Vier Häuser sind eingestürzt, zwei weitere so gut wie, einige andere wird man abreißen müssen. Gibt es Tote? Einige Menschen sollen nach wie vor vermisst werden, so ganz genau weiß das niemand, die Informationslage ist unklar. Auch weil es seit Mittwochnachmittag im gesamten Ahrtal keinen Handy- und Telefonempfang mehr gibt, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Einige Menschen versuchen verzweifelt, ihre Angehörigen in den Dörfern zu erreichen. Sie sind aus den Nachbarorten gekommen oder von weit her und bitten die Rettungskräfte, ihnen über Funk zu helfen.
In Schuld haben die schlammbraunen Wassermassen zudem die Hauptstraße ins benachbarte Fuchshofen teilweise weggerissen, eine Brücke über die Ahr in einen Ortsteil komplett. Autos, Traktoren und Bagger sind weggespült worden, sie liegen auf der Seite, auf den Dächern, umspült von Schlamm, umgeben von ausgerissenen Bäumen, einer Kinderrutsche und einem Kühlschrank. Ein voll beladener Baucontainer ist 200 Meter durch den Ort gewirbelt worden und liegt ebenfalls auf der Seite. Der finanzielle Schaden wird viele Millionen Euro betragen, der seelische kaum zu heilen sein.
Helmut Lussi ist seit zwölf Jahren Bürgermeister von Schuld mit seinen rund 750 Einwohnern. Und natürlich hat er eine solche Katastrophe noch nie erlebt. In den zwölf Jahren nicht und davor auch nicht. Dass die Ahr Hochwasser führt, dass sie über die Ufer tritt, all das kennt man in Schuld. Aus dem Jahr 2016 etwa, als im Ahrtal Menschen mit Hubschraubern gerettet werden mussten und die Schäden in die Millionen gingen. Einige erinnern auch an das Jahrhunderthochwasser von 1910, das auch sie nur aus Erzählungen kennen. Damals starben einige Menschen im Ahrtal. Doch damals trotzten die uralten Häuser den Wassermassen. Sie hielten und blieben stehen.
Nach dem aber, was am Mittwochabend ab 17 Uhr über Schuld hereingebrochen ist, liegt der Schutt der Häuser verstreut auf der Straße. Es ist etwas passiert, das man in Schuld am Morgen danach keinesfalls greifen kann – und womöglich niemals so richtig wird aufarbeiten können. Bürgermeister Lussi sagt: „Es ist unfassbar, wie schnell das Wasser kam und wie schnell es gestiegen ist. In einer Stunde etwa einen Meter.“
Schon Dienstagnacht hatte es extrem geregnet. Und es gab ja die Vorhersagen mit Unwettern und extremem Starkregen für Mittwochmittag bis -mitternacht. Also stellten sich auch in Schuld viele Menschen auf ein Hochwasser ein. Feuerwehr- und andere Rettungskräfte waren im Dauereinsatz – und am Ende doch fast völlig hilflos. Gegen diese unbegreifliche Flut kamen sie nicht an. „Der Fluss, der sonst 60 Zentimeter tief ist, stieg auf acht Meter an“, sagt Helmut Lussi.
Die Häuser direkt an der Ahr wurden evakuiert. Ihre Bewohner kamen bei Freunden, Bekannten und im Hotel unter. Andere sind in ihren Häusern geblieben. Weil das Wasser im ersten Stock stand, sind Lucia Andrei und Liviu Pitigoi in den zweiten Stock geflüchtet. Ob sie denn keine Angst hatten, dass das komplette Haus über ihnen einstürzen könnte? „Doch, aber wo sollten wir denn hin? Um das Haus stand das Wasser meterhoch.“
Ihre beiden Autos sind weg, sie haben sie im weiteren Umfeld auch nicht gesehen. Immerhin die Katzen hat das Paar, das seit einem Jahr in Schuld wohnt, gerettet. Und sich. „Zum Glück leben wir noch.“
Ob sie zurück in ihr Haus können und mit ihnen viele andere Menschen im Ort in ihre Häuser, werden Statiker bewerten müssen. Nicht jedes Haus, das von außen nicht so viel abbekommen zu haben scheint, ist auch innen noch stabil. „Das ist alles, was ich noch habe“, sagt ein Anwohner aus der Ahrstraße in Schuld und hält ein Marmeladenglas in der Hand. 40 Euro sind noch drin. „Es ist alles kaputt. Ich habe nichts mehr.“
Carina Adriaenssons aus der Bahnhofstraße hat noch ihre Katzen Cleo und Filius gerettet. Mit einem Körbchen, in dem sich die verschreckten Stubentiger ducken, und mit ein paar Lebensmitteln im Rucksack hat sie sich an diesem Donnerstagmorgen nach der furchtbaren Nacht am Sammelplatz vor der Kirche eingefunden. Ebenso Herbert Welch, ein Rollstuhlfahrer aus der Hauptstraße. Er hat sich von seiner Parterrewohnung im Sitzen die Treppe in die oberen Stockwerke hinaufgeschleppt, um den Fluten zu entkommen. „Wir konnten sehen, wie die Häuser weggerissen wurden“, erzählt er.
Kaum glauben kann Kurt Thiesen, dass sein Frischemarkt sich in ein schlammiges Schlachtfeld verwandelt hat. Selbst das Geld aus der Kasse hat die Flut weggespült. Mit Entsetzen registriert er, was passiert ist. „Mach die Augen zu“, raten ihm Freunde aus dem Ort.
Auch die Kfz-Werkstatt Hupperich gibt es nicht mehr. Und in der Landbäckerei Schlösser werden wohl noch lange keine Brötchen mehr verkauft werden. Die Infrastruktur des Dorfs ist nur noch zu erahnen. Das Gemeindehaus, gerade erst renoviert, existiert nicht mehr, ebenso mitgerissen von den gewaltigen Wassermassen wie die Schützenhalle. Wo der Spiel- oder der Tennisplatz einmal waren, lässt sich nur erahnen.
Überall liegen die Reste von Baumstämmen, die das Wasser zusätzlich aufgestaut haben. Bürgermeister Lussi schüttelt den Kopf: „Du kannst nichts machen, nicht helfen. Du siehst nur zu, wie die Fluten steigen, wie es kracht, wie die Häuser wegfliegen.“ Er hofft, dass die Politik und die Behörden jetzt schnell reagieren – auch damit die Kommunikations- und Versorgungsinfrastruktur wieder funktioniert. Er schätzt, dass 80 Prozent des im Tal liegenden Ortsteils von Schuld zerstört sind. „Es wird Jahre dauern, bis hier alles wieder aufgebaut ist“, befürchtet er. „Es sieht jetzt aus wie nach einem Bombenangriff.“
Auch Insul, Dümpelfeld und Liers, die Örtchen im weiteren Verlauf des Ahrtals, hat es hart getroffen – wenngleich längst nicht so heftig wie Schuld. In Dümpelfeld, wo der Adenauer Bach in die Ahr mündet, sagt eine Frau: „Es war sehr grausam. Wir haben den Bach beobachtet und noch versucht, alles wegzuräumen.“ Zu spät und obendrein zwecklos. Ihre Garage und der Keller sind vollgelaufen. Wie bei anderen Menschen im Ort. In Dümpelfeld und anderswo schrubben am Tag nach der Katastrophe überall Menschen mit Besen den Schlamm weg. Aggregatoren brummen – die Keller werden leer gepumpt.
In Dümpelfeld ist zudem direkt an der Bundesstraße der Hang runtergekommen. Fährt man die B 257 weiter, gibt es immer wieder Stellen, die überspült sind, von Wasser, Schlamm und Geröll. Und fast überall sind die kleineren Brücken über die Ahr, die Ortsteile miteinander verbinden, weggerissen worden. Wie in Insul.
Dort sagt eine Frau mittleren Alters: „Es ging alles so schnell, es war unfassbar.“ Als die Fluten kamen, war sie, wie sie sagt, an ihrem Arbeitsplatz im Landhotel Ewerts. Innerhalb kürzester Zeit war die Küche mit Wasser vollgelaufen. Das Wasser stieg immer weiter, auch weil zu den Fluten aus der Ahr Sturzbäche vom Hang kamen. Die Frau und 15 Kollegen retteten sich in den zweiten Stock, wo sie in einem Raum ausharrten und übernachteten.
Sie hat beobachtet, wie in Insul nicht nur die Brücke weggerissen wurde, sondern auch ein Haus nebendran: „Es fiel in sich zusammen.“ Ein Bewohner habe sich auf einen Brückenpfeiler gerettet. Er musste dort, erzählt die Frau, die ganze Nacht warten, ehe er am Morgen mit einem Hubschrauber gerettet wurde. Auch in Liers haben die braunen Fluten die Ahr-Brücke zerstört. Häuser hat es nicht getroffen, es gibt auch keine Verletzten, sagt ein Feuerwehrmann – obwohl das Wasser zweieinhalb Meter über der Straße gestanden habe.
Es sind katastrophale Ausmaße, die man einen Tag nach diesem schrecklichen 14. Juli nicht fassen kann. Sofern das überhaupt jemals gelingt.