Ihr Ziel: politischer Umsturz
Wenn Reichsbürger vom Ahrkreis die Welt erobern wollen
Rund 25.000 Personen wurden im Jahr 2023 der Szene der Reichsbürger und „Selbstverwalter" bundesweit zugeordnet. Auch im Kreis Ahrweiler haben Reichsbürger in der Vergangenheit für einiges Aufsehen gesorgt.
Patrick Seeger. dpa

Die Reichsbürgerszene hat im Ahrkreis für Aufsehen gesorgt. Ein „Freistaat Preußen“ wurde vor Jahren in Königsfeld gegründet. Doch was hat es eigentlich mit dieser den deutschen Rechtsstaat ablehnenden Bewegung auf sich? Und was macht sie heute?

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Sie sehen sich nicht als Bürger der Bundesrepublik Deutschland, sondern als Staatsbürger des „Freistaates Preußen“: Drei Reichsbürger, die sich jüngst vor dem Landgericht Koblenz wegen mutmaßlichen staatsverunglimpfenden Äußerungen zu verantworten hatten. Das Gerichtsverfahren ist mit einem Freispruch geendet. Doch wer sind diese Reichsbürger eigentlich und was sind ihre Anliegen?

Eine Antwort auf diese Fragen gibt ein Blick auf die Internetseite, die der „Freistaat Preußen“ bis heute betreibt. Im Jahr 2012 haben die drei Reichsbürger gemeinsam mit vier weiteren den preußischen Freistaat wieder aufleben lassen und betrachten sich als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs. Ihr Staatsgebiet endet nicht an den Außengrenzen der heutigen Bundesrepublik Deutschland, sondern reicht bis ins russische Kaliningrad.

Geltende Gesetze der BRD werden nicht anerkannt

Begründet wird das Wiederaufleben des Freistaates damit, dass der 1918 gegründete Freistaat Preußen während der Zeit des Nationalsozialismus widerrechtlich seine Autonomie verloren habe. Die nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland (BRD) erkennen die Reichsbürger als rechtmäßige Staatsform nicht an. Vielmehr existieren für sie das Deutsche Reich und damit auch Preußen weiter.

Die BRD beurteilen sie als ein Verwaltungskonstrukt der Alliierten, Deutschland selbst als Nachfolger des Dritten Reichs. Das Staatsgebiet der BRD verorten sie nicht in Europa, sondern in der Antarktis. Ein Verbleib in diesem widerrechtlichen deutschen Staat stellen die Anhänger des „Freistaates Preußen“ unter Strafe und fordern daher alle Einwohner Deutschlands in sogenannten „Amtsblättern des Freistaates Preußen“ auf, die Staatsangehörigkeit des „Freistaates Preußen“ anzunehmen. Im Gegenzug versprechen sie, sich für die preußischen Bürger einzusetzen. Erklären etwa, diese seien künftig von Steuerzahlungspflichten oder Fahrzeugzulassungspflichten befreit, da im Freistaat das deutsche Recht keine Anwendung und Anerkennung findet.

Aussagen von der Meinungsfreiheit gedeckt

Aufforderungen und Aussagen, die die Reichsbürger laut Urteil des Landgerichts Koblenz durchaus tätigen und äußern dürfen. Denn anders als vielleicht zu vermuten wäre, stellen derartige Aussagen noch keine strafbaren staatsverunglimpfenden Handlungen im Sinne des Paragraph 90a Strafgesetzbuch dar, sondern sind von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt.

Sieben Personen umfasste der Kreis derjenigen, die sich 2012 für das Wiederaufleben des „Freistaates Preußen“ einsetzten. Auch die drei Reichsbürger, die sich jüngst vor dem Landgericht Koblenz zu verantworten hatten, gehörten diesem Kreis an. Zwei von ihnen sind im „Freistaat Preußen“ nach eigenen Angaben als Minister für innere und äußere politische Angelegenheiten tätig, die dritte bekleidet gar das Amt der Ministerpräsidentin. Zum weiteren Kreis der Beteiligten gehörten zudem vier „Vertreter für besondere Angelegenheiten“.

Waffengewalt lehnen sie ab

Im Kreis Ahrweiler ist insbesondere die selbst ernannte Ministerpräsidentin keine Unbekannte. Vielmehr hatte sie Berühmtheit erlangt, als in ihrer Wohnung in Königsfeld während einer angeordneten Wohnungsdurchsuchung Hinweise auf Aktivitäten in der Reichsbürgerszene gefunden worden waren. Von einem Faxgerät aus hatte sie, die sich selbst als „Ministerpräsidentin des Freistaates Preußen“ und als „Vorsitzende des Präsidiums des Deutschen Reichs“ bezeichnete, Inhalte von mehr als 100 Amtsblättern an über 8000 Empfänger deutschlandweit und ins angrenzende deutschsprachige Ausland versandt.

Bereits einige Zeit vor der Wohnungsdurchsuchung hatte die selbst ernannte Ministerpräsidentin mit unserer Zeitung über Umsturzpläne gesprochen und erklärt, der Einsatz von Waffengewalt werde unter Reichsbürgern abgelehnt. Einige Tage zuvor war ein Polizist während einer Razzia von einem Reichsbürger erschossen worden, drei weitere Beamte waren verletzt worden. Im Haus des Reichsbürgers wurden 31 Waffen gefunden, er selbst hatte mit einer schusssicheren Weste bekleidet und einer geladenen Pistole auf die Polizisten gewartet.

Reichsbürgerin hat den Kreis Ahrweiler verlassen

Doch wie steht es heute um die Ministerpräsidentin und ihren Freistaat? Bereits vor einigen Jahren ist es im „Freistaat Preußen“ zu einem Putsch gekommen, in dessen Folge sich ein Teil der preußischen Staatsbürger abspaltete und sich daran machte, einen eigenen preußischen Staat zu betreiben. Was aus diesen Versprengten geworden ist, ist unklar. Und auch im „Freistaat Preußen“ scheinen die Uhren still zu stehen. Der letzte Eintrag auf der Internetseite des Freistaates stammt aus dem vergangenen Jahr. Im Kreis Ahrweiler erinnert heutzutage nichts mehr an die Ministerpräsidentin. Vielmehr „ ist diese seit Langem aus Königsfeld und dem Brohltal weggezogen. Der Verbandsgemeinde liegen insgesamt keine Erkenntnisse über gefestigte Strukturen von Reichsbürgern im Brohltal vor“, heißt es von der Verbandsgemeinde Brohltal auf Anfrage unserer Zeitung.

Die Reichsbürgerszene – Tausende Aktive

Mit ihrem Ansinnen der staatlichen Selbstverwaltung sind die Angehörigen des „Freistaates Preußen“ nicht allein. Wie das Bundesamt für Verfassungsschutz in seinem jüngsten Verfassungsschutzbericht mitteilt, gehörten bundesweit im Jahr 2023 rund 25.000 Personen der Reichsbürgerszene und der „Selbstverwaltszene“ an, rund fünf Prozent von ihnen wurden als Rechtsextremisten eingestuft. In Rheinland-Pfalz konnten bis Ende 2023 insgesamt 1050 Personen dem „Reichsbürger“-Spektrum zugerechnet werden, 160 von ihnen galten als gewaltorientiert.

Der Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ wurden 2023 1070 extremistische Straftaten zugerechnet (2022: 1358). Unter diesen extremistischen Straftaten waren 149 Gewalttaten (2022: 286), ein versuchtes Tötungsdelikt wurde registriert. In 65 Fällen handelten die Täter mit antisemitischen Motiven (2022: 47 Fälle).

Bis Ende 2023 wurden rund 1300 „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ihre waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. red

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