Hand aufs Herz: Was wissen wir über die Geschichte von Gastarbeiterfamilien, die seit Jahrzehnten im Westerwald leben und für die das AK-Land längst Heimat geworden ist? Die Familie Boz aus Daaden gehört dazu. Von „Gastarbeitern“ spricht man nicht mehr, heute heißt es „Migranten“. Doch Meral Boz und ihre Familie sehen sich längst nicht mehr als Gäste oder Migranten, sondern als Einheimische und Bürger.
Aber die Familie fühlt sich vom Rechtsruck in der Gesellschaft beunruhigt, auch die Kinder spürten Ressentiments. Umso wichtiger seien der Austausch der Kulturen und das Wissen über- und voneinander, findet Boz. „Ich war schon immer ein Teil der Gemeinde. Damit ich das auch bleiben kann und sich auch mein Sohn und zukünftige Generationen in Daaden wohlfühlen, haben wir uns zu diesem Schritt entschlossen, uns zu öffnen und zu verständigen, um auch in Zukunft einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben zu leisten, ohne sich zu Hause fremd zu fühlen.“ Deshalb erzählen die Boz die Geschichte ihrer Familie – und zwar im Rahmen der Veranstaltung „Brücke der Kulturen“, die am Sonntag, 22. Juni, 17 Uhr, im Bürgerhaus in Daaden über die Bühne gehen wird. Auf dem Programm steht ein Videobeitrag der Familie Boz, ein Einblick in die Religionsgemeinschaft der Aleviten, Melodien, Lieder und Tänze aus Anatolien sowie Gedichte von anatolischen Poeten. Der Eintritt ist frei.

Als Veranstalter sind der Arbeitskreis Kultur der Stadt Daaden und der Migrationsbeirat des Kreises Altenkirchen mit im Boot. Meral Boz gehört beiden Gremien an. „Wir sind eine der Familien – es gibt noch einige davon hier in Daaden – die seit über einem halben Jahrhundert in Daaden lebt. Ich bin hier im Westerwald geboren und in Biersdorf aufgewachsen, in der dritten Generation der Gastarbeiterfamilien“, sagt sie. Die 45-Jährige arbeitet bei der Firma Mubea in Daaden im Vertrieb. Ihre Schwestern Arzu (47) und Dilek (51) führen den Friseursalon „Querschnitt“ in Daaden. Sie werden die Veranstaltung moderieren. Komplettiert wird die Familie von Bruder Ömür (46). Die vierte Generation zählt sechs Kinder, das älteste 24, das jüngste ein Jahr alt.
Begonnen hat die Geschichte der Familie Boz mit der heute 87 Jahre alten Großmutter Gülüzar Boz, die sich im Alter von 30 Jahren von Anatolien mit dem Zug aufmachte nach Deutschland. „Es war keine leichte Entscheidung. Die Ursache waren Armut und Verzweiflung und es war notwendig, damit es ihre Kinder irgendwann einmal besser haben.“ Ihre Kinder ließ sie zunächst einmal zurück, zu ungewiss war der Weg nach Deutschland. Nach einem Aufenthalt in München fand Gülüzar Boz Arbeit in einer Konservenfabrik in Coburg. Doch nach einem halben Jahr war Schluss, die Gastarbeiterin ihrem Schicksal überlassen – aber aufzugeben und zurückzukehren war keine Option. Über einen nahen Verwandten kam Gülüzar Boz nach Siegen und fand Arbeit bei der Firma Henrich in Biersdorf. Ihr Mann kam mit den Kindern nach, darunter Meral Boz späterer Vater Hüseyin. „Sie alle arbeiteten hier hart und leisteten viele Jahre lang fleißig ihren Arbeitsbeitrag“, berichtet Meral Boz.

Es entstanden tiefe Freundschaften mit den türkischen Familien, die damals nach und nach in Daaden ankamen und von denen die meisten noch heute hier sind. Der Gemeinschaftsgeist unter ihnen war und ist immens. „Wir unterstützen uns auch heute noch gegenseitig. Jahrelang haben wir hier die Yörem-Tanzgruppe unter dem Dach des Daadener Turnvereins zusammen belebt und anschließend gemeinsam viele Benefizveranstaltungen zusammen mit den türkischen Familien organisiert“, fährt Meral Boz fort.
„Wir in der dritten und vierten Generation sind längst angekommen“, betont sie. Die Familie Boz lebt in unserer Gesellschaft, ist integriert, ohne ihre anatolische Herkunft, ihre Wurzeln und Kultur zu vergessen und zu verleugnen: „Wir arbeiten, haben unsere Geschäfte und sind sozial sehr aktiv. Wir wollen im Sinne der Gemeinschaft auch weiterhin mit allen hier zusammen agieren.“