Nach der Vorstellungsrunde mit Coach Luis Caballero, der zum Trainerpool der Landeszentrale für politische Bildung gehört, einigte man sich auf das „Du“. Die Motivation, aus der heraus die Teilnehmer gekommen waren, ist vielfältig: Gekommen war etwa Monika (60), weil sie, wie sie sagte, Freunde durch die AfD verloren hat. „Die fingen an, Sachen zu erzählen, von denen ich dachte, da sind wir 70 Jahre drüber hinweg“, erzählt sie. Toni, weiterer Teilnehmender, ist da zurückhaltender. Die nonbinäre Person, die an einer Schule für Kinder mit Beeinträchtigungen arbeitet, möchte sich einfach informieren. Der ehemalige Berufsoffizier und Unternehmensberater Kurt beispielsweise möchte, wie einige andere Teilnehmer auch, „klare Kante gegen rechts“ zeigen.
Wählerzulauf der AfD sieht Experte kritisch
Argumentationstrainer Luis Caballero findet es besorgniserregend, dass aus dem Gedächtnis der Leute offenbar verschwunden sei, dass mit dem Sturm auf den Reichstag ein Angriff auf die Demokratie stattgefunden habe. „Die Demokratie steht zur Disposition, immer mehr Menschen stimmen nachweislich immer mehr krasseren Aussagen zu, Angriffe nehmen zu“, so seine Feststellung.
„Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es die AfD, die mich wissenschaftlich besorgt“, sagte der Soziologe. Laut einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung würden bei der anstehenden Europawahl voraussichtlich 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen die AfD wählen. Es gehe darum, den Menschen vor Augen zu führen, dass diese Partei nicht demokratisch ist, dass es ihr um die Abschaffung fundamentaler Menschenrechte gehe. Darum, ob ein Homosexueller sich in der Öffentlichkeit präsentieren darf. Darum, ob Menschen mit Migrationshintergrund vertrieben würden. Darum, Fake-News von der Wahrheit zu unterscheiden. „Die Demokratie muss einen respektvollen demokratischen Diskurs aushalten, aber es gibt Grenzen“, betonte er.
Die Demokratie steht zur Disposition, immer mehr Menschen stimmen nachweislich immer mehr krasseren Aussagen zu, Angriffe nehmen zu.
Luis Caballero, Argumentationstrainer
Caballero möchte die Teilnehmer sensibilisieren für alltägliche Situationen, die immer häufiger am Familientisch, am Arbeitsplatz oder beim Sport vorkommen, wenn haltlose Stammtischparolen geschwungen werden. Dafür müsse man die Vorgehensweisen von extremen Populisten erkennen: Sie hätten sich meist lange mit einem Thema befasst, sich „Expertenwissen“ angeeignet. „Sie sagen zu ihrem Gegenüber, du kannst es nicht sehen, weil du nicht zur Gemeinschaft der Wissenden gehörst, sind aber nicht zur Überprüfung von Fakten bereit, wenn einer dann nachfragt, wie er das genau meine oder woher er diese Inhalte denn habe“, so Caballero. Manche von ihnen seien an dem „Point of no return“, die nicht mehr zu erreichen wären.
Auch Humor kann die Wucht aus einer Diskussion nehmen
„Aber es geht um die, die dabei stehen, die vielleicht auf der Kippe stehen“, betont der Trainer. Man müsse widersprechen, wenn es etwa um antisemitische Äußerungen, Vertreibung oder menschenverachtenden „Unsinn“ gehe. „Da kann man zumindest sagen, es reicht, ich möchte das nicht hören.“ Auch Humor könne die Wucht aus einer Diskussion nehmen oder wenn man sagt, das ist mir zu wichtig, als dass ich da jetzt drauf antworten kann, ich muss mich da erst informieren.
Häufig sei es in einer Runde zu beobachten, dass sich Parolenschwinger gegenseitig verstärkten und sie die Diskussion an sich rissen. „Diesem Lust- und Machtgewinn gilt es, die Grundlage zu entziehen. Das geht, indem man darauf drängt, auf Gesprächsregeln zu achten. Sie bittet, beim Thema zu bleiben“, so Caballero. Zuerst ging es etwa um die Abfallwirtschaft, wobei Parolenschwinger dann schnell auf die Landesregierung, die Regierung überhaupt und schließlich zum großen Plan der Bundesregierung komme, die Deutschen durch Migranten auszutauschen.
Nachfragen hilft oft
Oft würden auch verfälschte Statistiken, Verallgemeinerungen, Schuldzuweisungen und Behauptungen von angeblichen Wissenschaftlern verbreitet, die sich gegenseitig unseriöse Reputationen geben, so Caballero. „Da hilft es, nach der Quelle zu fragen. Das ist die stärkste Waffe. Plattformen wie Correctiv beispielsweise können hier Licht ins Dunkel bringen“, erklärte der Trainer.
Häufig angewendet werde von Parolenschwingern auch die sogenannte Hundepfeifenstrategie. „ Wenn jemand etwas andeutet, aber nicht ausdrücklich ausspricht, weil es sonst strafrechtlich relevant wäre um sich nicht angreifbar zu machen, etwa wenn der thüringische AfD-Politiker Björn Höcke von einer tausendjährigen Tradition spricht und mutmaßlich dabei das tausendjährige Reich meint.“ Höcke vermeide eindeutige Parallelen und wähle seine Formulierungen so, dass er die Nähe zu NS-Sprache und NS-Gedankengut als Unterstellung zurückweisen könne. Auch hier gelte: Nachfragen, wie derjenige es genau meint.
Stimme und Körperhaltung sind wichtig, Schweigen hilft auch
Schlussendlich sei es in einer Diskussion auch wichtig, Stimme und Körperhaltung einzusetzen. Gegen Stammtischparolen helfe: Nicht verschüchtert sein, nicht laut werden oder übergriffig erscheinen, vielleicht auch mal einfach schweigen, da das Gegenüber Stille nicht sehr gut aushalten könne. Der Workhopleiter findet es derzeit entscheidend, dass Bündnisse über alle Grenzen hinweg geschlossen werden – gegen rechts. „Das geht von der Antifa bis zur CDU, vom DGB bis zu den Kirchen. In Remagen hat man ein gutes Beispiel, dass die Neonaziaufmärsche zur Schwarzen Madonna und den ehemaligen Kriegsgefangenenlagern nach der geschlossenen Gegendemonstration des Bündnisses für Frieden und Demokratie nun zwei Jahre ausgeblieben sind“, stellte Caballero fest. Besorgniserregend sei es, dass gerade die neuen Rechten versuchen würden, ihre Ideologie auch in den Schulen zu verankern.