Matthias Sperl erhält den Early Career Award
Angstforschung an der Uni Siegen: Psychotherapeut mit Nachwuchspreis ausgezeichnet
Mithilfe der Elektroenzephalographie (EEG) kann die Geschwindigkeit von Hirnaktivitäten bei Angstreizen gemessen werden. Foto: Rolf K. Wegst
Rolf K. Wegst

Viele Menschen in Deutschland leiden an einer Angst- oder Traumastörung. Für die meisten Patienten bedeuten ihre psychischen Erkrankungen massive Einschränkungen im Alltag – und den Bedarf nach therapeutischer Hilfe.

Lesezeit 3 Minuten

Für Matthias Sperl ist die Angst ein ständiger Begleiter – und zwar als Forschungsgegenstand. Als Psychologischer Psychotherapeut für Kognitive Verhaltenstherapie untersucht er an der Universität Siegen, wie sich Furcht beeinflussen lässt, welche Prozesse dabei im Gehirn stattfinden und wie man Angststörungen effizienter therapieren kann. Für seine Verdienste als Nachwuchswissenschaftler wurde Sperl nun mit dem Early Career Award der Deutschen Gesellschaft für Psychophysiologie und ihre Anwendung (DPGA) ausgezeichnet.

Mit seiner Forschung hat er eine wissenschaftliche Lücke zur Entstehung von Ängsten geschlossen. Frühere Studien haben bereits belegt, dass sich bei ernster Bedrohungslage die Aktivität von Neuronen im präfrontalen Bereich des Gehirns ändert und die oszillatorische Theta-Aktivität zunimmt. Gleichzeitig war bekannt, dass die Amygdala – ein tiefliegendes, mandelförmiges Areal im Gehirn – bei Angstsituationen aktiviert wird und Veränderungen im Körper auslöst, von denen viele Patienten mit starker Angst berichten: „Man fängt an zu schwitzen, einem wird heiß, das Herz schlägt schneller, die Atemzüge werden kürzer und flacher – bis hin zum Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen“, fassten es etliche Angstpatienten zusammen. Sperl sah hier einen Zusammenhang: „Wir gehen davon aus, dass der präfrontale Cortex die Amygdala ein Stück weit reguliert, also hoch und runter schaltet. Gehirnregionen kommunizieren miteinander über die Synchronisation von Neuronenverbänden, sogenannten Theta-Oszillationen. Es gibt einen Bereich im Gehirn, der wie ein Gaspedal draufdrückt, wenn wir Furcht haben. Ein anderer Bereich daneben hemmt die Furcht wie ein Bremspedal, wenn die Gefahr vorbei ist. Genau den Bereich versuchen wir, in Therapien zu stärken.“

Die Frage lautet: Warum erinnern sich Menschen außergewöhnlich gut an Situationen, in denen sie Angst hatten? Sperl und sein Forscherteam vermuteten dahinter eine hohe emotionale Aktivierung im Gehirn, in der Fachsprache auch „Arousal“ genannt. Dabei schüttet der Körper den Botenstoff Noradrenalin aus, der die Amygdala steuert. Diese speichert emotionale Erlebnisse im Gedächtnis. Je stärker das Arousal ausfällt, desto lebhafter werden Ängste archiviert. Ein „Hyperarousal“, also eine enorm hohe Aktivität, trage mutmaßlich auch zur Angstentstehung bei, so Sperl.

Um die Wechselwirkung zwischen dem präfrontalen Cortex und der Amygdala zu beweisen, wendeten Sperl und sein Team das Paradigma der Furchtkonditionierung an: Testpersonen wurden wiederholt mit unangenehmen Reizen konfrontiert. Während des Versuchs lagen die Probanden mit einer Kopfhaube mit Metallplättchen im Kernspintomograf, denn die Forscher haben die körperlichen Reaktionen zeitgleich durch EEG (Elektroenzephalographie) und fMRT (funktionelle Magnetresonanztomographie) überwacht. Bahnbrechend war der zeitgleiche Einsatz der bildgebenden MRT-Untersuchung und der EEG-Messung, die die Geschwindigkeit von Hirnaktivitäten aufzeichnet: „Zeitliche Präzision und schnelle Prozesse sind bei Angst und Furcht extrem wichtig“, betont Sperl.

Im zweiten Versuchsteil prüfte das Team, welchen Einfluss eine erhöhte Nordadrenalinausschüttung und damit das „Arousal“ auf die zuvor erlernte Angst hat. Dafür bekam eine Testgruppe vor der Reizkonfrontation die Substanz Yohimbin verabreicht, das den Botenstoff Noradrenalin freisetzt. Das Testergebnis war eindeutig: Die Probanden, die das Yohimbin bekommen haben, zeigten deutlich stärkere Angstreaktionen, was darauf schließen lässt, dass sie den Reiz als größere Bedrohung empfanden als die übrigen Personen. Sperl und seine Kollegen vermuten, dass die Amygdala bei ihnen so stark aktiviert wurde, bis ein „Hyperarousal“ entstand. Das zeigte sich vor allem in einer veränderten Verarbeitungsgeschwindigkeit im Gehirn und der Herzfrequenz. Eröffnet diese Erkenntnis neue Therapiechancen für Angst- und Traumapatienten? Therapeuten gingen lange davon aus, Angst- und Furchterlebnisse im Gedächtnis auslöschen zu können. Neuere Studien zeigen: Man kann Ängste nicht vernichten, man kann nur parallele „Sicherheitsgedächtnisspuren“ erschaffen. „Beide Spuren stehen in Konkurrenz zueinander“, erklärt Sperl. Ziel einer erfolgreichen Therapie ist es, dass die furchthemmende Spur überwiegt. Das bedeutet aber nicht, dass die Angst nicht zurückkommen kann. Wie könnten sich die neuen Forschungsergebnisse auf die zukünftige Therapie auswirken? Sperl möchte vor allem auf Prävention setzen: „Wir müssen überlegen, was wir tun können, um mit diesem Hyperarousal umzugehen, das oft automatisch in Stresssituationen entsteht. Wenn wir davon ausgehen, dass wir dadurch bedrohliche Inhalte besser abspeichern – wie können wir diesem Abspeicherungsprozess in unerwünschten Situationen entgegenwirken?“, eröffnet Sperl neue Wege für Therapie und Prävention, die es weiter zu erforschen gilt. red

Top-News aus der Region