Er erforschte die Historie
Wie sich ein Theologe in den Nürburgring verliebte
Hinter dem Forscher und Historiker Alexander Kraß die Burg, um deren Namen sich alles dreht: die Nürburg.
Jürgen C. Braun

Am Ring kennt man ihn nur als „Alex“. Alexander Kraß ist jemand, den der Nürburgring einst faszinierte und seitdem nicht mehr loslässt. Der Theologe aus dem Saarland befasst sich seither so intensiv mit der Geschichte des Rings wie kaum ein anderer.

„Manchmal“, sagt Alexander Kraß, „manchmal sitze ich abends allein an der Südschleife und stelle mir vor, wie das hier vor 90 Jahren gewesen sein muss.“ Ein Träumer? Vielleicht. Aber auch einer, der die professionelle Recherche in die Vergangenheit mit Leidenschaft und Hingabe treibt. Der sich von der Faszination eines einzigartigen Fleckens Erde mitreißen lässt. Der Forscher und Fan gleichermaßen ist. Der alles bis ins Kleinste hinterfragt und sich doch von der Urgewalt dieser weltweit einzigartigen Rennstrecke, dem Nürburgring bei Adenau, mitreißen lässt. Einer, der sagt: „Ich liebe meinen Beruf, aber mein Hobby, der Nürburgring, ist ein großer Teil meines Lebens.“ Das ist „Alex“, wie ihn am Ring alle nennen.

Kraß erforschte den Nürburgring und seine Historie

Als Alexander Kraß vereint er zwei vollkommen unterschiedliche Lebenswelten und ist damit einer der eher ungewöhnlicheren Fans des inzwischen 98 Jahre alten Nürburgrings. Deutsch-Luxemburger aus dem Saarland und Pension-Dauergast in Nürburg. Studium in Trier, Kraß ist Diplom-Theologe mit Fachgebiet Moraltheologie und Lehrer an einer Schule in Luxemburg.

Aber er ist auch Buchautor zur Geschichte des Nürburgrings, Historiker und Besitzer eines großen Privatarchivs. Co-Kommentator bei einem der vielen Rennen am Nürburgring, zudem war er früher Sportwart an der Nordschleife. Dauergast in der Region mit der unvergleichlichen Aura dieser geschichtsträchtigen Landschaft in der Vulkaneifel. „Ich bin“, sagt der 40-Jährige und schmunzelt selbst dabei, „vielleicht der einzige (Moral-)Theologe mit Rennerfahrung.“

Die Symbiose von Rennstrecke und Theologie

Wie geht so was? Wie finden zwei scheinbar völlig unterschiedliche Welten zueinander? Das ist doch wie Weihwasser und Beelzebub. Oder nicht? Für Kraß nicht. Alles begann vor fast 20 Jahren mit einem Besuch mit Kommilitonen aus der Theologie in Adenau. „Da in der Nähe ist doch die bekannte Nordschleife“, habe er Zwiesprache mit sich selbst gehalten. Und ist mal eine Runde gefahren. Einfach so. Aus Neugierde. „Und dann war’s vorbei.“

„Ich wollte wissen, was die Namen der einzelnen Streckenabschnitte bedeuten, woher sie kamen. Es ist spannend und berührend zugleich, in eine Zeit einzutauchen, die ich selbst nicht erlebt habe.“
Nürburgringfan Alexander Kraß

Oder besser: Dann begann es erst. Denn von da an ließ der Ring Alexander Kraß nicht mehr los. Dessen Geschichte, die Entstehung, die Menschen, die Umstände. Und er begann zu erkunden, zu fragen, zu forschen. „Ich wollte wissen, was die Namen der einzelnen Streckenabschnitte bedeuten, woher sie kamen. Es ist spannend und berührend zugleich, in eine Zeit einzutauchen, die ich selbst nicht erlebt habe“, sagt der Mann, Jahrgang 1985. Und bekräftigt: „Es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht mit dem Nürburgring beschäftige.“ Je mehr man in die Tiefe der Geschehnisse vor Jahrzehnten eintauche, umso breiter und vielfältiger würden sie.

Im historischen Fahrerlager, hier unter der Box von Niki Lauda, fühlt sich Alexander Kraß zu Hause.
Jürgen C. Braun

Nach und nach kaufte Alexander Kraß von Privatpersonen Originalmaterialien aus allen Zeiten der Nürburgringgeschichte auf. Darunter Motorsporthistoriker aus ganz Deutschland. 2017 schrieb er sein erstes Buch zur Nürburgringhistorie. Nirgendwo abgekupfert, alles eigene Recherche, wie er betont. Gleichwohl er mittlerweile regelmäßigen Kontakt mit weiteren Motorsportautoren aus ganz Deutschland hat.

„Es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht mit dem Nürburgring beschäftige.“
Alexander Kraß

Aber Alexander Kraß ist nicht nur Theoretiker. Er gab der Nordschleife und dem pulsierenden Leben der „Grünen Hölle“ lange auch als Sportwart zurück, was sie ihm bietet. „Es gibt weltweit viele anspruchsvolle, schwierige Rennstrecken, aber die Nordschleife ist einzigartig. Die Länge, die Natur, die Topografie. Die ganzen Anekdoten und Geschichten. Alle ganz großen Rennfahrer der Geschichte sind hier schon gefahren. So lange bis sie diese Herausforderung bezwungen hatten. Wenn die Autos mit Vollgas aus dem Tiergarten rauskommen, das ist unfassbar beeindruckend.“ Seine Faszination für den Nürburgring ist für ihn kein Broterwerb, sondern reines Hobby. „Jedes meiner Bücher trägt das Prädikat: Gedruckt in Adenau am Nürburgring.“ Den Erlös der letzten Veröffentlichung ließ er einem Kinderhospiz zukommen.

Dass er einmal aufhören wird, in die unerforschten Geschehnisse dieser Strecke „mit der unfassbaren Faszination“ einzutauchen, kann er sich nicht vorstellen. Der 1984 erbauten neuen Grand-Prix-Strecke erweist er ihre Reverenz: „Ohne die Grand-Prix-Strecke gäbe es den Nürburgring nicht mehr.“ Und dass man sich immer breiter als Event-Location aufstellt, sei ein Faustpfand für die Zukunft. „Hier sind viele kluge Leute mit Leidenschaft für das, was sie tun, am Werk.“

Erinnerungen an die Rennsportlegenden

Aber Theologie und Motorsport finden auch heute noch eine Verbindung. „Einer der Professoren, bei dem ich in Trier Theologie studiert habe, kommt immer wieder gern mit mir an den Ring. Er hat an der Faszination auch schnell Gefallen gefunden.“ Der Nürburgring und er, sagt Kraß, sie hätten sich nicht gesucht. „Wir haben uns gefunden. Und das ist gut so.“ Vor allem dann, wenn er wieder mal abends an der vergessenen Südschleife sitzt und aus dem Historiker (vielleicht) ein Träumer wird, der sich vorstellt, welche großen Namen hier vor vielen Jahrzehnten ihre Rennen gefahren sind.

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