Schöffengericht in Betzdorf: Angeklagter ist schuldunfähig und muss in Entziehungsanstalt
Behinderte Freundin in Kirchen misshandelt: Freispruch, weil Gewalt im Wahn geschah

Betzdorf/Kirchen. Jetzt haben es die Ärzte in der Hand, wie es mit Ingo A. (42, alle Namen von der Redaktion geändert) weitergeht. Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Melanie Neeb sah es am Ende des dritten Prozesstages in Betzdorf als erwiesen an, dass der 42-Jährige seine gehbehinderte Ex-Verlobte Natascha E. (35), die im Rollstuhl sitzt, diesen März in der gemeinsamen Kirchener Wohnung mehrfach brutalst misshandelt hat (die RZ berichtete). Dennoch gab es am Amtsgericht gestern einen Freispruch. Grund: Ingo A. hat aus Wahnvorstellungen heraus gehandelt, die laut Gutachter wegen seines immensen Drogenkonsums entstanden sein dürften. Ingo A. wechselt nun von der Untersuchungshaft in Koblenz für rund zwei Jahre in eine geschlossene Entziehungsanstalt – obwohl er vor Gericht klipp und klar erklärte, dass er eine solche Kur verweigern werde, da er seinen Drogenkonsum im Griff habe. Ob er nach dem ersten halben Jahr ohne Drogen mehr Einsicht zeigen wird, steht ebenso in den Sternen wie die Antwort auf die Frage, ob seine paranoiden Vorstellungen trotz eines kompletten Drogenverzichts überhaupt aufhören werden. Die Ärzte sind es letztlich, die entscheiden, ob er eines Tages wieder auf freien Fuß gesetzt werden kann.

Dabei ist dieser Fall sicher einer der schockierendsten, die am Amtsgericht je verhandelt wurden. Natascha E. hatte an den vorigen Verhandlungstagen von einer wahren Horrornacht erzählt: Ingo habe sich zur Tatzeit ständig beobachtet gefühlt, in Deckenlampen und im gemeinsamen Mobiltelefon Spionagewanzen vermutet, ja sogar dauernd von seiner Angst vor einer Vergiftung gesprochen. Das wurde immer schlimmer, und nach zwei Jahren einer harmonischen Beziehung habe er plötzlich angefangen, sie aus dem Nichts heraus buchstäblich grün und blau zu prügeln. Und das Allermerkwürdigste: Nach diesen Attacken habe er sie immer aggressiv gefragt, woher sie die furchtbaren, teils tellergroßen Hämatome am ganzen Körper habe. Schließlich meinte er, dass Bekannte nachts in die Wohnung eingedrungen seien und sie so zugerichtet hätten. Auch habe sie Sex mit anderen Männern gehabt. Aus Angst vor noch mehr Prügel, sagte Natascha, habe sie ihm nicht gesagt, dass er selbst der Täter war.

Sie berichtete auch über die Mengen Alkohol, Marihuana und Amphetamine, die sie mit ihm genommen habe. Auch in der Horrornacht habe Ingo A. konsumiert, bis seine Stimmung plötzlich wieder gekippt sei, er sie wieder bedrohlich auf die blauen Flecken angesprochen habe, sie es wieder nicht gewagt habe, ihm zu sagen, dass er das Monster sei, das sie so brutal schlage. Trotzdem hagelte es Prügel und Tritte, sogar mit ihren Krücken und dann mit dem Rollstuhl habe er auf sie eingedroschen und sie bis zur Ohnmacht gewürgt. Der Bericht der Foltertaten war noch länger. Schließlich gelang ihr die Flucht, Nachbarn riefen die Polizei. Ein Psychiater sprach beim Prozess von einer „drogeninduzierten Psychose“, die ihm keine realistische Einschätzung seiner Lage und seiner Umwelt mehr ermögliche. Eine Gerichtsmedizinerin nannte Nataschas Verletzungen „abstrakt lebensbedrohlich“.

Noch in den letzten Worten, die jedem Angeklagten am Prozessende zustehen, zeigte der Mann, dass der Wahn sein Leben bestimmt: Er unterstellte der Richterin Befangenheit, was abgewiesen wurde, und forderte einen DNA-Test, der nachweisen könne, dass er vergiftet worden sei: Unbekannte hätten ihm Rizinusbohnen in den Enddarm gesteckt, was noch heute nachgewiesen werden könne. Ausführlich, durchaus eloquent und meist lautstark legte er seine Sicht dar, gestand, der Frau „sicher mal ein dickes Ohr verpasst“ zu haben, unterstellte ihr wieder, sie mit anderen Männern betrogen zu haben: „Ich weiß definitiv, dass ich ihr nicht alle Verletzungen zugefügt habe! Jetzt finden Sie mal die Wahrheit! Finden Sie den, der ihr den Arm gebrochen hat!“

Von unserem Redakteur Peter Seel

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