Ausstellung in und am alten Gebäude von Karstadt
Den „Monte Schlacko“ zu Kunst gemacht
uni_artist_in_residence_2024_8625
Die Ausstellung ermöglicht auch Blicke in das Karstadt-Gebäude. Fotos: André Zeppenfeld
André Zeppenfeld. André Zeppenfeld

Bis Sonntag, 3. November, ist am leer stehenden Karstadt-Gebäude in Siegen eine Ausstellung der Künstlerin Susanne Kriemann zu sehen. Das Werk ist im Rahmen des „Artist in Residence“-Programms des Museums für Gegenwartskunst und der Universität Siegen entstanden und beschäftigt sich mit Flora und Fauna des „Monte Schlacko“. Begleitet wird das Ausstellungsprojekt von einem Rahmenprogramm aus öffentlichen Gesprächen, Führungen und Workshops der Beteiligten.

Begleitet wird das Ausstellungsprojekt von einem Rahmenprogramm aus öffentlichen Gesprächen, Führungen und Workshops der Beteiligten. Im Siegerland ist der „Monte Schlacko“ bestens bekannt. Die ab 1900 aufgeschüttete Schlackenhalde der ehemaligen Bremer Hütte im Siegener Stadtteil Geisweid steht im Mittelpunkt der Arbeit von Susanne Kriemann. Im Austausch mit Wissenschaftlern der Universität Siegen und der Stadtgesellschaft hat sie sich mit der Geschichte und Pflanzenwelt der Schlackenhalde beschäftigt. Das Ergebnis ist das Projekt „Hey Monte Schlacko, Dear Slagorg“, das Kriemann nun der Öffentlichkeit vorstellt.

Alle Schaufenster genutzt

Für die Installation der Arbeit hat sie zusammen mit ihrem Team die Schaufenster aller Etagen des leer stehenden Karstadt-Gebäudes in der Siegener Innenstadt aktiviert. An der Fassade, in den Vitrinen und teilweise auch im Innern des ehemaligen Warenhauses wurden großformatige Drucke und Textilien angebracht. Sie zeigen unterschiedliche Ansichten des Schlackebergs: Moose und Flechten, aber auch Blumen, die sich in der kargen Gesteins- und Schlackewelt behaupten. Die Open-Air-Ausstellung ist rund um die Uhr und für alle Menschen frei zugänglich. In den Abendstunden (17 bis 20 Uhr) illuminieren zudem Videoinstallationen einzelne Gebäudebereiche: Blumen und Gräser bewegen sich sachte im Wind und verleihen dem Betonkoloss einen besonderen Zauber.

„Mit dem Künstler*innenprogramm ‚Artist in Residence Siegen‘ möchten wir das Verhältnis von universitärem und städtischen Leben durch künstlerische Darstellungen neu beleuchten. Ich freue mich sehr, dass mit Susanne Kriemann eine vielfach ausgezeichnete Künstlerin dieses Residenzjahr gestaltet hat. Die Auseinandersetzung mit dem ‚Monte Schlacko‘ und die Darstellung in den Schaufenstern des Karstadt-Gebäudes sind sehr spannend – zeigt sich hier doch der Wandel, den wir auf verschiedenen Ebenen erleben“, sagte Unirektorin Stefanie Reese bei der Eröffnung der Ausstellung.

Auch Susanne Kriemann äußerte sich: „Die Zeit in Siegen war für mich sehr spannend: Zum einen die intensive Beschäftigung mit dem Monte Schlacko als Dreh- und Angelpunkt meiner künstlerischen Arbeit. Gleichzeitig aber auch die Bespielung des leer stehenden Karstadt-Gebäudes, das mit seiner Architektur und den verschiedenen Etagen ebenfalls wie ein ‚Berg‘ mitten in der Stadt wirkt. Das aus dieser Kombination entstandene Werk ist gemacht und gedacht für alle Menschen, die tagtäglich die Siegener Fußgängerzone besteigen.“

Auch historische Fotografien

Für „Hey Monte Schlacko, Dear Slagorg” hat sie den Monte Schlacko ein Jahr lang Monat für Monat bestiegen und fotografiert – zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Kriemanns Fotografien untersuchen das Wesen der Pflanzen und der Schlacke. Dabei zeigen sich Schicht für Schicht Organismen, die metallurgisch wie botanisch verwoben sind. Erweitert wird die Ausstellung am Karstadt-Gebäude durch historische Fotografien von seltenen Blumen, die der Siegener Fotograf Otto Arnold (1881 bis 1944) Anfang der 1930er-Jahre aufgenommen hat.

uni_artist_in_residence_2024_8646
Die Künstlerin Susanne Kriemann nutzt für die Ausstellung „Hey Monte Schlacko, Dear Slagorg“ die Schaufenster des Karstadt-Gebäudes.
André Zeppenfeld. André Zeppenfeld

Kriemann hat die Glasnegative von Otto Arnold digitalisiert und zeigt seine Schwarz-Weiß-Motive zusammen mit ihren Fotografien – teilweise auch collagenartig miteinander verwoben. Eine weitere Dimension bringt der aus Belarus stammende Künstler Aleksander Komarov mit ein: Von ihm stammen die filmischen Pflanzenporträts, die das Gebäude in den Abendstunden illuminieren – aufgenommen teils auf dem Monte Schlacko, teils aber auch in der ukrainischen Stadt Kharkiv.

Mit den zurückgelassenen Materialien, Möbeln und Ausstellern im ehemaligen Karstadt-Gebäude entwickelt sich die Installation zu einem hybriden Wesen, das noch nicht genau definiert ist: „Slagorg“. Mit ihren Überlagerungen und Durchblicken nimmt die Präsentation immer wieder direkten Bezug auf die architektonischen Strukturen des ehemaligen Kaufhauses: „Béton Brut“ ähnelt plötzlich aufbrechender Schlacke. An der Fassade des universitären Hörsaalzentrums zum Schlossplatz hin greift Susanne Kriemann das Stillleben des leeren Warenhauses auch bildlich auf: In einer Art Epilog (oder auch Prolog) zur gesamten Ausstellung sind hier Collagen aus dem Innenleben des Gebäudes zu sehen – Kleiderstangen, Regale, Holz, Stahl und Glas, mit Filtern überarbeitet und vereinzelt mit Pflanzendarstellungen vom Monte Schlacko durchbrochen.

Wie der Titel des Projekts andeutet, entwickelt die Künstlerin in der Auseinandersetzung mit diesen spezifischen Orten neue Bildsprachen und Übersetzungsformen, die ein anderes physisches Erleben fordern. „Hey Monte Schlacko, Dear Slagorg“ möchte über die steile Fußgängerzone erklommen und mehrfach umrundet werden. Kriemann möchte auch eine Offenheit im Denken und Sprechen erzeugen, Mehrdeutigkeiten statt gesicherter Antworten anbieten.

Natur reagiert auf den Menschen

Der Begriff Slagorg, der sich aus den Worten „Slag = Schlacke” und „org = Organismus” zusammensetzt, stehe hier sinnbildlich für die Verwischung einer solchen, nicht klar definierbaren Grenze und für das Zusammenspiel von botanischen Organismen und antropozenen Eingriffen des Menschen. Konkret fragt Kriemann nach der zukünftigen Verwandlung sowie Bedeutung von Pflanzen in einer von Menschen veränderten Lebenswelt. Was bedeutet es für eine Pflanze, wenn sie auf einer Schlackenhalde wächst? Wie beeinflusst dies unser Verständnis von Natur und Mensch?