Bundesweit stagniert der Neubau von neuen Häusern und Wohnungen - Experten verzeichnen auch im Kreis Ahrweiler aktuell Rückgänge
Unsicherheit bei Investoren und Bauherren: Neubau von Häusern und Wohnungen geht im Kreis Ahrweiler zurück
Ein Neubaugebiet in Kripp: Bei Ein- und Zweifamilienhäuser gibt es an Neubauten auch im Kreis Ahrweiler Einbrüche von knapp 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Banken verzeichnen einen Rückgang an Anträgen auf Baufinanzierungen. Archivfoto: Vollrath
Vollrath

Schaffe, schaffe, Häusle baue – der Trend zum neu errichteten Ein- oder Zweifamilienhaus scheint gestoppt zu sein. Die Anzahl der Baugenehmigungen ist in diesem Jahr zum Teil drastisch in den Keller gegangen. Stattdessen suchen offenbar vor allem jüngere Familien im Vergleich zum Neubau günstigere Bestandsimmobilien zum Kauf.

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Ein Neubaugebiet in Kripp: Bei Ein- und Zweifamilienhäuser gibt es an Neubauten auch im Kreis Ahrweiler Einbrüche von knapp 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Banken verzeichnen einen Rückgang an Anträgen auf Baufinanzierungen. Archivfoto: Vollrath
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Über die Ursachen für die Trendwende, Fallstricke beim Erwerb von „gebrauchten“ Häusern und die besondere Situation im Kreis Ahrweiler sprachen wir mit Thomas Kloft, Bereichsleiter Bauen & Wohnen bei der Volksbank RheinAhr-Eifel, und Dieter Zimmermann, Vorstandsvorsitzender der Kreissparkasse Ahrweiler.

Laut Statistischem Bundesamt lagen die Baugenehmigungszahlen für Ein- und Zweifamilienhäuser im September mit 7223 so niedrig wie in keinem anderen Monat dieses Jahres. Bis auf den Mai hat es bei Baugenehmigungen für Ein- und Zweifamilienhäuser in allen Monaten gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres ein Minus im teils zweistelligen Bereich gegeben. Ist dies eine Entwicklung, die Sie in Ihrem Geschäftsbereich auf Kreisebene auch registrieren?

Thomas Kloft: Ja, auch wir sehen diese Entwicklung. Hier ist besonders ein starker Rückgang bei der Nachfrage nach Baufinanzierungen festzustellen.

Dieter Zimmermann: Wir stellen fest, dass die Finanzierungsanfragen für Neubauten zuletzt rückläufig sind. Gelegentlich kommt es vor, dass Bauinteressenten ihr Vorhaben erst mal pausieren. Insofern können wir die Entwicklung bestätigen. Ob dies ein dauerhafter Trend sein wird, bleibt abzuwarten. Dies ist von vielen Faktoren abhängig.

„Die Einbrüche im Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern liegen bei knapp 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“ - Thomas Kloft, Volksbank RheinAhrEifel
Marco Rothbrust

Wie groß sind die Einbrüche im Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern, die Sie in diesem Jahr im Neugeschäft registrieren?

Kloft: Die Einbrüche liegen bei knapp 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zimmermann: Uns liegen keine Zahlen vor, um diese Situation seriös einzuschätzen. In Folge dessen können wir hierzu auch keine verlässliche Aussage treffen.

Für die aktuelle Entwicklung im Neubau werden die allgemeine, von vielen Menschen als instabil empfundene politische Lage, die hohe Inflation sowie die Zinsentwicklung als Gründe gesehen. Teilen Sie diese Sicht beziehungsweise gibt es Ihres Erachtens weitere Gründe für die aktuelle Entwicklung?

Kloft: Als zusätzlichen Faktor sehen wir lange Genehmigungsprozesse, die zu zeitlichen Verzögerungen führen und damit die Kosten nach oben treiben.

Zimmermann: All die von Ihnen genannten Aspekte können als Gründe für die aktuelle Entwicklung bei Neubauten herangezogen werden. Die gestiegenen Zinsen bedeuten für normale Häuslebauer, dass die durchschnittliche Finanzierung 300 bis 400 Euro im Monat teurer wird. Das kann im einen oder anderen Fall darüber entscheiden, ob sie sich das noch leisten können oder nicht. Noch stärker als die gestiegenen Zinsen treiben aktuell die extrem steigenden Lebenshaltungskosten und die inflationären Entwicklungen bei den Energie- und Baukosten sowie die Verfügbarkeit von Arbeitskräften und Materialien die Menschen um. All dies spiegelt sich im Neubaugeschäft wider.

In diesem Zusammenhang macht sich zusätzlich der Wegfall beziehungsweise die starke Kürzung der KfW-Förderungen bemerkbar. Insbesondere der Wegfall direkter Zuschüsse und damit eines fest eingeplanten Finanzierungsbausteins kann zu einer Finanzierungslücke im mittleren fünfstelligen Bereich führen. Das bedeutet nicht selten ein komplettes Überdenken der gesamten Maßnahme.

„Es ist durchaus möglich, dass sich weniger Menschen Wohneigentum leisten können. Ob es soweit kommt, bleibt aber abzuwarten.“ - Dieter Zimmermann, Kreissparkasse Ahrweiler
Kreissparkasse Ahrweiler

Gibt es im Landkreis Ahrweiler Sonderfaktoren, wie zum Beispiel den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe, die beim Neubau von Ein- und Zweifamilienhäusern eine Rolle spielen?

Kloft: Die Besonderheit im Ahrtal sind sicherlich auch die neu definierten Genehmigungszonen. Hier muss jeder Antrag individuell betrachtet und nach Lage und Einzelfall entschieden werden. Darüber hinaus warten Kunden lange auf die Zusagen finanzieller Mittel, was zu einer zusätzlichen Verunsicherung und längeren Bauzeiten führt.

Zimmermann: Durch den flutbedingten Wiederaufbau werden wir im Landkreis Ahrweiler sicherlich ein Stück weit eine Art Sonderkonjunktur haben. Oftmals kommt es nicht zu einem reinen, sondern zu einem energetisch optimierten Wiederaufbau. So stellen wir fest, dass sich die Verwendungszwecke der Finanzierungsmittel etwas geändert haben. Während die Finanzierungsanfragen für Neubauten wie eingangs schon erwähnt rückläufig sind, hat die Nachfrage für energetische Maßnahmen zugenommen.

Der Trend beim Erwerb von Wohnraum geht allgemein stärker hin zum Kauf von Bestandsimmobilien. Sehen Sie diese Tendenz bei den Kreditgeschäften Ihres Instituts ebenso, und wenn ja, in welchem prozentualen Verhältnis stehen Neubau und Erwerb von Bestandsbauten bei Ihren Kreditgeschäften zueinander?

Kloft: Wir sehen in Ansätzen den Trend, dass derzeit nicht mehr der Kauf bevorzugt wird, sondern die Nachfrage in Richtung Miete geht. Ohne dies final prognostizieren zu wollen, glauben wir aber auch, dass langfristig die Nachfrage nach Bestandsimmobilien steigen wird.

Zimmermann: Diesen Trend können wir bestätigen. Das Verhältnis spricht derzeit rund 80 zu 20 für den Kauf einer Bestandsimmobilie. Gründe hierfür liegen auf der Hand: Im Gegensatz zum Neubau gibt es trotz der eingangs aufgezeigten Rahmenbedingungen weniger Variablen. So steht der Preis mit Kauf fest und ist nicht mehr von potenziellen Preissteigerungen der Baumaterialien abhängig und mithin mit mehr Planungssicherheit für den Käufer verbunden.

Viele Bestandsbauten werden in den nächsten Jahren mit einem höheren Kostenaufwand energetisch saniert werden müssen, benötigen neue Heizsysteme etc. Kalkulieren Käufer von Bestandsimmobilien diese Kosten bei ihrer Finanzierung in der Regel mit ein oder wird die Notwendigkeit (und entsprechend eine Finanzierung) auf später verschoben?

Kloft: Wir beraten all unsere Kundinnen und Kunden so, dass Puffer vorgesehen sind, um energetisch zu sanieren. In der Praxis sehen wir aber auch verstärkt, dass Käufer von Bestandsimmobilien Gewerk für Gewerk abarbeiten und zum Teil die Maßnahmen unterschiedlich priorisieren.

Zimmermann: Eine pauschale Aussage hierzu ist schwer zu treffen und oftmals vom Bedarf und dem finanziellen Spielraum abhängig. Wie bereits erwähnt, stellen wir grundsätzlich eine gestiegene Nachfrage nach Finanzierungsmitteln für energetische Maßnahmen fest.

Obwohl die Nachfrage nach Bestandsbauten kontinuierlich zunimmt, Kauf, Erbe und Schenkung von Bestandsbauten mittlerweile knapp 80 Prozent bei der Wohneigentumsbildung gegenüber 21 Prozent Neubauten ausmachen, wird die Bundesregierung den Erwerb von Bestandsbauten ab Mitte 2023 nicht mehr fördern (etwa über günstige kfw-Darlehen), sondern nur noch Neubauten mit Effizienzhausstandard 40. Gleichzeitig läuft Ende dieses Jahres die Förderung über das Baukindergeld aus. Welche Folgen haben diese politischen Rahmenbedingungen für den Immobilienmarkt bei Neu- und Bestandsbauten?

Kloft: Durch die unklare politische Situation entsteht massive Unsicherheit bei Investoren und potenziellen Bauherren. Dies hat eine katastrophale Auswirkung auf dem Bausektor zur Folge. Auch sorgt diese Situation für weniger finanziellen Spielraum und Puffer bei Bauprojekten.

Zimmermann: Diese Entwicklung gibt natürlich zu denken. Man darf durchaus die Frage stellen, ob durch diese Maßnahmen die richtigen Anreize gesetzt werden. Wie bereits erwähnt, kann der Wegfall direkter Zuschüsse und damit eines fest eingeplanten Finanzierungsbausteins zu einer Finanzierungslücke führen, was dazu führen kann, dass die gesamte Maßnahme überdacht und gegebenenfalls auch nicht realisiert wird. Es ist durchaus möglich, dass sich weniger Menschen Wohneigentum leisten können. Ob es soweit kommt, bleibt aber abzuwarten.

Droht Ihres Erachtens Hauskäufern generell aufgrund der Zinsentwicklung und der gestiegenen Preise etwa für Baumaterialien nun verstärkt die Schuldenfalle? Mussten Sie solche Fälle für Ihr Institut bereits registrieren?

Kloft: Diese Gefahr sehen wir aktuell nicht. Durch die Zinsentwicklung droht keine Schuldenfalle – schon mehr führen die Inflation und die gestiegenen Energiekosten zu finanziellen Engpässen. Klar ist: Man sollte aktuell im Vorfeld über einen Finanzierungsplan nachdenken und sich entsprechendes Know-how dazu holen. Eine solide (Finanz-)Planung ist heute entscheidender denn je. Gerade im Bereich der Baufinanzierung sollte vorab das Gespräch mit der Bank gesucht und ein entsprechender Plan verfolgt werden, um die Risiken so minimal wie möglich zu halten. Außerdem empfehlen wir unseren Kunden, sich frühzeitig um eine Anschlussfinanzierung zu kümmern. Hier bieten sich viele interessante Möglichkeiten.

Zimmermann: Dies lässt sich aktuell noch nicht beurteilen, dafür ist der Zeitraum zu kurz. Aktuell stellen wir sowohl was die Entwicklung der Bauzinsen wie auch die Entwicklung der Baukosten angeht eine moderate Entspannung im Vergleich zum fast schon sprunghaften Anstieg der letzten Monate fest. Ob der Höhepunkt schon erreicht wurde, bleibt abzuwarten, und somit auch, was dies für die Nachfrage nach Wohneigentum bedeutet. Aktuell liegen uns jedenfalls keine Fälle echter finanzieller Schieflagen vor.

Die Fragen stellte Michael Stoll

„Ampelregierung lässt Familien im Regen stehen“

Es wird auch in ländlichen Regionen für Familien immer schwieriger, Eigentum zu erwerben. „Deshalb ist die Förderung über ein Baukindergeld so wichtig“, erklärt die CDU-Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil. „Und das hat gerade in unseren ländlichen Räumen, wo sonst viele Familie wegziehen, zu einer positiven Entwicklung und Verjüngung geführt.“ Heil, die auch Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen ist, weiter: Die Familien der Region hätten sich auf die zugesagte finanzielle Förderung bis Ende 2023 verlassen.

Nun aber hat die Ampelregierung in den Haushaltsberatungen die Mittel für das Baukindergeld um über 18 Millionen Euro gekürzt und schließt das Programm sogar zum Ende des Jahres – vorzeitig. Das erinnere an die „Vollbremsung“ der Kfw-Förderung Anfang des Jahres. Bis zu 20.000 Familien, die an das Baukindergeld geglaubt hatten, würden nun leer ausgehen. Heil, die auch den Kreis Ahrweiler vertritt, sagt: „Dass die Ampel Familien im Regen stehen lässt, ist bitter und zerstört erneut Vertrauen in Politik. Zumal es oftmals unverschuldet zu einem späten Einzug kommt, denn der Handwerkermangel und Materialengpässe verzögern die Pläne.“ Vor allem mache die Bundesregierung mit dieser Entscheidung auch deutlich, dass Eigentumsbildung bei ihr keine Priorität hat. Bauministerin Klara Geywitz (SPD) lasse zudem das notwendige Engagement vermissen, um die dringend benötigte Schaffung von mehr Wohnraum zu unterstützen.

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