Nicht alles kann auf Anhieb funktionieren. Die Erfahrung machten Leiterin Dorothee Stöcker-Michael und ihre Mitarbeiterin Stefanie Schuhen von der Ökumenischen Stadtbücherei in Betzdorf. Diese hatte die neue Veranstaltung „Silent Reading Party“ ins Programm gehoben, ein Format, das aus den USA kommt. Dabei treffen sich Menschen in einer Bibliothek, um ein Buch zu lesen, jeder für sich in einer gemütlichen Ecke und doch zusammen. Ein späterer Austausch über das Gelesene ist möglich. Allerdings war es zu „silent“, zu still in der Bücherei, die Premiere hat nicht funktioniert.
Dorothee Stöcker-Michael und Stefanie Schuhen nehmen es gelassen hin. So bleibt Zeit für ein Gespräch über die Bücherei im Allgemeinen und hier können die beiden Fachfrauen viel Positives berichten. „Corona hat viel verschoben“, sagt die Leiterin, „wir können erst seit 2023 wieder voll durchstarten.“ Siehe da: Nun ist die Ökumenische Stadtbücherei wieder ein „vielfältiger Ort“, viel mehr als nur ein Ort, wo 20.000 Bücher, DVDs und sonstige Medien in den Regalen stehen und wo auch online ausgeliehen werden kann. Die Bücherei sieht sich als Plattform mit unterschiedlichen Aufträgen.

In Zeiten von wachsenden Fakenews sei der Bildungsauftrag umso wichtiger, betont die Leiterin. So hält die Bibliothek Sachbücher vor, die politische Themen wie beispielsweise den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aus verschiedenen Richtungen beleuchtet. „Wir nehmen keine Wertung vor, der Nutzer kann recherchieren und sich unterschiedliche Informationen holen“, sagt Dorothee Stöcker-Michael, die seit 2018 die Einrichtung leitet. Damit leisten Büchereien wie in Betzdorf – die größte im AK-Land – einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Demokratie und Meinungsfreiheit. Wie wichtig unabhängige Bibliotheken sind, zeigt sich an den Versuchen Donald Trumps, Medien und Universitäten mit aller Macht auf seinen Kurs zu bringen. Die Bücherei bietet auch Lesestoff zu diesem Thema, hält Magazine und Zeitungen vor.
Medienerziehung gehört ebenfalls zum Aufgabenbereich. Mittwochs ist die Bücherei für den Publikumsverkehr geschlossen. Dann können sich Dorothee Stöcker- Michael und Stefanie Schuhen auf die Kinder konzentrieren, auf Kitas und Schulklassen, die zu einer Führung kommen. „Sie sollen lernen, was eine Bibliothek überhaupt ist“, so die Zielsetzung. Und nach einer Einführung mit Vorlesen können die Mädchen und Jungen ungestört stöbern. Vor allen Dingen auch Jugendliche haben die Bücherei inzwischen zu ihrem „Lernort“ auserkoren und kommen vorbei, um ihre Hausaufgaben zu machen. Darunter sind auch junge Leute mit Migrationshintergrund – „wir leisten Integrationsarbeit, es wird gut angenommen“, hat die Leiterin beobachtet.
Niedrigschwelliges Angebot für Kinder und Jugendliche
Und auch der Literaturkreis hat in der Bücherei sein Domizil gefunden. Er trifft sich wieder am Donnerstag, 15. Mai, 18 Uhr – jeder ist willkommen. Grundsätzlich bietet die Einrichtung Raum eben auch für Veranstaltungen, wie Vorträge, Autorenlesungen oder auch das beliebte Bilderbuchkino, ein niederschwelliges Angebot für die jüngsten Besucher, eben auch für Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen und die hier spielerisch lernen. Die nächste Veranstaltung für Kinder sind Bastelnachmittage am Donnerstag 8. Mai und 15. Mai von 15.30 Uhr bis 16.30 Uhr.
Die schon erwähnen Autoren finden in der Betzdorfer Bücherei einen persönlichen, authentischen Ort vor. „Wir haben Atmosphäre“, sagt Dorothee Stöcker-Michael. Sie lädt vornehmlich Kulturschaffende aus der Region ein, um ihnen eine Plattform zu bieten. Gruppen, Vereine und Organisationen aus der Region haben die Möglichkeit, in Zusammenarbeit mit der Bücherei einen Referenten einzuladen. In Zusammenarbeit mit dem Pastoralen Raum Betzdorf und der kfd war beispielsweise Christina Brudereck zu Gast mit ihrem Buch „Cafe´ Mandelplatz“, ein Roman mit dem Thema Apartheid – immer noch aktuell. „Eine Veranstaltung, die zu uns als Ökumenische Stadtbücherei passt“, sagt Dorothee Stöcker-Michael, „es war gut besucht und ein schönes Gespräch.“

Die Idee zu der „Silent Reading Party“ ist übrigens noch nicht gestorben. Die Bücherei überlegt, einen neuen Anlauf zu nehmen, vielleicht in den Sommerferien, denn das Angebot richtet sich vornehmlich an die junge Lesegeneration im Teenager- und jungen Erwachsenenalter. Denn für die gebe es derzeit kaum Veranstaltungen. Die Bedeutung von Büchereien im Prozess des Heranwachsens hat vor kurzen die Schriftstellerin Ulla Hahn aus Anlass ihres 80. Geburtstags betont. Aus einem bildungsfernen Elternhaus stammend, sei sie als Kind Dauergast in der Bibliothek gewesen. Sie sagt rückblickend: „Lesen erschloss mir eine andere Welt und das stärkte mein Selbstbewusstsein.“
Weitere Informationen zur Stadtbücherei Betzdorf finden sich im Internet oder auf Facebook.