Für die Bewohner von 20 Mobilheimen in Sinzig müssen bis dahin neue Wohnungen gefunden werden
Tiny-Siedlung in Sinzig schließt am 30. September: Doch wohin sollen die Bewohner dann?
Der Leiter der ASB-Hochwasserhilfe, Armeen Kolians, im Gespräch mit Traute Moehrke. Sie wohnt in einem Tiny-Haus in Heimersheim und wartet darauf, zurück in ihre renovierte Eigentumswohnung in der Ahrweiler Schützenstraße zu können.
Frank Bugge

Die Stadtverwaltung Sinzig und der Arbeiter Samariter Bund (ASB) stehen mächtig unter Zeitdruck: Bis zum 30. September müssen sie für die flutbetroffenen Bewohner von 20 Tiny-Häusern in der Siedlung an der Kölner Straße andere, passende Wohnungen finden.

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Der Leiter der ASB-Hochwasserhilfe, Armeen Kolians, im Gespräch mit Traute Moehrke. Sie wohnt in einem Tiny-Haus in Heimersheim und wartet darauf, zurück in ihre renovierte Eigentumswohnung in der Ahrweiler Schützenstraße zu können.
Frank Bugge

Denn entsprechend der Beratungen im Stadtrat sei vorgesehen, den Standort aufzulösen, auf dem insgesamt 24 der kleinen Einfach-Häuser als Übergangswohnungen aufgebaut wurden. Die baurechtlichen und wasserrechtlichen Rahmenbedingungen stünden „einer langfristigen Nutzung an dieser Stelle entgegen. Die Unterbringung war von Anfang an nur als Provisorium angelegt“, heißt es aus der Stadtverwaltung.

Denn ohne Rücksicht auf die tatsächliche Hochwasserlage auf dem Gelände, das bei der Katastrophe im Juli 2021 von der Flut überströmt wurde, „ist nach derzeitiger Beschlusslage des Stadtrates die Realisierung des Feuerwehr-Gerätehauses auf dem Grundstück avisiert. Ob dies tatsächlich möglich sein wird, hängt von einer noch ausstehenden Entscheidung der SGD Nord ab“, erklärt die Stadtverwaltung weiterhin.

Auf jeden Fall endet die „wasserrechtliche Ausnahmegenehmigung für die Tiny Häuser“ am Jahresende 2023. Bis dahin habe unabhängig von der Zukunft des Geländes grundsätzlich ein Rückbau, also Abbau der Tiny-Häuser und der Installationen wie den Waschsalon zu erfolgen. Um das sauber abwickeln zu können, müssen die Mieter bis 30. September aus den Tiny-Häusern raus.

Düstere Aussichten für Rückkehr

Mitarbeiter der Stadtverwaltung und des ASB, der die Menschen in der Siedlung betreut, seien im Gespräch mit den Leuten. Die Aussicht, dass Tiny-Haus-Mieter (sie zahlen keine Miete, sondern Betriebskosten) wieder in ihre eigenen, nach der Flut wieder hergestellten Wohnräume zurückkehren können, ist nicht allzu rosig. Denn die Flutkatastrophe und ihre Folgen hat in Sinzig sehr viele Einzelpersonen und Familien getroffen, die ohnehin in prekären und mit staatlicher Unterstützung finanzierten Wohnungssituationen lebten.

Auf dem Parkplatz des ehemaligen Hallenbades Twin in Bad Neuenahr stehen insgesamt 18 Mobilheime.
Frank Bugge

So sind seit dem Hochwasser die beiden städtischen Wohnhäuser mit 16 Wohnungen in der Friedrich-Spee-Straße unbewohnbar. Einige Mieter sind in den Tiny-Häusern untergekommen. Die 16 Wohnungen von der Spee-Straße fehlen in der Stadt: Abriss und Wiederaufbau starten gar erst im Jahr 2024.

Ebenso problematisch ist die Lage nach wie vor in zwei der vier in Privateigentum befindlichen Mehrfamilienhäusern in der Straße „Am Teich“. Sage und schreibe 44 Wohnungen in zwei dreigeschossigen Gebäuden stehen leer, sind nach der Flut nur teilweise geräumt worden, dürften inzwischen verwahrlost sowie durch Feuchtigkeit und Schimmel unbewohnbar sein. Auch diese Wohnungen fehlen in Sinzig. Einige der von den Hauseigentümern nach dem Schaden lange mehr oder minder rücksichtslos mit ihrem Schicksal allein gelassenen Mieter wohnen in den Tiny-Häusern.

Sie selbst bemühen sich verstärkt mit Unterstützung des Stadt und des ASB um Unterkünfte auf dem freien Wohnungsmarkt. Doch der sei, gesteht die Kommunalverwaltung, in Sinzig und Umgebung immer noch sehr angespannt. Dazu komme, dass sich die potenziellen Mieter aufgrund der Familienstruktur mit mehreren Kindern oder wegen Sprachbarrieren „mit größeren Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert sehen“. Alte Menschen mit Gehbehinderung und Rollator brauchen eine barrierefreie Ausstattung, die Kinder wünschen sich eigene Zimmer und mehr Platz zum Spielen und für Haustiere.

Martha Weiberg wohnte in der Friedrich-Spee-Straße. „Sinzig ist meine Stadt. Hier will ich bleiben“, sagt die 68-Jährige, die in der Nähe von Kinder und Enkeln bleiben will, auf die sie immer wieder aufpasst. Zu Fuß kann sie allein zum Arzt und zum Einkaufen gehen. „Ich will nicht nach Bad Bodendorf“, sagt sie klar und deutlich. Denn in dem Sinziger Stadtteil mit weiteren 18 Tiny-Häusern könnte sie zur Not eine weitere Übergangsbleibe bekommen und dann weiter in einer Komplettwohnung mit nur 34 Quadratmetern in zwei Zimmern samt Terrasse für 430 Euro im Monat leben. Der Bodendorfer Standort am Ortsausgang Richtung Sinzig soll auf jeden Fall nach dem Abbau an der Kölner Straße erhalten bleiben. Da laut Stadt insgesamt die Nachfrage nach Tiny-Häusern „stark nachgelassen hat, wird diese Vorgehensweise favorisiert“.

Martha Weiberg hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass ihr jemand in Sinzig eine Wohnung anbieten kann, wie sie sich vorstellt und die mithilfe des Staates auch bezahlt werden kann. „Wir möchten betonen, dass die Stadt Sinzig niemanden in die Obdachlosigkeit entlassen wird“, versichert die Kommunalverwaltung. „Alle Menschen können sich sicher sein, dass eine gute Lösung gefunden wird, wie wir es bisher auch geschafft haben“, ergänzt Armeen Kolians, der Leiter der Hochwasserhilfe des ASB mit ihrem Stützpunkt in Heimersheim. „Wir bleiben am Ball, und unsere Hilfe geht weiter.“

240 Mobilheime an 24 Standorten

ASB-Stützpunktleiter Armeen Kolians und seine rund 40 ASB-Mitarbeiter betreuen mit den Sachbearbeitern aus den Stadtverwaltungen insgesamt 165 „Wohneinheiten“. Das reicht vom Einkaufsdienst über Hausaufgabenhilfe bis hin zu Sprach- und Bewerbungstraining, Berufsbegleitung und Vermittlung von psychosozialer Beratung. Es geht um die Menschen in den Tiny-Häusern in Sinzig (24 Häuser), in Bad Bodendorf (18), in Bad Neuenahr (64), davon 22 Mobilheime in Heimersheim („Im Bülland“), in Ramersbach (24) und in Bad Neuenahr „Am Gartenschwimmbad“ (18), 48 Wohncontainer am Apollinaris-Stadion sowie die Seniorensiedlung in Dernau (11) mit Gemeinschaftsräumen und jeweils angeschlossenen, insgesamt sieben „Waschsalons“.

Die Frage nach Zukunft und Nachfolgenutzung der Tiny-Haus-Siedlung in Ramersbach hat zu Debatten geführt.
Frank Bugge

Im Frühjahr 2023 lag die Auslastung bei 85 Prozent, wobei die Nachfrage nach Übergangswohnraum erheblich nachgelassen habe, wie nicht nur die Stadtverwaltung Sinzig feststellt. Neue Tiny-Haus-Mieter kommen immer wieder, weil ihre vermeintlich trockene Wohnung im ersten Stock nun doch wegen Schimmelbefall saniert werden muss und deshalb übergangsweise unbewohnbar ist. Gleichzeitig können Eigentümer von Eigentumswohnungen zurück in ihr saniertes Zuhause, wenn über die Eigentümergemeinschaft, die Hausverwaltung und die Klärung der Versicherungsfragen die Arbeiten abgeschlossen werden konnten.

Unter der Regie der Verbandsgemeinde gibt es in der VG Altenahr 74 Tiny-Häuser an 17 Standorten, „zwingend außerhalb der hundertjährigen Hochwasserzone“, so die Kommunalverwaltung: in Mayschoss 20 Häuser verteilt auf sechs Standorte, in Ahrbrück und Berg-Krälingen jeweils zehn Häuser an drei Standorten, in Dernau 15 Häuser an zwei Standorten, in Altenburg drei Häuser, in Kalenborn neun Häuser und in Kesseling sieben Häuser. Die Betreuung erfolge „durch die im Schadensgebiet tätigen Organisationen, wie beispielsweise den Helfer-Stab“. Es gebe einen privaten Hausmeisterdienst.

Darüber hinaus hätten einige Ortsgemeinden weitere Häuser oder Wohncontainer durch im Schadensgebiet tätige Organisationen zur Verfügung gestellt bekommen. Die genauen Zahlen seien der VG-Verwaltung nicht bekannt.

In den flutbetroffenen Gemeinden der Verbandsgemeinde Adenau gibt es keine Tiny-Häuser.

Knackpunkt Folgenutzung

Eine potenzielle Folgenutzung der Häuser müsse zunächst mit dem Spendengeber, des Vereins „Aktion Deutschland Hilft“, besprochen werden, heißt es aus der Stadtverwaltung Sinzig und gültig für alle Tiny-Häuser. Generell gelte, dass ihre Nutzung auch weiterhin „nur für gemeinnützige Zwecke erfolgen darf“. Auch Erträge aus einem potenziellen Verkauf würden nicht der Stadtkasse zugutekommen, sondern müssten wieder gemeinnützig verwendet werden. Die genaue Verwendungsart müsse in den städtischen Gremien geregelt werden. Welche Brisanz das Thema haben kann, zeigte sich in Ramersbach, wo allein die Idee der Umwandlung der Tiny-Siedlung in ein Feriendorf viele Bürger zum Protest gegen jegliche Folgenutzung vor allem als Flüchtlingsunterkunft motivierte. „Der Ortsbeirat nimmt die Hinweise und Sorgen der Bürgerinnen und Bürger zur Kenntnis. Die Projektidee ,Ferienpark Ramersbach' wird in der vorgestellten Form aufgrund der Form, Dimension und Lage, die nicht kompatibel mit dem Ortsbild ist, abgelehnt“, hält das Protokoll einer hitzigen Ortsbeiratssitzung fest.

Haribo macht die Grafschaft froh

In der Gemeinde Grafschaft stehen seit Dezember 2021 im neu errichteten „Herzensweg“ in Ringen 25 Tiny-Häuser und ein Wasch-Container. Eigentürmer der 25 Tiny-Häuser ist der Verein „Haribo hilft“, der diese gekauft hat und unentgeltlich zur Verfügung stellt. Die Gemeinde übernimmt alle organisatorischen und administrativen Maßnahmen. Für die Quartiersbetreuung hat sich die Caritas Ahrweiler extra personell mit einer Fachkraft verstärkt und den Bau eines Gemeinschaftshauses mit 200.000 Euro gefördert, trägt auch die Unterhaltungskosten. Für die Tiny-Häuser mussten von den Bewohnern monatlich Betriebskosten von 455 Euro gezahlt werden. „Aufgrund der eklatant gestiegenen Energiekosten mussten diese Kosten zum Jahresbeginn angepasst werden auf 619 Euro“, teilt Bürgermeister Achim Juchem mit.

Die Kosten

Laut der Helfer-Stab gGmbH, die nach eigenen Angaben die Aufstellung für Altenahr koordinierte, sind 100.000 Euro für jedes der Tiny-Häuser kalkuliert und von der „Aktion Deutschland hilft“ dafür bereitgestellt worden. In dieser Summe seien neben den Kosten für die Häuser selbst auch die Kosten für den Transport und Aufbau der Häuschen, die Herrichtung, Versicherung und Pacht der Grundstücke, die Verlegung der Anschlüsse und eventuell anfallende Mehrkosten enthalten. „Die 100.000 Euro sind also der kalkulierte Maximalbetrag, der wahrscheinlich nicht bei allen Häuschen vollständig benötigt wird“, so der Helfer-Stab. Tiny-Haus-Generalimporteur Jan Daalmann von der Daalmann Mobilheime GmbH in Ülsen berichtet auf der Firmen-Website von 25 Einheiten für „Haribo hilft e.V.“: „Inklusive aller Nebenkosten wie Transport, Aufbau und Terrassen liegt der Preis bei rund 60.000 Euro inklusive Mehrwertsteuer“.

„Die Verwendung der Gelder muss spätestens im Rahmen einer Schlussrechnung nachgewiesen werden“, so Jan Brockhausen, Referent Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Aktion Deutschland Hilft, dem Bündnis deutscher Hilfsorganisationen. Im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung zwischen den beteiligten Kommunen und „Aktion Deutschland Hilft“ seien die Auszahlungs- und Abrechnungsmodalitäten festgehalten worden.

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