Dreieinhalb Jahre nach der Flutkatastrophe im Ahrtal sind bei vielen Menschen die seelischen Wunden noch nicht verheilt. Es gibt Möglichkeiten, den Betroffenen zu helfen. „Viele haben den Weg zur Hilfe jedoch noch nicht gefunden“, stellte Lars Hennemann, Chefredakteur der Rhein-Zeitung, bei der inzwischen fünften Diskussionsrunde der Veranstaltungsreihe „Aufbruch Ahr“ fest, die er zusammen mit Markus Gerhold, Leitender Redakteur Lokales, moderierte. Mit dem Thema „Wege aus dem Fluttrauma“ stand ein besonders sensibles Thema im Fokus, das oft verdrängt oder verschwiegen wird und mit Scham besetzt ist.
Bei dem Podiumsgespräch, das unsere Zeitung zusammen mit dem Radiosender RPR1. organisiert hat, wurde es im Dorfgemeinschaftshaus DüNaLü in Dümpelfeld sehr still, als Nicole Falkenstein aus Dümpelfeld ehrlich und mutig ihre bewegte Geschichte und ihren Weg aus der seelischen Krise schilderte. Als die ehrenamtlich im Vorstand der Lebenshilfe Sinzig engagierte junge Frau erfuhr, dass hier in der Flutnacht 12 Menschen ertrunken sind, habe sie nur geschrien. „Danach war ich in einer Schockstarre und habe nur noch funktioniert“, so Falkenstein. Sie hat gespürt, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Der Hausarzt habe Antidepressiva verschrieben, aber es sei immer schlimmer geworden. Im Mai 2023 dann der Zusammenbruch. „Ich hatte nur noch Albträume.“ Es folgten Klinikaufenthalte, eine Reha und schließlich die Gründung einer Selbsthilfegruppe in Hönningen. „In der Gruppe ist man weniger allein und versteht sich“, sagt sie.
Der Schritt, sich professionelle Hilfe zu suchen, auch wenn die Wartezeiten für Therapien lang sind, war an diesem Abend ein dringender Appell an diejenigen, die das bisher nicht geschafft haben. Er kam nicht nur von Michaela Friedmann-Lieser, Assistenzärztin für Psychiatrie und Psychotherapie an der Dr. von Ehrenwall‘schen Klinik und Mitarbeitende im Traumahilfezentrum, sondern auch von Pfarrer Jörg Meyrer aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Meyrer sprach als Gast auf dem Podium offen über sein Burnout, die ambulante Therapie und die Reha. Die ständige Begegnung mit dem Leid in der Zeit danach habe Spuren hinterlassen. Aber er habe auch gelernt, dass Psychoedukation dabei helfen kann, den Reaktionen auf dieses dramatische Ereignis nicht hilflos ausgeliefert zu sein, sondern die Symptome einordnen zu können.
Das bestätigt auch Friedmann-Lieser. Das Unbehagen, wenn es regnet, die Schlafstörungen, die Gereiztheit – was bedeutet das alles? Es sei für die Selbstwirksamkeit wichtig zu wissen, was eine gesunde Reaktion auf ein bizarres Ereignis ist. Dies seien Strategien gegen die Ohnmacht. Nach der Flut in Spanien hätten sich die Anfragen im Traumahilfezentrum gesteigert, aber auch durchgehend sei die Nachfrage nach Beratungsangeboten sehr hoch.
Dass es aber immer noch Menschen im Ahrtal gibt, die eine Belastungsstörung übertünchen, indem sie sich in die Arbeit stürzen und keine Schwäche zeigen wollen, machte Andrea Stenz, Geschäftsführerin der Regionalgeschäftsstelle der IHK, auf dem Podium klar. Ihr begegnet das Thema „psychische Folgen der Flut“ täglich in persönlichen Gesprächen mit Unternehmern im Ahrtal. „Da sitzen mir Menschen gegenüber, die die Fassung verlieren – und gleichzeitig erklären: Ich muss weitermachen. Ich habe Verantwortung.“ Es gebt viele, die noch ihre Zeit bräuchten, um Hilfsangebote anzunehmen. Deshalb sei es wichtig, dass es sie weiterhin gibt.
Der Opferbeauftragte der Landesregierung Rheinland-Pfalz, Detlev Placzek, warnte als geladener Gast der Veranstaltung davor, Belastendes auszublenden, und berichtete von einem Fall, in dem ein Betroffener 25 Jahre nach der Flugkatastrophe in Rammstein doch noch eingeholt wurde von den schrecklichen, aber nicht verarbeiteten Erlebnissen. Nach rund fünf Jahren hätten rund 60 Prozent der Betroffenen ein solches Trauma bewältigt, in Einzelfällen könne es aber auch sein, dass es das ganze Leben prägt. Nach der Flut im Ahrtal sei man nach einer ersten Einschätzung davon ausgegangen, dass 4000 bis 6000 Menschen Hilfe benötigen.
Doch welches Angebot steht dieser Herausforderung gegenüber? Hennemann hakte nach. „Es gibt nach wie vor einen großen Bedarf an ambulanten Therapieplätzen, den wir nicht decken können“, so Placzek. Auf der Suche nach Möglichkeiten, das Problem zu lösen, dürfe man aber nicht nachlassen, sagte er und versprach, diesen Appell nach Mainz mitzunehmen. Eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage an Therapieplätzen bestätigte auch Friedmann-Lieser.
„Wer hierhin kommt, ist nicht direkt automatisch ein Patient. Manchmal ist schon ein Gespräch hilfreich.“
Michaela Friedmann-Lieser zum Angebot des Traumahilfezentrums
Eine erste Anlaufstelle, auch für Menschen, die sich Sorgen machen um Freunde, Angehörige oder Partner, ist das Traumahilfezentrum in Grafschaft-Lantershofen. „Wer hierhin kommt, ist nicht direkt automatisch ein Patient. Manchmal ist schon ein Gespräch hilfreich“, gab Michaela Friedmann-Lieser einer Zuhörerin einen Rat, die von dieser Möglichkeit noch nichts gehört hatte. Friedmann-Lieser sieht sich auch als Lotsin dabei, den passenden Weg zu finden.
Aufklärung ist also notwendig. Und so präsentierten sich in der DüNaLü-Halle neben dem Traumahilfezentrum von der Kirchengemeinde Altenahr bis hin zu den Hilfsorganisationen Caritas, Johanniter und Malters auch zahlreiche Ansprechpartner, die Begegnung und Hilfe – auch im unterschwelligen Bereich – anbieten. Sie sind geschult darin zu erkennen, wann professionelle Hilfe notwendig wird.
Wo gibt es Hilfe?
Eine erste Anlaufadresse ist das Traumahilfezentrum im Studienhaus St. Lambert in Lantershofen; Kontakt: info@thz-ahrtal.de, Telefon: 02641/2079099, montags bis donnerstags 9 bis 16 Uhr, freitags 9 bis 14 Uhr.
Ein niedrigschwelliges Angebot hat der Verein Fortuna Hilft mit seinem Mal-Zirkus in Ahrweiler und einer kunsttherapeutischen Therapie für Kinder ab drei Jahren sowie einem neuen Angebot für Erwachsene und dem Begegnungscafe; Kontakt: b.ferber@fortuna-hilft.de; Telefon: 01512/7240277.
Seelsorgegespräche bietet die Pfarreiengemeinschaft Altenahr an, ebenso Begegnung im Klappcafé, Telefonkontakt: Manuela Kremer-Breuer 0178/5503277.
Psychosoziale Beratung, bietet neben der Begegnung an der Waschbar die Fluthilfe der Caritas an; Kontakt: flut@caritas-rma.de; Telefon 02641/759860.
Paargespräche für Flutbetroffene bietet der Arbeiter-Samariter-Bund an; Kontakt: info@mbbruckner.de; Telefon: 0157/79449824.
Die Telefonseelsorge ist erreichbar unter 0800/1110111.