Doch wie sieht die heimische Politik die Entwicklung? „Graue Wohnungsnot ist in unserer alternden Gesellschaft ein absehbares Problem. Neben der Modernisierung von Bestandswohnungen ist der Neubau bedarfsgerechter Wohnungen das entscheidende Mittel dagegen“, argumentiert Ellen Demuth (CDU), die bei den Bundestagswahlen das Direktmandat im Wahlkreis Neuwied/Altenkirchen geholt hat. Mit einem Maßnahmenpaket aus mehr Planungsbeschleunigung und weniger Bürokratie müsse der Wohnungsbau stärker als bisher gefördert werden, so ihre Überzeugung.
Ein zentraler Baustein könne dabei ihrer Ansicht nach das serielle, modulare und systemische Bauen sein. „Durch seine hohe Effizienz schafft es schnell neuen und bezahlbaren Wohnraum“, ist Demuth überzeugt. Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, müssten die richtigen Rahmenbedingungen, insbesondere durch eine Vereinfachung von Bau‑ und Förderverfahren, geschaffen werden. Auch die verschiedenen Förderprogramme der KfW sollten vereinfacht werden, um mehr Menschen den Neu- oder Umbau von Wohnungen zu ermöglichen. „Ich setze mich dafür ein, dass die neue Bundesregierung in diesen Punkten eine deutliche Sprache spricht“, so die Christdemokratin.
„Sowohl im freien und im sozialen Wohnungsbau als auch im Wohneigentumsbau müssen öffentliche Fördermaßnahmen an altersgerechtes Bauen geknüpft werden.“
Udo Quarz, Vorsitzender der Linken im Kreis Altenkirchen
Die Linkspartei im Kreis Altenkirchen teilt die Warnung des Pestel-Institutes vor einer grauen Wohnungsnot. „Im Alter gewinnen die Wohnbedingungen zunehmend an Bedeutung. Während ein Teil der älteren Generation bereits heute über ausreichende Wohnbedingungen verfügt und eher Hilfe bei der Alltagsbewältigung benötigt, steigt der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen, die eine selbstständige Lebensführung bis ins hohe Alter gewährleisten“, so der Kreisvorsitzende der Linken, Udo Quarz. Barrierefreies Bauen, sowohl im Neubau als auch bei Umbauten und dem Gestalten einer neuen Wohnumgebung rücke so immer mehr in den Fokus. Die entsprechenden Bauvorschriften müssten daher beim Neubau, als auch beim Umbau von Altbauwohnungen altersgerechtes Bauen vorsehen, führt er aus.
„Daneben muss die öffentliche Wohnungsbauförderung den veränderten Ansprüchen gerecht werden. Sowohl im freien und im sozialen Wohnungsbau als auch im Wohneigentumsbau müssen öffentliche Fördermaßnahmen an altersgerechtes Bauen geknüpft werden“, so seine Überzeugung. Außerdem müsse im Rahmen des Mietrechtes eine Begrenzung der Miethöhe erfolgen, damit die Wohnungen für die älteren Bürger bezahlbar blieben. „Da sich die Marktmechanismen als Steuerungsinstrument beim altersgerechten Bauen und Wohnen nicht ausreichend bewährt haben, stehen die Kommunen in der Verantwortung durch eigene öffentliche Wohnungsbaumaßnahmen für ausreichend Wohnraum auch für die älteren Bürger zu sorgen“, fordert Quarz abschließend.
Das steht im Koalitionsvertrag zum Thema Bauen und Wohnen
Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf folgende Formulierungen (in Auszügen) verständigt: „Wohnen wollen wir für alle Menschen bezahlbar, verfügbar und umweltverträglich gestalten. Alle Wohnformen, ob Eigentum oder Mietwohnung, in der Stadt und im ländlichen Raum sind für uns gleichwertig. Wir kurbeln den Wohnungsbau und die Eigentumsbildung durch eine Investitions-, Steuerentlastungs- und Entbürokratisierungsoffensive an. Zur Stabilisierung des Wohnungsmarktes wird der soziale Wohnungsbau als wesentlicher Bestandteil der Wohnraumversorgung ausgebaut. Mieter müssen wirksam vor Überforderung durch immer höhere Mieten geschützt werden. Wir stärken die städtebauliche Entwicklung unseres Landes, gerade auch in den ländlichen Räumen, bekämpfen Leerstand in strukturschwachen Regionen, stärken Innenstädte und soziale Infrastrukturenund passen sie an Klimawandel sowie Barrierefreiheit an. Durch serielles, modulares und systemisches Bauen heben wir Beschleunigungspotenziale.“ kra