Eine pflastersteinerne Zufahrtsstraße, hölzerne Türen und Fensterläden, Efeuranken über sonnenbefleckten Mauern und große Fenster, die auf den reißenden Strom hinausblicken: Selbst in seinem heutigen Zustand weckt das Hotel „Rheingold Bellevue“ bei Passanten Erinnerungen an seine alte Pracht.
Doch es bleiben Erinnerungen. Die alte Pflasterstraße ist ein Fußgängerweg geworden, ein paar Meter höher rasen Autos über die B9. Das Weiß der Hotelwände ist verdreckt, überall blättert die Farbe ab. Tote Efeuranken zersplittern das Anwesen – man sieht dem Gebäude an, dass es schon mehrere Jahrzehnte lang leer steht.
„Nach vielen Jahren des Leerstandes hat das Bauwerk mittlerweile einen Grad der Baufälligkeit erreicht, bei dem sich das Zeitfenster, es überhaupt noch retten zu können, bald schließt“, so Lutz Heitmüller, Vorstand der Stiftung Deutscher Denkmalschutz. Die private Initiative für Denkmalpflege will das verhindern und hat das Hotel deshalb als Kulturdenkmal eingestuft und aufgekauft.
„Das Haus besitzt eine tolle Geschichte auf und steht an einem einmaligen Ort. Bei diesem Gebäude lässt sich vieles erkunden und erfahren und nicht zuletzt kulturhistorisch zu erfassen“, so Heitmüller. Mit dem Hotel würde man nicht nur ein Haus, sondern auch die vielen „Geschichten und Anknüpfungspunkte des Hotels Bellevue als eines Ortes der Kultur“ retten können.
Rheinromantik pur
Und davon gibt es reichlich: Eröffnet wurde das Hotel Billau, wie es damals noch hieß, am 13. April 1856. Damals lud Besitzer Carl Billau per Annonce in der Bonner Zeitung zum Besuch ein: „Hiermit zeige ich an, dass ich heute, den 13. April1856, meinen neuerbauten Gasthof eröffnet habe. Mein Bestreben wird dahin gehen, die mich mit ihrem Besuche beehrenden Gäste aufs Billigste und Beste zu bedienen, so wie ich noch extra bemerke, dass ich ein ausgezeichnetes Glas bayerisches Bier zu jederzeit verabreichen werde.“
Der Gasthof wird daraufhin in Reiseführern erwähnt und ist in der Literatur (in William Blacks „Kilmeney“ von 1873 findet sich eine äußerst romantische Hotelszene) sowie auf Spiegelstichen und Postkarten zu finden. Betont wird dabei vor allem die hervorragende Lage: Direkt am Fluss gelegen und mit Blick auf den Rolandsbogen, die Insel Nonnenwerth und das bewaldete Siebengebirge war das Traditionshotel vor allem im 19. Jahrhundert ein Idealbild der Rheinromantik.
In seiner Blütezeit bot das Gebäude Platz für bis zu 24 Gäste. Es gab einen Tanzsaal und einen Bierpavillon im Garten, der jedoch heute nicht mehr existiert. Als die Touristenströme, die im 19. Jahrhundert hauptsächlich mit dem Schiff gekommen waren, nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Reisegewohnheiten änderten, öffnete das Gebäude in den 1950er-Jahren ein letztes Mal für Hotelgäste.
Danach wurden einzelne Räume hin und wieder verschiedentlich genutzt. „Es gibt nur eine Zeit, bei der ich mich daran erinnern kann, dass Leben im Haus war: 2014 hat die Johannes-Wasmuth-Gesellschaft im Speisesaal Konzerte stattfinden lassen“, erzählt Philip Decker.
Keine leichte Entscheidung
Der 45-Jährige war bis zur Übernahme durch die Deutsche Gesellschaft Denkmalschutz der letzte Besitzer des „Rheingold Bellevue“. Die Entscheidung zum Verkauf ist ihm nicht leicht gefallen.
„Auf der einen Seite ist das natürlich ein Privileg, so ein Haus im Besitz der Familie zu haben – auf der anderen Seite ist es auch eine Bürde. So lange ich denken kann – und auch aus Erzählungen der Vorgenerationen – gab es immer Probleme und finanzielle Sorgen mit dem Haus.“ Neben den monatlichen Kosten, die durch Grundsteuer und Ähnliches anfallen, sei ein Hauptproblem auch der zunehmende Verfall: „Die Substanz des Hauses wird immer schlechter. In den nächsten Jahren kann es durchaus irgendwann passieren, dass an der ein oder anderen Stelle ein Balken einstürzt, Dachschäden entstehen oder auf einer Zwischenebene der Boden nachgibt.“ Hätte Decker das Haus behalten, hätte er zusehen müssen, wie das Kulturdenkmal weiter verfällt. „Dann hätte ich das Problem an meine Töchter weitergegeben. Das wollten meine Frau und ich nicht.“
Was soll nun passieren?
Die Vorstellung, das Haus an einen Investor zu verkaufen, kommt für ihn nicht infrage – die Gefahr, dass das Haus abgerissen wird, sei zu groß. „Auch wenn es jetzt nicht mehr in unserem Besitz ist, bin ich froh, dass über die Stiftung Denkmalschutz es möglich macht, dass das Haus wieder zum Leben erweckt wird. Das wäre letztlich auch der entscheidende Wunsch meines Vaters gewesen. Ihm ist zu verdanken, dass das alles überhaupt noch erhalten geblieben ist.“
Was jetzt tatsächlich aus dem Schmuckstück am Rhein wird, liegt nun in den Händen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Bisher sei eine gemischte Nutzung vorgesehen: „Die Größe des Anwesens erlaubt sowohl Büro- als auch Wohnbereiche und besondere Flächen für kleine kulturelle Veranstaltungen. Dadurch wird es möglich sein, den Bau für die Öffentlichkeit erlebbar zu machen“, teilte die Initiative in einer Pressemitteilung mit.
Nach „sorgsamen restauratorischen Voruntersuchungen“ wird die Stiftung genauer abwägen, was denkmalpflegerisch für das Hotel „Rheingold Bellevue“ infrage kommt – „unter Wahrung der vielen Spuren der Vergangenheit“, so Lutz Heitmüller.
Der enge Kontakt zu Vorbesitzer Philip Decker soll weiterhin bestehen bleiben. „Ich bin wahnsinnig froh, dass die Stiftung Denkmalschutz jetzt die Funktion als kompetenter Eigentümer übernimmt. Hier wird die Verantwortung sehr ernst genommen.“
Luxus pur
Unserer Zeitung liegt eine Preiskarte des Hotels Rheingold Bellevue vor, mutmaßlich aus den 1930er-Jahren.
Darin steht: Ein „Zimmer mit Privatbad und Verpflegung“ kostet „je Tag und Person“ 14 Reichsmark. Laut der Tabelle der Deutschen Bundesbank mit den Kaufkraftäquivalenten historischer deutscher Währungen ergibt sich ein Umrechnungsfaktor von einer Reichsmark gleich ungefähr fünf Euro im Jahr 2024. Ein solches Zimmer würde heute also 70 Euro kosten – für damalige Verhältnisse durchaus hochpreisig.
Nach Daten des Statistischen Bundesamtes über die Verdienste nach Branchen und Berufen betrug das durchschnittliche Brutto-Monatseinkommen eines Vollzeitarbeitnehmers umgerechnet 77 Euro. Sogar das billigste Zimmer (3 bis 5 Reichsmark) ohne Bad und Verpflegung kostete also ein Fünftel des Monatslohns.
Ein Haus im Laufe der Zeiten
13. April 1856: Carl Billau annonciert die Eröffnung seines Gasthofs, dieser wird auf zahlreichen Spiegelstichen, Reiseführern und Postkarten erwähnt und findet auch literarisch in einer Szene aus William Blacks „Kilmeny“ (1873) Erwähnung. Nach einiger Zeit verkauft Billau an einen J. Pütz, das Hotel bekommt den Namen „Belle Vue“.
1901: Ludwig Decker erwirbt das Gebäude, das fortan „Hotel Decker“ heißt. Er erweitert das Haus um zwei Seitentrakte. Während der Hochbetriebszeit bewirten 18 Angestellte acht Doppel- sowie acht Einzelzimmer.
nach 1945: Nach dem Zweiten Weltkrieg dient das Hotel als Ausweichkrankenhaus
1950er-Jahre: Hotel „Rheingold Bellevue“ ist das letzte Mal für zwei Saisons geöffnet
ca. 1957 bis 1963: Domizil für die Gesellschaft zur Förderung der astrophysikalischen Forschung
bis 1982: Wolfgang Bartel mit Antiquitäten, Versteigerungen
2014: Die Johannes-Wasmuth-Gesellschaft richtet 2014 und 2015 Konzerte im Speisesaal aus.