Kündigungen für Sonnenstudio und Ergotherapiepraxis sollen nun zum 30. Juni wirksam werden - Hitzige Debatte
Stadt Remagen kündigt wegen Eigenbedarf: Rat beschließt Gnadenfrist für Rheinhalle
Die Passage und das dazugehörige Gebäude gehören der Stadt. Die will es nun selbst nutzen und hat den Mietern gekündigt. Foto: Christian Koniecki
Christian Koniecki

Remagen. Das Foyer der Rheinhalle war weihnachtlich beleuchtet und geschmückt. Lange Tafeln waren für die traditionelle Weihnachtsfeier des Remagener Bürgermeisters mit den Mitgliedern des Stadtrats eingedeckt, die nach der letzten Sitzung des Jahres stattzufinden pflegt. In der Rheinhalle selbst, wo zuvor der Rat tagte, war von weihnachtlicher Harmonie jedoch zunächst wenig zu spüren – ganz im Gegenteil sogar.

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Die Passage und das dazugehörige Gebäude gehören der Stadt. Die will es nun selbst nutzen und hat den Mietern gekündigt. Foto: Christian Koniecki
Christian Koniecki

Ein scharfer Wind schien durch die Rheinhalle zu fegen, als es gleich zu Beginn um den Tagesordnungspunkt „Petition Sonnenstudio und Ergotherapie fordern sofortige Rücknahme der Eigenbedarfskündigung der Stadt Remagen“ ging. Diesen Punkt hatte maßgeblich die FDP-Fraktion mit tatkräftiger Unterstützung weiterer Stadtratsmitglieder überwiegend kleinerer Fraktionen auf die Tagesordnung gehievt. Und das offenbar zum Missfallen des Bürgermeisters und mehrerer Stadtratsmitglieder der größeren Fraktionen von Grünen, Freier Bürgerliste (FBL) und der CDU.

Unterstützer im Zuschauerraum

Im Publikum dagegen saßen neben Betroffenen der Mietkündigung auch eine Vielzahl von Unterstützern, die im weiteren Verlauf der Diskussion immer wieder einmal mit Applaus oder Missfallensäußerungen zu vernehmen waren, sodass sich Bürgermeister Ingendahl zu dem Hinweis gezwungen sah, dass eine solche Beeinflussung der Stadtratsmitglieder unzulässig sei.

Grund der Aufregung ist das Gebäude in der Bachstraße, in dem bereits seit vielen Jahren im Erdgeschoss die Tourist-Information und in der obersten Etage Büroräume von der Stadtverwaltung genutzt werden. Dieses Gebäude ist inzwischen in Gänze von der Stadt gekauft worden (die RZ berichtete), mit dem Ziel, den stetig wachsenden Stadtverwaltungsapparat dort unterbringen. Ein Begegnungsraum, auch öffentliches Wohnzimmer genannt, soll dort ebenfalls eingerichtet werden.

Fast allen Mietern gekündigt

Noch allerdings ist ein Teil dieser erworbenen Gebäudeteile seit Jahrzehnten vermietet. Das EVM-Büro, ein Sonnenstudio und die einzige Ergotherapiepraxis in Remagen sind dort Mieter. Eine bis Sommer dort ansässige Friseurmeisterin hat ihren Salon und ihre Berufsexistenz schon aufgegeben. Sie hatte wie alle anderen Mieter – mit Ausnahme der EVM – im Frühjahr die Eigenbedarfskündigung von der neuen Eigentümerin, der Stadt Remagen, erhalten. Die hatte dann auch Hilfe angeboten, nach möglichen Ausweichräumen zu suchen.

Dass diese Hilfe ebenso wie die Kommunikation mit der Stadt aus Sicht der Betroffenen äußerst unzureichend war, betonten dann in der Sitzung auch noch einmal Léa Daiz vom Sonnenstudio und Ergotherapeutin Nina Hunold. Sie hatten zuvor von einer Mehrheit der Ratsmitglieder das Rederecht vor dem Stadtrat bekommen. Beide betonten, dass es trotz intensiver Suche nach Ausweichquartieren in Remagen und der näheren Umgebung offenbar keine passenden Gerwerbe- und Praxisräume gibt. Somit bedeute die Kündigung durch die Stadt faktisch ein Aus für das Sonnenstudio und die Praxis, die in Remagen etwa 150 teils mit schweren Beeinträchtigungen kämpfende Patienten betreut.

Bürgermeister in Angriffslaune

Bürgermeister Björn Ingendahl hatte schon gleich zu Anfang festgestellt, dass es eigentlich überhaupt nicht Sache des Stadtrates sei, über solche Angelegenheiten zu befinden. In dieser Sache sei zudem Stimmung gegen die Stadtverwaltung gemacht worden, es wären Unwahrheiten verbreitet worden und das Engagement der FDP-Fraktion bezeichnete er sogar als unredlich. Zudem sei es nicht Aufgabe der Stadt, Gewerberäume vorzuhalten, um an anderer Stelle für viel Geld Räume anmieten zu müssen, um die eigene Verwaltung dort unterzubringen. Es sei ein wichtiges Zeichen von Verlässlichkeit, an einmal getroffenen Entscheidungen festzuhalten, so Ingendahl.

Frank Bliss von der Grünenfraktion unterstützte grundsätzlich diese Haltung. Jedes Stadtratsmitglied habe bei der Entscheidung für den Kauf gewusst, dass dort Verwaltungsbüros eingerichtet werden sollten. Das sieht Christina Steinhausen (FDP) ganz anders: Eine Kündigung der Gewerbetreibenden sei aus den Beschlüssen, die in nicht öffentlichen Sitzungen getroffen wurden, keinesfalls zu entnehmen gewesen. In eine ähnliche Richtung argumentierte Rolf Plewa (SPD): „Wir haben als Politiker die Verantwortung, zwischen Recht und Moral zu entscheiden. Inzwischen denke ich, dass ich mich bei der Zustimmung zum Kauf der Immobilie falsch entschieden habe.“

Was mir aber besonders missfällt, dass wir Stadtratsmitglieder jetzt hier den Richter spielen sollen.

Thomas Nuhn, Fraktionsvorsitzender Freie Bürgerliste Remagen

Thomas Nuhn von der Freien Bürgerliste Remagen (FBL) plädierte jedoch dafür, an der Entscheidung festzuhalten und die Kündigungen nicht zurückzunehmen. „Mir als Unternehmer ist bewusst, dass so etwas für die Betroffenen nicht schön ist. Was mir aber besonders missfällt, dass wir Stadtratsmitglieder jetzt hier den Richter spielen sollen.“

Dieser Haltung schloss sich Jürgen Walbröl (CDU) an, und Heinz-Peter Hammer (CDU) schilderte die riesigen Probleme mit seinem eigenen Unternehmen nach Corona-Lockdowns und der Flutkatastrophe im Ahrtal. „Ja, es ist schwer, aber wenn es man als Unternehmer will, dann gibt es eine Lösung“, so sein Credo.

Gnadenfrist als Kompromissvorschlag

Nach viel Diskussion und gut einer Stunde Sitzungsdauer beantragte die FBL-Fraktion eine Unterbrechung der Sitzung zur Beratung. Aus dieser kam man mit dem Kompromissantrag zurück, die Kündigungsfrist noch einmal bis zum 30. Juni zu verlängern unter der notariellen Maßgabe, auf einen Widerspruch dagegen zu verzichten. FDP-Sprecherin Steinhausen hatte zuvor schon beantragt, die Kündigung sogar für die nächsten drei Jahre auszusetzen. Dieser Antrag erhielt keine Mehrheit, der FBL-Antrag dagegen schon.

Ob der Streit um die Kündigungen damit endgültig vom Tisch ist, bleibt abzuwarten. Den Blicken der enttäuscht abziehenden Betroffenen und ihrer mürrischen Unterstützer nach zu urteilen, will man sich mit diesem Kompromiss eher nicht abfinden.

Von Christian Koniecki

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