Sie lehnen den deutschen Rechtsstaat ab, bezeichnen sich als Staatsbürger des „Freistaates Preußen“, sogar als führende Köpfe ihres Freistaates, und beanspruchen vor deutschen Gerichten Immunität: drei Reichsbürger, die sich derzeit vor dem Landgericht Koblenz verantworten müssen. Den beiden Frauen und dem Mann im Alter von 67, 64 und 62 Jahren wird zur Last gelegt, strafbare staatsverunglimpfende Äußerungen zwischen 2016 und 2018 via sogenannter Amtsblätter verfasst und per Fax verbreitet zu haben. Während zwei der drei Angeklagten in Ostdeutschland wohnen und von dort aus agiert haben, hat eine der Angeklagten einen Bezug zum Kreis Ahrweiler.
In diesen rund 20 „Amtsblättern“ soll die Gruppe, die sich selbst als „Präsidium des Deutschen Reiches“ bezeichnet haben soll, der Bundesrepublik Deutschland die Staatlichkeit sowie das Staatsgebiet abgesprochen haben. Aber reichen diese Aussagen für eine Verwirklichung des Straftatbestands der schweren Verunglimpfung des Staates aus, oder sind die getätigten Aussagen noch von der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit gedeckt? Eine Frage, die das mehrköpfige Richtergremium unter Vorsitz von Thomas Metzger seit Mittwoch beschäftigt.
Reichsbürger: „Deutschlands Staatsgebiet liegt am Südpol“
Ebenso spektakulär wie der Straftatvorwurf gestaltete sich der Prozessauftakt, der in einem extra gesicherten Gerichtssaal stattfand. Gleich zwei Einlasskontrollen hatten die Prozessbeteiligten und Prozessbeobachter zu passieren, bevor sie im Saal Platz nehmen konnten. Der Gang durch die Sicherheitskontrollen, bei der auch Taschen auf gefährliche Gegenstände und Waffen kontrolliert wurden, stellte zumindest für eine der Angeklagten eine erhebliche Hürde da. „Was sind das für Strahlen in diesem Gerät?“, wollte sie wissen und weigerte sich zunächst, die Sicherheitskontrolle – ein Gerät ähnlich denen, die auch Flughäfen verwandt werden – zu durchschreiten.

Reichsbürgerin aus dem Kreis Ahrweiler vor Gericht
Drei Reichsbürger müssen sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Koblenz verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, den Straftatbestand der schweren Verunglimpfung des Staates verwirklicht zu haben. Eine der Angeklagten kommt aus dem Kreis Ahrweiler.
Die Verhandlung selbst gestaltete sich in Teilen zäh. Rund 50 Minuten lang dauerte die Verlesung der viele Seiten dicken Anklageschrift, bei der jede zur Last gelegte Handlung samt genauem Tatzeitpunkt vom verhandelnden Staatsanwalt verlesen wurde. Mehr als 100 Mal waren die sogenannten Amtsblätter von den drei Angeklagten per Fax versandt worden. Der Inhalt dürfte die Empfänger, die in Deutschland und dem angrenzenden Ausland zu finden sind, überrascht haben. So wurde etwa mehrfach die Information geteilt, dass sich das Staatsgebiet Deutschland nicht in Europa, sondern am Südpol befände. Auch hatten es sich die Verfasser der „Amtsblätter“ zur Aufgabe gemacht, die Rechtsstaatlichkeit Deutschlands mit wilden Theorien und alternativen Fakten infrage zu stellen. Die Begriffe „Naziausweise“ und „Nachfolger des Naziregimes“ oder „Nachfolgestaat des Dritten Reichs“ fielen während Verlesung der Anklageschrift bei Zitierung der „Amtsblätter“ im Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland mehrfach.
Einblicke in persönliche Schicksale
Während die verlesenden Informationen bei den Prozessbeobachtern für irritierte Blicke sorgten, nahmen die drei Angeklagten die Verlesung der Anklageschrift mit stoischer Ruhe hin. Lediglich ein zustimmendes Nicken war bei dem einen oder anderen zu beobachten. Wer also sind diese Menschen, die sich als Außen- und Innenminister oder gar als Ministerpräsidentin des selbst gegründeten Freistaates bezeichnen? Am ersten Verhandlungstag, der mit den Angaben zur Person schloss, wurde den dreien ausreichend Zeit zu persönlichen Vorstellung gegeben.
„Sie haben uns für einen Menschenversuch benutzt.“
Das sagte eine Angeklagte über ihre Jugend im Ruderkader der DDR
Freimütig und detailliert gaben die drei Auskunft zu ihrem bisherigen Leben. Während sich die Lebenswege in frühen Kindheitsjahren nicht gekreuzt haben dürften, handelt es sich bei zweien um ein seit Jahren nach deutschen Rechtsnormen rechtmäßig verheiratetes Paar, welches derzeit zwar in Trennung, aber dennoch in einem Haus in Ostdeutschland lebt. Während es sich bei ihm um einen mittlerweile verrenteten einstigen Netzwerktechniker handelt, bezeichnet sich seine Noch-Ehefrau als „Opfer des SED-Regimes“. Aufgewachsen in der DDR sei sie im Alter von 13 Jahren als Mitglied des Ruderkaders zum Leistungssport gezwungen worden und habe mehrere Jahre lang Dopingmittel erhalten. „Sie haben uns für einen Menschenversuch benutzt“, so die drastische Schilderung der Angeklagten, die zudem angab, aufgrund der erlittenen Traumata und des Dopingmissbrauchs trotz einer erfolgreich abgeschlossenen wirtschaftlichen Ausbildung und einer darauffolgenden behördlichen Anstellung im späteren Leben nicht lange erwerbsfähig gewesen zu sein.
Trieb die Erwerbslosigkeit die Angeklagten in die Reichsbürgerszene?
Die Dritte im Bunde gab an, in Koblenz ihr Abitur gemacht und nach einem Informatik- und Wirtschaftsstudium in Freiburg und Karlsruhe des Jobs wegen nach München gezogen zu sein. Dort lernte die Beklagte ihren späteren Mann kennen und bekam einen Sohn, für den sie seit dem frühen Tod ihres Mannes alleinerziehend verantwortlich war. Auf die Frage, wie es ihr gehe und die Verbindung zu ihrem mittlerweile erwachsenen Kind ist, antwortete sie: „Ich hatte bis jetzt ein gutes Leben. Ich habe keine Schulden und beziehe Witwenrente. Und auch das Verhältnis zu meinem Sohn ist gut. Er hat nur mich und ich habe nur ihn.“
„Die Schulden haben mich dazu getrieben.“
Ein Angeklagter zu den Gründen für sein Abdriften in die Reichsbürgerszene
Doch wie kommt es dann, dass Menschen, die trotz allem Erlebten fest in der Gesellschaft integriert sind, in die Reichsbürgerszene abdriften? Während die Angeklagte mit dem Koblenzer Abitur auf diese Frage keine Antwort liefern konnte, stellte der Angeklagte Mann nüchtern fest: „Die Schulden haben mich dazu getrieben.“ Im weiteren Verlauf führte er aus, noch im erwerbsfähigen Alter seinen Job als Netzwerktechniker verloren zu haben und aufgrund von Ärger mit dem zu dieser Zeit zuständigen Jobcenter Schulden bei seiner Krankenkasse angehäuft zu haben. Auch seine Noch-Ehefrau gab an, aufgrund einer Jobcenter-Entscheidung in die Schuldenfalle geraten zu sein.
Ob diese vorgetragenen Gründe für die drei Angeklagten ausreichen, um die Straflosigkeit ihrer möglicherweise staatsverunglimpfenden Äußerungen zu rechtfertigen, ist noch offen. Die Fortsetzung der öffentlichen Verhandlung ist für Freitag, 23. Mai, vor dem Landgericht Koblenz anberaumt.