13 Jahre sind vergangen, seit Juan Taiar aus Syrien geflüchtet ist. Nach drei Jahren in der Türkei führte ihn sein Weg nach Deutschland. Er hat Integrationskurse besucht, die Einbürgerungsprüfung bestanden, spricht gut Deutsch und ist inzwischen fest angestellt bei der Stadtverwaltung Bad Neuenahr-Ahrweiler. Darauf ist er stolz und auch darauf, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen. Und trotzdem hört man aus seinen Erzählungen im Gespräch mit unserer Zeitung im Büro des Ökumenischen Flüchtlingshilfe im Mehrgenerationenhaus Bad Neuenahr das Unbehagen über eine Zukunft heraus, die anders aussehen könnte, als er sie sich vorgestellt hat.
Die Angst vor der AfD
Aktuell gibt es viele Entwicklungen, die Menschen wie Juan Taiar und seine Familie verunsichern: die Angst vor der AfD, eine Furcht einflößende Abschiebedebatte und das ungute Gefühl, nach den Anschlägen von Mannheim, Solingen, Magdeburg und zuletzt in Aschaffenburg zum Sündenbock für die Taten anderer Zuwanderer gemacht zu werden.
Imad Mardo, Vorsitzender des Beirats für Migration und Integration im Kreis Ahrweiler und Mitarbeiter der ökumenischen Flüchtlingshilfe, ist ebenfalls aus Syrien geflüchtet. Rund 1900 Syrer sind es, die aktuell im Kreis Ahrweiler leben. Sie gehören neben den Ukrainern zu der stärksten Gruppe unter den Migranten. Mardo weiß, dass der Sturz Assads von fast allen Syrern begrüßt wurde. Einige würden sich allerdings für die Zukunft eine bessere und demokratische Regierung wünschen. Die Sichtweisen seien so unterschiedlich wie das Spektrum an unterschiedlichen Volksgruppen in Syrien. Mardo selbst ist katholisch.

Bei Juan Taiar, der als Kurde zwischen allen Fronten einen schweren Stand in Syrien hatte, überwiegt die Skepsis, ob der neue Machthaber Ahmed al-Scharaa mit seiner islamistischen Vergangenheit gebrochen hat. Eine Rückkehr nach Syrien wäre für ihn keine Option. „Ich habe hier mein Leben besser gemacht. Ich würde dort wieder bei null anfangen.“ Seine Frau, die zu den Alawiten gehört und Arabisch spricht, hört beispielsweise von dort noch lebenden Verwandten, dass es Frauen und Männern im öffentlichen Nahverkehr nicht mehr erlaubt sei, nebeneinanderzusitzen. Sie hat in Bad Neuenahr-Ahrweiler einen Minijob gefunden, büffelt für die B1-Sprachprüfung und will später in der Krankenpflege arbeiten.

Aus dem syrischen Afrin an den Rhein
Hasan Sidou ist aus Syrien nach Deutschland gekommen. Er lebt bei einer Familie in Remagen. Sidou ist integriert, hat eine Arbeitsstelle und nie Leistungen vom Staat bezogen. Wie er die Lage in seinem Heimatland, aber auch in Deutschland beurteilt.
„Manche kommen nach Deutschland und wollen nicht arbeiten. Man muss aber Respekt zeigen“, sagt Juan Taiar und verurteilt das Verhalten von Zuwanderern, die sich fragen, warum sie denn arbeiten und Steuern zahlen sollen. In Syrien gebe es keine Sozialhilfe. „Wir suchen eine bessere Zukunft, und das Allerwichtigste dabei ist Freiheit.“ Juan Taiar ist angekommen in Deutschland. So fühlt er sich, und so nimmt er es auch in den Reaktionen von außen wahr. „Die Kollegen auf der Arbeit interessieren sich für mich. Es gibt Kontakte“, berichtet er. Er sei noch nie mit rassistischen Äußerungen konfrontiert worden. Er und seine Frau registrieren aber auch, dass man ihnen gegenüber nach den Anschlägen mehr auf Distanz gehe. Ob er Angst hat? „Angst gibt es überall“, so Juan Taiar. Er bangt aber um seine 50-jährige, wegen Krankheit arbeitsunfähige Mutter, für die es zu schwer gewesen sei, die nicht einfache deutsche Sprache zu erlernen. Sie sei nie zur Schule gegangen. Er sorge für seine Mutter, die keine Sozialhilfe beziehe. Für sie sieht er aber eine Abschiebegefahr.
Auch Myrna, die Schwester von Imad Mardo, verfolgt die Diskussion um die Abschiebung von Syrern kritisch. „Ich sehe die Situation dort nicht als sicher an. Es ist wie die Wahl zwischen Pest und Cholera: Wir freuen uns, dass der Diktator jetzt weg ist. Dafür haben nun aber die Minderheiten Angst vor Repressionen“, sagt sie. Der deutschen Außenministerin nicht die Hand zu geben, sei ein erstes Zeichen, in welche Richtung es gehe. „Wer sich über den Machtwechsel freut, sollte sofort die Koffer packen“, so Imad Mardo. Es habe bisher aber nur eine Person gegeben, „die uns wegen einer freiwilligen Rückkehr nach Syrien angesprochen hat.“
„Wer sich über den Machtwechsel freut, sollte sofort die Koffer packen.“
Imad Mardo
Imad Mardo und seine Schwester können die Sorgen alteingesessener Zuwanderer verstehen, ihren erarbeiteten Status zu verlieren. „Wir kannten in Syrien kein Sozialsystem. Wir leiden unter denen, die es hier ausnutzen. Man musste damals den Willen zum Neuanfang haben. Einfach war es nicht“, so Mardo. Wenn er zurückblickt auf das Jahr 2015 und die Grenzöffnung mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dann sagt er: „Das war nicht richtig, so ohne Kontrolle. Es sind leider auch Menschen mit extremen und fanatischen Ansichten gekommen.“
„Wir empfehlen jungen Migranten immer eine Berufsausbildung. Das ist manchmal schwierig, denn sie wollen erst Geld verdienen“, so Joachim Dedenbach von der Ökumenischen Flüchtlingshilfe, der beobachtet, dass immer noch zu viele Zugewanderte in Minijobs arbeiten, zumal sie nicht aus dem System der dualen Ausbildung kommen. Selbst ausgebildete Mediziner, unter den zugewanderten Syrern häufig vertreten, müssten hier noch ein komplettes Physikum machen. Einer von ihnen ist Sargon Kifarkis, der Ende 2013 nach Deutschland kam und bis 2022 im Krankenhaus Maria Stern in Remagen gearbeitet hat.

Kritischer Blick auf die Abschiebedebatte
Seine Wohnung war nach der Flutkatastrophe nicht mehr bewohnbar. Nach mehreren Umzügen lebt er deshalb jetzt in Essen, will im Sommer aber wieder zurück an die Ahr. Was sagt er zu der Abschiebedebatte, die nach dem Sturz Assads in Deutschland entbrannt ist? „Ich bin inzwischen deutscher Staatsbürger. Mich persönlich trifft es nicht“, erklärt er – allerdings mit der kritischen Anmerkung, dass zu viel darüber geredet wird so kurz vor der Wahl und vor allem so schnell nach dem Fall des Regimes Assad. Er empfindet es als ungerecht, dass unterschieden wird zwischen „den Syrern, die man behalten will, weil sie gebraucht werden, und denjenigen, die abgeschoben werden sollen – nach dem Prinzip: die guten und die schlechten Syrer“.
Er selbst war 26 Jahre alt, hatte seine medizinische Ausbildung abgeschlossen und schon ein paar Monate als Arzt gearbeitet, als er die Gelegenheit nutzte, nach Deutschland kommen zu können. „Zum Militär oder das Land verlassen?“ Zwischen diesen Optionen habe er sich entscheiden müssen. Seine Facharztausbildung zum Internisten hat er dann in Deutschland absolviert. Eine Rückkehr nach Syrien kommt für den Aramäer christlichen Glaubens nicht infrage. Seine Kinder sind hier geboren und aufgewachsen, sind deutsche Staatsbürger. „Ich kann ihnen schlecht rüberbringen, dass sie jetzt Syrer sein sollen“, sagt er. „Sie sprechen Deutsch und Aramäisch, können aber kein Arabisch. Sie würden sich in Syrien total fremd fühlen. Das kann ich ihnen nicht antun.“ Er weiß aber auch von einigen syrischen Kollegen, dass sie mit dem Gedanken spielen, wieder zurück in ihr Heimatland zu gehen, weil sie befürchten, dass hier in vier oder acht Jahren die AfD an die Macht kommt. Für sie hofft er, dass Syrien zu einem stabilen Land wird, in dem die Regierung die Kontrolle hat.
Syrer im Gesundheitssystem
Im Gesundheitssystem arbeiten viele syrische Fachkräfte. Ärztevertreter befürchten eine Versorgungslücke. Unsere Zeitung hat stellvertretend bei der Marienhaus GmbH nachgefragt, wie groß hier der Anteil der Syrer an den Beschäftigten ist. Sie beschäftigt gut 1500 Ärzte in ihren Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz, darunter auch das Krankenhaus Maria Hilf in Bad Neuenahr und die Brohltalklinik, und im Saarland. Davon sind rund 8 Prozent Syrer. Im Bereich Pflegende (Kliniken, Seniorenhilfe) sind über 7000 Menschen beschäftigt, darunter aber nur 0,4 Prozent Syrer. Ähnlich gering ist der Anteil im Verwaltungsbereich. Im Bereich Wirtschaftsdienste, Versorgung, Technik und sonstige Dienste sind von den über 1800 Mitarbeitenden rund 3 Prozent Syrer, und als Praktikanten und Auszubildende sind 4 Prozent der rund 1300 jungen Menschen Syrer. bea