Am 13. April 1950, also heute vor genau 75 Jahren, schlug die Geburtsstunde der einzigen geschlossenen landsmannschaftlichen Siedlung in der Bundesrepublik. An diesem Tag traf ein Sonderzug mit 400 Personen aus 67 ermländischen Familien auf dem Bahnhof in Brück/Ahr ein. In 22 Waggons waren neben dem Hausrat unter anderem zwölf Pferde, Brennmaterial und landwirtschaftliche Geräte untergebracht. Drei Baracken der früheren Luftwaffe nahmen 36 Familien auf, die übrigen wurden auf die umliegenden Dörfer verteilt. Aus Schilderungen der beiden Protagonisten Robert Parschau und Ferdinand Groß, der sich mit seiner Familie in Lederbach niederließ, geht hervor, wie es zu dieser groß angelegten Umsiedlung kam.

Siedler suchten eine Heimat und fanden sie im Ahrkreis
Vom Heimatlosen zum Angekommenen: Die ermländischen Siedler fanden sich schnell zurecht. Sie pflegten ihre Sitten und Gebräuche, verdienten Geld mit Landwirtschaft und wertvoller Rinderzucht. Schnell wurde die Eifel zum Zuhause.
Flüchtlingsstrom aus den von Russland bedrohten Gebieten
Vor 80 Jahren ergoss sich ein riesiger Flüchtlingsstrom aus den von russischen Armeen bedrohten Ostgebieten in das industrielose Schleswig-Holstein. Die Vertriebenen wurden bei Bauern und in großen Lagern sehr notdürftig untergebracht, sie fanden kaum Arbeit. Unter den Flüchtlingen waren verhältnismäßig viele Bauern aus den ermländischen Kreisen Heilsberg, Rössel, Braunsberg und Allenstein – dem Teil Ostpreußens, der nach der Reformation katholisch geblieben war und als Kornkammer des damaligen Deutschen Reiches galt.

„Wir waren vier Jahre lang enterbt und arbeitslos und mussten stempeln gehen“, beschreibt Groß die fast ausweglose Situation. „Was dies für einst freie und selbstständige Bauern bedeutete, brauche ich nicht zu schildern.“ In dieser großen Not, seelisch und körperlich geschwächt, griffen die Ermländer nach jedem Strohhalm und meldeten sich bei dem am 11. Mai 1948 gegründeten Siedlerhilfswerk Schleswig-Holstein an. Auf dem Katholikentag 1949 in Bochum fanden die deutlichen und zu Herzen gehenden Worte des damaligen Caritas-Direktors von Schleswig-Holstein, Pfarrer Preuß aus Neumünster, Widerhall bei einflussreichen Leuten. Bald wurden Kontakte geknüpft mit zuständigen Behörden von Rheinland-Pfalz.
Als die Neusiedler bei ihrer Ankunft die hohen Berge erblickten, aber kaum Ackerland, waren sie sehr enttäuscht und manche fragten: „Ferdinand, wo hast du uns bloß hingebracht?
So beschreibt Ferdinand Groß den ersten Kontakt mit der neuen Heimat.
Denn der ehemalige Luftwaffenübungsplatz Ahrbrück – von 1937 bis 1939 wurden 400 Familien mit rund 2.400 Menschen gezwungen, die Dörfer Denn, Weidenbach, Herschbach, Lederbach, Cassel, Watzel, Fronrath, Blasweiler, Beilstein, Ober- und Niederheckenbach sowie Kaltenborn und Hoch-Acht aufzugeben – war 1946 zur Besiedlung frei gegeben worden. Ein Gelände von rund 10.000 Hektar sollte wieder mit Leben erfüllt werden. Und zwar durch landsmannschaftlich gebundene Gruppen von heimatvertriebenen Bauern, Handwerkern und Forstarbeitern. Etwa ein Drittel blieb reserviert für Rückkehrer der Ex-Bevölkerung.

Siedler leisteten Knochenarbeit für einen Hungerlohn
Nach ihrer Ankunft hieß es für die Siedler aus dem Ermland im Kreis Ahrweiler erst einmal: Arbeiten und den Aufbau einer Siedlung vorantreiben. Nach anfänglicher Skepsis ging das dann doch recht schnell vonstatten.
Einer Delegation, der auch Parschau und Groß angehörten und die am 7. Februar 1950 zu einer Besichtigung des Siedlungsgebietes aufbrachen, bot sich dieses Bild: Die Wiesen in den Tälern zu beiden Seiten kleiner Bäche, die auch im Sommer Wasser führen, sind vermoost, die Gräben sind verstopft und zugewachsen. Das Ackerland ist mit einem 12-jährigen Fichtenbestand angeforstet. Von den ehemaligen Gebäuden sind nur noch Ruinen vorhanden, deren Grundmauern und Bruchsteinmauerwerk aber für Fundamente verwendet werden können. Die Kirchen sind in den Grundmauern, teils mit Bedachung, noch vorhanden.

Der Kreis Ahrweiler wirkte wie „Wildnis“
„Als die Neusiedler bei ihrer Ankunft die hohen Berge erblickten, aber kaum Ackerland, waren sie sehr enttäuscht und manche fragten: „Ferdinand, wo hast du uns bloß hingebracht?“, beschreibt Groß den ersten Kontakt mit der neuen Heimat. „Heute würde man kaum noch Menschen finden, die bereit wären, solch eine Wildnis zu besiedeln“, schrieb Parschau 1959 im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler. Schließlich hatte die Forstverwaltung von Rheinland-Pfalz verlautbaren lassen, dass es sich schon vor der Aussiedlung um ein Notstandsgebiet gehandelt habe, in dem die Einwohner nicht leben und nicht sterben könnten.