Kinderarzt bringt Buch heraus
Über die Liebe von Erwachsenen zu Kindern
Schwieriges Thema: Der Therapeut und Kinderarzt Jürgen Fleischmann hat eigene Erfahrungen und Erlebnisse mit denen eines fiktiven Lehrers in seinem Buch vermischt.
Judith Schumacher

Der Sinziger Kinderarzt Jürgen Fleischmann hat ein Buch geschrieben, das sich einem sehr sensiblen Thema widmet: der Liebe von Erwachsenen zu Kindern. Damit steht Fleischmann in der Kritik, sieht aber eine Notwendigkeit, über das Thema zu sprechen.

„Du sollst nicht lieben! – Wenn die Vergangenheit noch nicht vorbei ist“ lautet der Titel eines Romans im Selbstverlag, den der bekannte Sinziger Arzt und Psychotherapeut Jürgen Fleischmann kürzlich herausgebracht hat. Seine Triebfedern hierfür waren zum einen seine jahrelangen beruflichen Erfahrungen, in denen er feststellen musste, dass Kinder und Jugendliche viel zu oft von Sachbearbeitern in Behörden, Schulen und Arztpraxen als Sache und Aktenvorgang und nicht als Menschen behandelt werden, wie er sagt. „Zum anderen habe ich das Buch geschrieben, weil ich auch im Bekannten- und Kollegenkreis erfahren habe, dass sich kaum ein Erwachsener mehr traut, sich liebevoll um beziehungsgestörte Heranwachsende zu kümmern, aus Angst, dass ihm Pädophilie vorgeworfen wird.

Doch derartige Hilfe geht eben nur über Vertrauen und den Aufbau einer Beziehung“, erklärt Jürgen Fleischmann im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Liebe zu Kindern und Jugendlichen sei gesellschaftlich nur dann anerkannt, wenn es sich um die eigenen handele oder es darum gehe, Geld mit ihnen zu verdienen. Letzteres bezöge sich auf die Handhabung etwa bei der Vermittlung in Pflegestellen.

Fleischmann verarbeitet seine Tagebucheintragungen als Kind

Jürgen Fleischmann hat sich entschieden, seine Erfahrungen in Romanform niederzuschreiben. Dabei bedient er sich seiner eigenen Tagebucheintragungen, die er ab dem Alter von acht Jahren getätigt hat und darin über Erlebnisse in seinem Sinziger Umfeld schreibt, die allein schon aus dem gesellschaftlichen Kontext der 60er-Jahre interessant und auch von literarischen Gesichtspunkten heraus betrachtet lesenswert sind. Um dem Anspruch der Geschichte als Roman gerecht zu werden, hat er diese Eintragungen überarbeitet und um Episoden ergänzt, die sich so nur teilweise oder auch gar nicht in Fleischmanns persönlicher Lebensgeschichte zugetragen haben.

„Meine Tante hatte meine Tagebuchseiten zusammen mit anderen Dingen ohne mein Wissen gesammelt, als ich die Kiste fand, fühlte ich mich von ihr gestalkt und kam mir vor, als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet“, erklärt Fleischmann. Nach einigem Nachdenken kam ihm der Gedanke, diese Eintragungen für seine Veröffentlichung zu nutzen und modifizierte sie im Sinne des Erzählstrangs autofiktional zu denen seines Protagonisten, des Lehrers Jan Schneider. Die Handlung widmet sich dem verheirateten Lehrer und Vater dreier Kinder, der als Mittfünfziger an einem Gymnasium arbeitet und auf einer Klassenfahrt ein Erlebnis hat, das sein Leben aus den Fugen geraten lässt.

Dramatische Szenen und emotionale Begegnungen

Schneider muss miterleben, wie einer seiner Schüler, der sich von seiner Gruppe entfernt hat, von einem fremden jungen Erwachsenen fast vergewaltigt wird, bis er ihn durch sein beherztes Eingreifen rettet und ihm sagt: „Gib mir deinen Schrecken, dann ist es leichter, für dich zu ertragen.“ Als er den nackten Schüler Pascal in seinen Armen hält und tröstet, löst dies Emotionen und Erinnerungen in ihm aus, die ihn zu überwältigen drohen. Aber auch eine Hetzjagd an seiner Schule, die ihn Dingen bezichtigt, die Jan Schneider nicht getan hat. Die ersten Vorwürfe des Ausnutzens von Abhängigkeitsverhältnissen und Missbrauchs Schutzbefohlener können ausgeräumt werden, weitere angebliche Vorfälle werden auch durch berufliche Neider konstruiert, die sich selbst nicht scheuen, Schülerinnen zu betatschen und zu nötigen.

Es kommt zu dramatischen Szenen, emotionalen Begegnungen mit Schülern, die eine Gratwanderung auch für den Leser darstellen. Etwa wenn Pascal ihm nach tränenreichem Bericht von einem übergriffigen Therapeuten ein eindeutiges Angebot macht und der Lehrer das, was er sich so lange gewünscht hat, aus mit Angst gepaarter Vernunft ausschlägt. Der Pädagoge, der bislang durch Verdrängung funktioniert hatte, zerfällt zusehends und rettet sich während einer längeren Therapie, deren Sitzungen ebenfalls Bestandteil der Geschichte sind, durch das Finden seines inneren vereinsamten Kindes.

Streckenweise eher eine Skizze eines Romans

„Bei jedem der Fälle, die mir während meiner beruflichen Praxis im Zusammenhang mit beziehungsgestörten Kindern begegnet sind, war es immer wichtig, zu differenzieren und genau hinzusehen. Der Lehrer in meinem Buch hat sich im frühen Alter emotional selbst eingesperrt. Wenn er sich nun mit Mitte 50 liebevoll einem 14-Jährigen zuwendet, ist er selbst eigentlich auch noch 14 Jahre alt“, so Fleischmann. Kindern würde häufig suggeriert, dass Sexualität etwas Böses ist. „Ich habe in der Geschichte eigentlich all das verarbeitet, was ich meinen Patienten immer wieder gesagt habe. Es ist einfach Zeit, dass das gesellschaftlich auf den Tisch kommt“, erklärt Fleischmann.

Es ist kein einfaches, aber ein sehr sensibles Thema, dem sich der Autor widmet. Die Geschichte hat Potenzial, kommt aber streckenweise eher als Skizze eines Romans herüber, als hätten sich Puzzleteile von Erinnerungen, therapeutischer Botschaft und Haupthandlung zusammengefügt. Als Roman hätte das Buch in Bezug auf Details und künstlerischer Aussage ein gutes fachmännisches Lektorat verdient. Dennoch stellt es sich als ein von einem erfahrenen Therapeuten herzensgesteuertes und persönliches Buch dar, dem ein zweites folgen soll.

Zur Person

Jürgen Fleischmann praktizierte von 1987 bis 2019 in einer eigenen Praxis mit Kinder- und jugendpsychiatrischem Schwerpunkt. Seit 2019 ist er leitender Arzt des Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) Rheinland der Johanniter in Sinzig. Fleischmann war stellvertretender Präsident der Landesärztekammer und zeitweilig beratend für die Landesregierung tätig. Neben seiner beruflichen Tätigkeit gehörte er zu den Gründern eines Ausbildungsinstituts für Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten und war Mitbegründer des „Expertenrats ADHS“ dessen Co-Vorsitzender er ist.

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