Vor rund 80 Zuschauern widmeten sich am Mittwochabend im Dernauer Bürgerhaus Nicole Steingaß, rheinland-pfälzische Staatssekretärin und Landesbeauftragte für den Wiederaufbau, Missy Motown, Geschäftsführerin des Helferstabs Hochwasser Ahr, Dominik Gieler, Altenahrer Verbandsgemeindebürgermeister und Alfred Sebastian, Dernauer Ortsbürgermeister, dem Thema Normalität in Zeiten des Wiederaufbaus nach der Flutkatastrophe. Moderiert wurde die Gesprächsrunde von RZ-Chefredakteur Lars Hennemann und RPR1-Moderator Jens Baumgart.
Verzögerungen im Wiederaufbau sorgen für Kritik
Die Wahl des Veranstaltungsortes war nicht zufällig erfolgt, vielmehr zählt Dernau neben Altenahr, Mayschoß und Rech zu den Ortsgemeinden, die derzeit die umfangreichsten Wiederaufbaumaßnahmen nach der Ahrflut 2021 zu schultern haben. Bei einem der Podiumsdiskussion vorgeschalteten gemeinsamen Ortsrundgang hatten die Veranstaltungsbesucher denn auch Gelegenheit, sich selbst ein Bild über das Ausmaß der Flutkatastrophe und über den aktuellen Wiederaufbaustand zu machen. „Teilweise ist erst jedes fünfte Haus in einigen Straßen wieder bewohnbar“, bilanzierte denn auch Ortsbürgermeister Sebastian nüchtern und resümierte: „Wir könnten eigentlich schon viel weiter sein.“
Als Gründe für die Verzögerungen rund machte Sebastian insbesondere bürokratische Hürden verantwortlich. So müssten etwa Architektenleistungen europaweit ausgeschrieben werden. „Wir sind am Nullpunkt gestartet, wir haben seit der Flut keinen Dorfplatz und keinen Sportplatz mehr. Bis Baugenehmigungen erteilt werden können, dauert es lange aufgrund der vorzunehmenden Ausschreibungen. Und das ist es, was den Leuten wehtut, dass wir nicht schneller vorankommen.“
Verlängerte Antragsfrist für Aufbauhilfen
Dass der einzelne Betroffene bei all diesen bürokratischen und verwaltungsrechtlichen Verzögerungen nicht vergessen werden dürfe, mahnte Missy Motown: „Natürlich gibt es vielschichtige Gründe, warum an einigen Orten auch nach fast zwei Jahren noch nichts passiert ist, aber feststeht, der Wiederaufbau ist zermürbend, er kostet die Menschen viel Kraft.“
Die jüngst beschlossene Fristverlängerung zur Beantragung von Wiederaufbauhilfen aus dem Wiederaufbaufonds bis zum 30. Juni 2026 (die RZ berichtete) bezeichnete die Helferstabs-Geschäftsführerin als Fluch und Segen zugleich. So sei die Gefahr groß, dass sich durch diese Fristverlängerung insbesondere diejenigen zurücklehnen könnten, denen sowieso die Kraft zum Wiederaufbau mittlerweile fehle. Für Motown eine Entwicklung, die weder für den Wiederaufbau im Ganzen noch für die Lage der Betroffenen förderlich sei. „Manchmal braucht es einfach einen kleinen Anstupser, dass es weiter geht“, betonte sie.
Nach der Flut mussten Lebensgrundlagen neu geschaffen werden
Gegenrede erhielt Motown in diesem Punkt teilweise von Altenahrs Verbandsgemeindebürgermeister Gieler, der erklärte, für die Kommunen sei diese Fristverlängerung jedoch ein Segen. So habe die VG Altenahr allein 735 Förderanträge zu stellen für 735 Maßnahmen im Wert von 1,5 Milliarden Euro. „Hierfür braucht es Fachleute, die wachsen nicht auf den Bäumen.“ Auch seien die Antrags- und Vergabeverfahren aufwendig.
Dennoch gelte es auch weiterhin, mit der Wiederaufbauförderung weiter zu machen, betonte Staatssekretärin Steingaß den Nutzen der Fördermittel. „Die Grundlagen sind bereits geschaffen, jetzt müssen wir vorankommen.“ In diesem Zusammenhang gelte es aus Sicht des Innenministeriums, dran zu bleiben, Private und Kommunen weiterhin gut zu beraten und dafür zu sorgen, dass Flutbetroffene nicht den Mut zum Wiederaufbau verlören. Wichtige Unterstützungs- und Beratungsarbeit bei der Beantragung von Aufbauhilfen leisten laut Steingaß in diesem Rahmen die Infopoints, welche noch bis Dezember dieses Jahres geöffnet sein werden, und die Mitarbeiter der Aufsuchenden Hilfe, die noch bis September tätig sein werden.
Hilfsbereitschaft unter Handwerkern ist groß
Im Hinblick auf den mehrfach kritisierten zu langsam fortschreitenden Wiederaufbau erklärte die Staatssekretärin: „Wir müssen uns vor Augen führen, wo wir am 15. Juli 2021 gestartet sind.“ Durch die Flut sei ein Gebiet auf einer Fläche von rund 40 Kilometern entlang der Ahr betroffen worden und Schäden von insgesamt 15 Milliarden Euro entstanden. „Wir hatten keine Blaupause für einen Wiederaufbau. Wir mussten in den vergangenen zwei Jahren Lebensgrundlagen mit der Unterstützung von vielen Helfern, Ehrenamtlichen und Firmen neu schaffen. Wir werden auch noch eine Weile mit einem Provisorium zurechtkommen müssen, die Errichtung neuer Infrastruktur im Ahrtal wird noch Jahre dauern.“
Die Hilfsbereitschaft unter den Handwerksbetrieben in Deutschland sei groß, betonte Ralf Hellrich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Koblenz, der aus dem Publikum die Podiumsdiskussion aufmerksam verfolgte. „Nach der Flut haben wir die Plattform ,Handwerk baut auf' in Zusammenarbeit mit allen 53 Handwerkskammern in Deutschland gegründet. Dort sind rund 1900 Betriebe verzeichnet, die ihre Leistungen anbieten. Täglich verzeichnen wir rund 50 Abrufe. Alle drei Monate fragen wir die 1900 Betriebe ab, ob sie mit ihren Leistungen auch weiterhin zur Verfügung stehen. Und auch jetzt nach zwei Jahren ist die Solidarität unter den Betrieben mit dem Ahrtal weiterhin groß.“