Insgesamt vier Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis waren dazu ins Berliner Schloss Bellevue eingeladen. Darunter auch der Gesundheitssoziologe Professor Claus Wendt von der Universität Siegen. Wendt beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit Einsamkeit und legt dabei einen besonderen Fokus auf den internationalen Vergleich.
Über die Einladung des Bundespräsidenten habe er sich sehr gefreut, sagt Wendt: „Das war eine große Ehre, und wir hatten einen wirklich angenehmen und intensiven Austausch. Gleichzeitig begrüße ich sehr, dass das Thema „Einsamkeit“ in der Politik ankommt. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Bundespräsident um die enorme Relevanz weiß und dies auch weiterträgt. Für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Einsamkeit sind das Interesse und das Engagement von Herrn Steinmeier sehr bedeutsam“.
Wendt brachte in dem Fachgespräch insbesondere eine internationale Perspektive ein: So liegen die Einsamkeitswerte in Deutschland im europaweiten Vergleich im Mittelfeld. Am wenigsten einsam fühlen sich die Menschen in nordeuropäischen Ländern wie Dänemark oder Norwegen und in den Niederlanden. Deutlich höher sind die Werte dagegen in Süd- und Osteuropa (zum Beispiel Portugal, Spanien, Ungarn, Rumänien, Slowakei).
„Ich habe den Eindruck gewonnen, dass der Bundespräsident um die enorme Relevanz weiß und dies auch weiterträgt.“
Professor Claus Wendt begrüßt es, dass das Thema „Einsamkeit“ in der Politik angekommen ist.
„Wir beobachten, dass sich die Menschen in ausgebauten Wohlfahrtsstaaten weniger einsam fühlen. Einsamkeit, Gesundheit und soziale Faktoren hängen eng miteinander zusammen und verstärken sich gegenseitig. Deshalb sind Leistungen und Institutionen, die einen sozialen Schutz bieten und Menschen in die Gesellschaft integrieren, sehr wichtig. Dazu zählen finanzielle Transferleistungen, aber vor allem auch ein funktionierendes Bildungssystem, Vereine und eine gute Gesundheitsversorgung und Pflege“, erklärt Professor Wendt.
Insgesamt beobachten Experten, dass die Einsamkeit nach Corona in vielen Ländern auf einem höheren Niveau geblieben ist als vor der Pandemie. In Deutschland sind neben älteren Menschen insbesondere Kinder und Jugendliche verstärkt von Einsamkeit betroffen. Grund sei neben den Corona-Nachwirkungen auch die zunehmende Mediennutzung, sagt Wendt. Er sieht vor allem die Vereine in der Pflicht, um Kinder und Jugendliche aus der Isolation zu holen.
Dabei könne Deutschland von den nordeuropäischen Ländern lernen, die in Vereinen viel stärker auf professionelle Kräfte setzen: „Anders als bei uns gibt es dort deutlich mehr pädagogisch ausgebildete Profitrainer, die mit den Kleinsten arbeiten und sehr kompetent mit gesellschaftlichen Fragen wie Einsamkeit umgehen können.“ Auch in den Schulen sei die Qualität der Betreuung anderswo deutlich höher als in Deutschland, sagt Wendt. Kommen bei uns beispielsweise auf eine Schulpsychologin fast 10.000 Schüler, sind es in Dänemark oder Estland weniger als 1000 Schüler.
Ergebnisse als Eckpunktepapier
Mit Blick auf ältere Menschen plädiert Wendt für eine bessere Organisation der Pflege. Häufig gebe es in der unmittelbaren Wohnumgebung zu wenige Unterstützungsangebote, damit Pflegebedürftige in ihrem gewohnten Umfeld bleiben können. Bei einem Umzug ins Pflegeheim gingen soziale Kontakte zu Freunden und Nachbarn jedoch häufig verloren und die Einsamkeitswerte steigen, so der Gesundheitssoziologe. Auch dort gebe es in anderen Ländern wie Dänemark, den Niederlanden oder der Schweiz deutlich bessere Strukturen.
Die Ergebnisse seiner Untersuchungen hat der Professor in einem Eckpunktepapier zusammengefasst, das demnächst im Bundesgesundheitsblatt publiziert werden soll. Im Juni ist er außerdem zur Jahrestagung des Deutschen Ethikrates eingeladen, der sich ebenfalls mit dem Thema „Einsamkeit“ befasst.