Tod im Altenkirchener Land
Blutiges Messer und Stuhlbein geben Rätsel auf
Vor dem Landgericht Koblenz muss sich seit dieser Woche ein 45-Jähriger verantworten. Ihm wird Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Er soll einen 74-jährigen Mitbewohner tödlich mit einem Messer verletzt haben. Hatte das Opfer ein Verhältnis mit der Freundin des Angeklagten?
Markus Kratzer

Das wird keine einfache Verhandlung am Landgericht Koblenz. Nach einer Bluttat in einem kleinen Ort im Altenkirchener Land gab es zum Prozessauftakt widersprüchliche Aussagen. Wer fügte dem Opfer die tödlichen Verletzungen zu? Und warum?

Am 8. Juli 2024 ist Gerhard D. (alle abgekürzten Namen von der Redaktion geändert) in seiner Wohnung in einem Dorf in der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld ums Leben gekommen. Nach einer Verletzung der Beinvene ist der 74-Jährige verblutet. Aber wer ist für seinen Tod verantwortlich? Diese Frage versucht die 14. Strafkammer des Landgerichts Koblenz unter Vorsitz von Richter Rupert Stehlin zu klären. Auf der Anklagebank des Schwurgerichts sitzt der 45-jährige Stefan V., ein Mitbewohner des Opfers. Ihm wirft die Staatsanwaltschaft vor, den Senior getötet zu haben, weil er ihn in Verdacht hatte, eine sexuelle Beziehung mit seiner Freundin, Birgit M., gehabt zu haben. Doch bereits zum Prozessauftakt wird klar, dass die Aussagen des Angeklagten und der als Zeugin geladenen M. in vielen Punkten nicht deckungsgleich sind. Aber der Reihe nach:

Die Anklage: Die Staatsanwaltschaft wirft V. vor, am frühen Nachmittag des 8. Juli vergangenen Jahres den unter demselben Dach lebenden D. gleich zweimal aufgesucht zu haben, weil er ihn wegen eines möglichen Verhältnisses mit seiner Freundin zur Rede stellen wollte. V. habe auf das „körperlich weit unterlegene“ Opfer eingeprügelt und es getreten. Dadurch sei es bei D. unter anderem zu Einblutungen im Bereich der Schläfenmuskeln und zu Rippenbrüchen gekommen. Der Angeklagte habe vor Verlassen der Wohnung Kleingeld im Wert von 5 Euro mitgenommen und sei danach mit einem Klappmesser mit zehn Zentimeter langer Klinge zurückgekehrt und habe seinen Nachbarn dann zunächst an der rechten Halsseite, danach im Genitalbereich attackiert, „um ihn zu kastrieren“. Ein Stich in die Beinvene und der damit verbundene Blutverlust habe schließlich zum Tod des Opfers geführt. Zunächst hatte die Staatsanwaltschaft V. wegen Mordes aus niederen Beweggründen angeklagt. Das Landgericht hatte später die Tat abweichend als Körperverletzung mit Todesfolge eingestuft.

„Ich habe ihren Diener gespielt.“
Der Beschuldigte zur Beziehung mit seiner Freundin

Der Angeklagte: Sowohl zur Person als auch zum Tatvorwurf hat sich der Beschuldigte am ersten Prozesstag geäußert. Aufgewachsen bei seiner Mutter im Mecklenburg-Vorpommern, hat V. nach eigenen Angaben die Gesamtschule nach der 7. Klasse verlassen, später im Rahmen einer Berufsförderungsmaßnahme den Hauptschulabschluss nachgeholt und im Anschluss eine Lehre als Maler und Lackierer abgeschlossen. Über Bergheim, Bonn und Wenden gelangte er in den Westerwaldkreis, 2021 in den Kreis Altenkirchen. Seine Wohnortwechsel waren verknüpft mit diversen Jobs, eine Zeit der Obdachlosigkeit und zwei Aufenthalten in Justizvollzugsanstalten. Einige Male sei er stationär in der Psychiatrie in Wissen behandelt worden, zudem sei ihm eine paranoide Schizophrenie bescheinigt worden. Auch habe er Drogen konsumiert, spricht von Kokainkonsum im Vorfeld des Tattages. Birgit M. habe er als Stieftochter seines Vermieters kennengelernt, als diese im Februar 2024 in das Haus eingezogen sei. Sie habe in der Wohnung von D. lediglich ein Zimmer ohne Fenster gehabt, deshalb habe er ihr angeboten, in seine Wohnung zu ziehen. „Ich habe ihren Diener gespielt“, so V.

Was der Beschuldigte sagt: Von der Annahme, seine Freundin habe ein Verhältnis mit D. sowie auch mit Andreas R. gehabt, der im Obergeschoss des Hauses lebt, lässt sich der Angeklagte nicht abbringen, spricht sogar von „Sex-Orgien“, die gefeiert wurden. Am Tattag, seine Freundin sei unterwegs gewesen, um Tabak zu kaufen, habe er seinen Nachbarn gegen 13 Uhr zur Rede stellen wollen. Dieser sei dann so aggressiv geworden, dass er selbst die Nerven verloren und sich mit ihm geprügelt habe. Schläge gegen Kopf, die Rippen und in den Genitalbereich räumt V. ein, auch dass er ihn mit einem Messer ein zweites Mal aufgesucht habe. „Ich war so in Rage“, räumt er ein und sieht den Grund dafür auch in dem Kokain, das er zuvor genommen habe. Dennoch habe er D. nur einmal an dessen Hose „geritzt“, an dem Messer sei kein Blut gewesen, als er es zurück in seine Küche gebracht habe. Weil ihm seine Handlung leidgetan habe, sei er ein weiteres Mal in die Wohnung von D. gegangen. Dieser hätte inzwischen den Fernseher angemacht und sich aufrecht hingesetzt.

„Er war ein Drecksack, aber ich habe ihn gemocht.“
So schildert der Angeklagte das Opfer.

Dann sei seine Freundin vom Einkauf zurückgekehrt und habe ein Gespräch mit R. geführt, dessen Inhalt er aber nicht verstanden habe. Der Angeklagte spricht von Schreien und Schlägen, die er nach dem dritten Besuch bei D. vernommen habe, erzählt auch von einem Stuhlbein, das er an jenem Nachmittag in der Hand seiner Freundin gesehen haben will. Später habe er das Messer auf seinem Küchentisch aus der Schaumstoffeinlage geholt und habe plötzlich an zwei Fingern Blut gehabt. Daraufhin habe er die Waffe abgespült, in einen Hundekotbeutel gepackt und diesen unter seine Terrasse geworfen. Er habe M. gedrängt, den Rettungswagen zu alarmieren, doch sie habe lediglich die Polizei angerufen. Seine Verbindung zu dem Opfer selbst schildert V. ambivalent. Einerseits spricht er von Intrigen, die die übrigen drei Mitbewohner gegen ihn gesponnen hätten. So hätte D. ihm nachts Ratten in seinen Wohnungsflur gelotst und ihm auch vor die Toilette gepinkelt, andererseits hätten beide sich gegenseitig ausgeholfen, wenn der andere etwas gebraucht hätte. „Er war ein Drecksack, aber ich habe ihn gemocht“, so der Beschuldigte.

Was die Freundin sagt: Birgit M. schildert den Tattag völlig anders. Als sie vom Einkauf zurückgekommen sei, habe sie Schreie im Haus gehört. Dann sei ihr der Angeklagte mit dem Messer in der Hand entgegengekommen“, so die 35-Jährige. Er habe ihr gesagt, dass ihm die Sicherung durchgeknallt sei und er versucht habe, D. in den Penis zu stechen. Sie selbst habe lediglich einmal kurz in die Wohnung des Opfers geschaut, habe dann den Krankenwagen gerufen. Sexuelle Beziehungen zu anderen Männern habe sie in dieser Zeit nicht gehabt, weder zu D., noch zu R. und auch nicht zu Männern, die sie am Bahnhof in Altenkirchen getroffen habe. V. habe immer wieder Wahnzustände gehabt, die zu einer übersteigerten Eifersucht geführt hätten. Auch was es mit dem Stuhlbein auf sich habe, könne sie sich nicht erklären. In einem Punkt decken sich die Aussagen von Beschuldigtem und Zeugin. Auch M. gibt zu, dass beide am Tag vor der Tat Kokain zu sich genommen hätten.

Top-News aus der Region