Dagmar Ueckerseifer ließ bei ihrer Führung die städtische Vergangenheit lebendig werden
Dagmar Ueckerseifer führt durch die Stadt: Tiefe Einblicke in die Geschichte von Wissen
Eine Station der zweistündigen Reise in Wissens Vergangenheit war der frühere Pferdestall der einstigen Germania-Brauerei. Dort soll auch das Pferd Hektor seinen Unterstand gehabt haben, welches – der Überlieferung nach – bei „Bierdiebstahl“ die Ohren auf- und die Arbeit einstellte. Dies war nur eines der vielen Details aus der Stadtgeschichte, die Dagmar Ueckerseifer der neunköpfigen Gruppe humorvoll und kenntnisreich schilderte. Foto: Thomas Hoffmann
Thomas Hoffmann

Wie das Pferd Hektor einen Bierdiebstahl verhinderte, was es mit herrschaftlich anmutenden Direktorenvillen auf sich hat und woher die Gerichtsstraße ihren Namen hat, das waren nur drei der zahlreichen Informationen, anhand derer die Wissener Stadtführerin Dagmar Ueckerseifer am Mittwochnachmittag tief in die bewegte Geschichte der Stadt an der mittleren Sieg eintauchte.

Eine Station der zweistündigen Reise in Wissens Vergangenheit war der frühere Pferdestall der einstigen Germania-Brauerei. Dort soll auch das Pferd Hektor seinen Unterstand gehabt haben, welches – der Überlieferung nach – bei „Bierdiebstahl“ die Ohren auf- und die Arbeit einstellte. Dies war nur eines der vielen Details aus der Stadtgeschichte, die Dagmar Ueckerseifer der neunköpfigen Gruppe humorvoll und kenntnisreich schilderte. Foto: Thomas Hoffmann
Thomas Hoffmann

Insgesamt neun Interessierte hatten sich angemeldet, und sie erlebten in der zweistündigen Führung eine Stadt, wie sie sie bisher wohl noch nicht kannten. Dagmar Ueckerseifer erklärte nicht nur, sondern sie erzählte: Vor dem inneren Auge entstanden Bilder aus allen Zeiten – von den Anfängen vor mehr als 1000 Jahren, als Wissen mit etwa 500 Seelen noch ein kleines Dorf war, über den großen Brand im Jahre 1788, die aufkommende Industrialisierung, von dem Anschluss an bedeutende Wirtschaftsregionen durch die Verlegung von Eisenbahnschienen bis zur Alfredhütte, dem Walzwerk und den Schrecken des Zweiten Weltkriegs.

Die Führung startete am Regiobahnhof. Von dort aus bewegte sich die kleine Gruppe in Richtung Gerichtsstraße: „Hier gab es im Zweiten Weltkrieg einen Splittergraben, in dem die Menschen bei den Bombenangriffen Zuflucht suchten. Dieser wurde jedoch von einer Bombe getroffen und es gab viele Tote“, schildert Dagmar Ueckerseifer ein zentrales Ereignis der Bombenangriffe. „Der 11. März 1945 hat sich tief in das Gedächtnis der Stadt Wissen eingebrannt“, macht sie die Verwüstung dieses Tages deutlich.

Nur gut, dass kurze Zeit später das Gelände der ehemaligen Germania-Brauerei deutlich positivere und auch humorvolle Aspekte Wissens offenbart. Denn während die Stadtführerin anschauliche DIN-A4-Fotos in die Runde gibt, auf denen Sudhaus und viele andere Gebäude der Brauerei zu sehen sind, erzählt sie von Direktoren, die es mit Ideen und Tatkraft schafften, dass der Gerstensaft auch in schwierigen Zeiten gebraut werden konnte. Sie lenkt die Blicke auf ein Gebäude, das oberhalb des Hotels Germania auf einem Hügel liegt – einst war das auch heute noch sehr attraktive Gebäude die Direktorenvilla der Brauerei.

Zu dem leicht verfallen wirkenden roten Backsteingebäude auf dem Gelände erzählt Dagmar Ueckerseifer eine ebenso anschauliche wie humorvolle Geschichte, denn im dortigen Stall hatte auch das Pferd Hektor seinen Unterstand. „Es gab Burschen, die auf dem Karren, auf dem die Fässer transportiert wurden, mitfuhren. Und der eine oder andere mag sich gedacht haben, es fällt sicher nicht auf, wenn da mal ein Fass runterfällt.“ Allerdings hatten die findigen Bierdiebe die Rechnung wohl ohne Hektor gemacht, denn der stellte in just diesem Augenblick die Ohren hoch und die Arbeit ein, sodass der Kutscher wusste, „hier stimmt was nicht“.

„Die beiden müssen ein tolles Gespann gewesen sein“, sagt Dagmar Ueckerseifer, ehe es weitergeht in Richtung ehemaliges Gefängnis, Kistenfabrik, Winterschule und Walzwerksiedlung. Diese Siedlung und die Häuser haben ihren eigenen Charme. Noch heute zeugen Rundbögen, Erker und so manches kleine Detail von einer Zeit, in der die Häuser auch unter Verwendung von billiger Schlacke, aber auch Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen Backsteinen, hergestellt in der nahen Ziegelbrennerei, kostengünstigen Wohnraum für die in Spitzenzeiten 2000 Arbeiter zählende Belegschaft des Walzwerkes boten.

Es gibt noch viele weitere Stationen auf der Reise in Wissens Vergangenheit. In der Steinbuschanlage beispielsweise erinnert ein „Ehrengrab“ an Pfarrer Anton Josef Steinbusch, einen Zeitgenossen Friedrich Wilhelm Raiffeisens, der unter anderem in Wissen eine „Volksbank“ und die „Siegblätter“ gründete, beides aus dem Antrieb heraus, einerseits die einfachen Menschen vor dem Wucher von „Geldhaien“ zu schützen, ihnen andererseits aber auch Teile des Weltgeschehens nahezubringen, wie die Stadtführerin erklärt.

Dagmar Ueckerseifer schildert auch die Anfänge der evangelischen Kirchengemeinde, die zunächst aus 40 Seelen bestand und sich nach dem Bau der evangelischen Kirche im Jahre 1863 verzehnfacht habe. In der Innenstadt erzählt sie unter anderem von einer mittelalterlichen Handelsstraße, die von Hachenburg kommend weiter ins Bergische Land und ins Siegerland führte. Und von dem 913 erstmals schriftlich erwähnten Hof Wisnerofanc, der als Keimzelle des heutigen Wissen angesehen wird. Das Anwesen soll dort gestanden haben, wo sich heute die Commerzbank befindet.

Den vorletzten Punkt der kleinen Zeitreise bildet ein Besuch an der katholischen Kirche Kreuzerhöhung. Ein Stein mit einer grob gemeißelten Inschrift, der bei Ausgrabungsarbeiten gefunden wurde, zeugt von dem Beginn des Gotteshauses vor 1000 Jahren. Gleich nebenan liegt die Gaststätte Marktstuben, wo einst der spätere Gründer der Deutschen Arbeiterpartei, Friedrich Lassalle, in seiner Funktion als damals 20-jähriger Anwalt im Scheidungskrieg zwischen Sophie von Hatzfeldt und ihrem Mann Edmund nächtigte.

Auch davon weiß Dagmar Ueckerseifer zu berichten. Ebenso lebendig, anschaulich und bisweilen humorvoll, wie sie zuvor die vielen Begebenheiten aus der bewegten Wissener Geschichte geschildert hat, erzählt sie von ihm, von Sophie und dem Grafen Edmund – ein krönender Abschluss von zwei Stunden, die wie im Fluge vergingen und die vor dem inneren Auge eine Stadt aus der Vergangenheit auferstehen ließen, wie sie wohl die wenigsten kennen.

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