Es duftet nach leckeren Backwaren, Kuchen und frischem Kaffee im Eckhaus an der Josef-Leusch-Straße 2 in Brohl. „Hallo Annemie, zwei Bauernbrötchen bitte“, wünscht Stammkunde Hans-Peter Zapf. „Und sonst? Wie ist das Rentendasein?“, will Annemie Durben, die Frau hinter der Theke, wissen. Man kennt sich im letzten Lebensmittelladen des Hafenorts am Rhein, wo noch Zeit ist für einen netten Plausch. Ansonsten ist es still geworden im Ortskern, obwohl wenige Meter weiter der Verkehr auf der B 9 vorbeirauscht. Selbst entlang der pulsierenden Lebensader Rheintal ist eine Entwicklung zu beobachten, die aus abgelegen Eifeldörfern bekannt ist. Es gibt kaum oder gar keine Einkaufsgeschäfte mehr.
An die Metzger, die Bäcker, die Apotheken und die 17 Wirtschaften im Ort erinnern sich nur noch die Alteingesessenen mit nostalgischem Schwärmen. „Sogar einen Juwelier gab es mal hier“, sagt Annemie Durben. Früher, da konnte man noch einen Einkaufsbummel im Dorf machen. Davon erzählen heute die leer stehenden Geschäftsräume mit heruntergelassenen Jalousien entlang der Josef-Leusch-Straße. Die Nahversorgung ist nicht nur in Brohl geschrumpft auf letzte Bastionen, gehalten von Idealisten wie Annemie Durben. Eine Aufgabe, die einem Ehrenamt gleichkommt, denn verdienen lässt sich damit nicht viel.
Geöffnet für die Frühschicht
„Es ist manchmal nicht einfach, aber es funktioniert irgendwie“, sagt die 60-Jährige, die bereits morgens um 4.30 Uhr öffnet, obwohl sie aus dem 20 Kilometer entfernten Spessart anreist. Dann kommen die Arbeiter mit der Frühschicht beim Brohler Mineralbrunnen oder Handwerker, um sich hier mit Kaffee und Brötchen zu versorgen. „Das haben wir Aldi und Lidl voraus“, meint Annemie Durben, die seit zwölf Jahren das Lädchen als eine Mischung aus Lebensmittelminimarkt, Café und Backwarentheke führt. Auf Google Maps ist ihr Geschäft übrigens als „Supermarkt“ verzeichnet.
Die Discounter mit den großen Parkplätzen auf den grünen Wiesen, wie sie sich auch in Bad Breisig angesiedelt haben, haben wie überall die Infrastruktur für das Einkaufen verändert. „Dort gibt es ja alles, und die Menschen haben kaum Zeit, verschiedene Geschäfte aufzusuchen“, schildert Durben das veränderte Verbraucherverhalten.
Wer die Tür zu ihrer Welt aufstößt, erlebt Entschleunigung statt Scanner-Kassen, an denen es schnell gehen muss. Und er findet ein sorgsam mit viel Aufwand zusammengetragenes Sortiment, das abgestimmt ist auf diejenigen, die kein Auto haben, keine Kinder oder Nachbarn, die sie zum Supermarkt kutschieren. Die Fleischwaren bezieht sie von einer Metzgerei in Andernach, die Backerzeugnisse kommen ebenfalls aus Andernach, die Äpfel aus Mülheim-Kärlich, die Kartoffeln vom heimischen Bauern. Alles organisiert sie selbst.
Ein Gefühl wie im Beichtstuhl
Auf Wunsch fährt sie bestellte Waren auch aus. Ein Service, für den vor allem die älteren Bewohner dankbar sind. „Die Leutchen sind so froh darüber“, sagt sie und weiß, dass eine Institution verschwinden würde, wenn sie aufgibt. Und wenn sich kein Nachfolger findet? „Das würde mir weh tun“, sagt sie. Die Menschen sind ihr ans Herz gewachsen. „Manchmal fühle ich mich wie ein Pastor im Beichtstuhl.“
Denn was die Kunden in Annemie’s Lädchen gratis bekommen, ist Ansprache und Unterhaltung. Vorbeikommen, an einem der weihnachtlich gedeckten Tische Platz nehmen, Zeitung lesen, Kaffee trinken, Menschen treffen. Dafür schaut auch Herbert Hartmann gerne vorbei, je nach Schicht morgens oder nachmittags. Horst Ruge, der seit 46 Jahren in Brohl lebt, verabredet sich hier mit seinem Kumpel zu Kuchen und Kaffee. Er ist froh, dass es Annemie’s Lädchen noch gibt und kauft auch regelmäßig hier ein. Als zweiter Vorsitzender des VdK-Ortsverbandes bestellt er für die Weihnachtsfeier selbstverständlich hier auch die Brötchen und Getränke. Damit die Nahversorgung in Brohl nah bleibt.